OGH 7Ob1/64ff

OGH7Ob1/64ff10.1.1964

SZ 37/6

Normen

ABGB §839
ABGB §§871 ff
ABGB §1090
ABGB §839
ABGB §§871 ff
ABGB §1090

 

Spruch:

Die Rechtsnachfolger eines Bestandgebers können den Bestandvertrag wegen Mängel, die die ursprünglichen Vertragsteilnehmer zur Auflösung wegen Irrtums berechtigt hätten, zur Auflösung bringen.

Zwischen Miteigentümern ist der Abschluß eines Bestandvertrages nur dann anzunehmen, wenn die Parteien ihren Willen eindeutig zum Ausdruck bringen, mehr als eine bloße Gebrauchsregelung zu beabsichtigen.

Entscheidung vom 10. Jänner 1964, 7 Ob 1/64. I. Instanz:

Bezirksgericht Innsbruck; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.

Text

Die Beklagte, ihre Schwester Paula L. und ihr Bruder Hubert L. waren zu 1/3 Eigentümer des Hauses. Die Beklagte bewohnte seit 1. November 1956 eine Wohnung in diesem Hause und zahlte den gesetzlichen Mietzins. Sie hatte mit dem Hausverwalter Dr. H. eine als Mietvertrag bezeichnete Vereinbarung geschlossen. Der Hausverwalter schloß den Vertrag deshalb, weil die Beklagte behauptete, ihre Schwester Paula L., die auch den im Ausland lebenden Bruder vertrat, sei mit der Vermietung einverstanden. Dr. H. hat vorher mit Paula L. gesprochen. Diese war mit der Benützung der Wohnung durch die Beklagte einverstanden. Sie begnügte sich mit einem Entgelt in der Höhe des gesetzlichen Mietzinses, war aber mit der Vermietung nicht einverstanden. Dr. H. hat vor jeder Vermietung die Zustimmung der Miteigentümer eingeholt, unterließ es aber in diesem Fall, weil er der Behauptung der Beklagten, ihre Schwester sei einverstanden, vertraute. Paula L. erfuhr erst im Jahre 1958 oder 1959 von der Vermietung. Sie hat nicht protestiert, um die Spannungen zwischen den Geschwistern nicht zu vergrößern. Im Jahre 1962 erwarben die Kläger in einer freiwilligen Versteigerung das Haus.

Die Kläger begehren die Räumung der Wohnung, weil die Beklagte durch den Verkauf des Hauses ihr Benützungsrecht verloren habe. Die Beklagte wendete ein, daß sie auf Grund des Mietvertrages einen Rechtstitel zur Benützung habe.

Das Erstgericht gab der Räumungsklage statt. Es beurteilte die Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem Hausverwalter nicht als Mietvertrag, weil Dr. H. zum Abschluß eines solchen Vertrages nicht berechtigt gewesen sei, da es sich hiebei um eine wichtige Vereinbarung im Sinne des § 834 ABGB. handle. Es handle sich bei der Vereinbarung nur um einen Vertragsentwurf ohne rechtliche Wirkung. Auch stillschweigend sei kein Mietvertrag zustande gekommen, weil zwischen Miteigentümern eine solche Vereinbarung nur dann angenommen werden könne, wenn die Parteien ihren Willen eindeutig zum Ausdruck gebracht haben, durch die Regelung mehr als eine bloße Gebrauchsregelung zu beabsichtigen. Einen solchen Willen habe Paula L. nie bekundet und das von der Beklagten geleistete Entgelt nie als Mietzins angenommen. Die Beklagte habe die Wohnung daher nur in ihrer Eigenschaft als Miteigentümerin benützt und diesen Rechtstitel durch den Verkauf des Hauses verloren.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Dr. H. war ohne Beschränkung seiner Vollmacht zum Hausverwalter bestellt worden. Als solcher hat er grundsätzlich das Recht, Mietverträge abzuschließen (MietSlg. 60, 1115, 1116, 3546 u. a.). Selbst wenn er in dieser Richtung seine Vollmacht überschritten hätte, würde der Hauseigentümer durch den abgeschlossenen Mietvertrag gebunden, wenn dem Dritten das Verbot nicht erkennbar gewesen wäre. Im vorliegenden Fall bestand nach den Feststellungen der Untergerichte zwar keine Beschränkung der Vollmacht des Hausverwalters in der Richtung, daß er Mietverträge nur mit Zustimmung der Miteigentümer abschließen durfte, er hat es aber immer so gehandhabt, was der Beklagten, die als Miteigentümerin bei den früheren Mietverträgen gefragt worden war, bekannt gewesen ist. Den vorliegenden Mietvertrag hat Dr. H. mit der Beklagten nur deshalb ohne Befragen der anderen Miteigentümer abgeschlossen, weil die Beklagte ihm versichert hat, ihre Schwester sei damit einverstanden. Hier muß also nicht ein Dritter im Vertrauen auf den äußeren Tatbestand, nämlich darauf, daß der Hausverwalter zum Abschluß von Mietverträgen befugt ist, geschützt werden, sondern es hat ein Hausmiteigentümer den Hausverwalter in Irrtum geführt und ihn dadurch zum Abschluß eines Mietvertrages veranlaßt, den er sonst nicht geschlossen hätte. Mit Recht hat das Berufungsgericht daher ausgeführt„ daß wegen dieses Irrtums für die durch den Hausverwalter vertretenen anderen Miteigentümer keine Verbindlichkeit, also kein Mietvertrag, entstanden ist. Das Berufungsgericht hat in dieser Richtung keine neuen Tatsachen festgestellt sondern nur das vom Erstgericht festgestellte Verhalten der Beklagten rechtlich gewürdigt. Es bedurfte daher keiner Beweiswiederholung und liegt die in der Revision behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens nicht vor.

Da der Bestandvertrag nicht von den ursprünglichen Vertragsteilnehmern, sondern von den Klägern wegen Irrtums angefochten wird, war die Frage zu erörtern, ob die Kläger als Einzelrechtsnachfolger der früheren Hauseigentümer diesen Anfechtungsgrund geltend machen können. Grundsätzlich kann nur der Irrende die Nichtigerklärung des Geschäftes begehren. Gschnitzer (in Klang[2] IV. S. 135) führt hiezu aus, daß sich die Frage, ob der Dritte das Anfechtungsrecht des Irrenden im Wege der Einrede geltend machen kann, nicht einheitlich, sondern nur unter Bedachtnahme auf die besonderen, die Haftung begrundenden Verhältnisse zwischen den Irrenden und dem Dritten beantworten läßt. Bei einem Bestandvertrag handelt es sich um ein Dauerschuldverhältnis, in das die Erwerber der Bestandsache eintreten müssen. Sie treten in alle Rechte und Pflichten ihrer Vorgänger ein. Die Vorgänger sind nicht mehr Vertragspartner des Bestandnehmers und wären zu einer Anfechtung oder Auflösung des Vertrages daher nicht mehr legitimiert. Den Rechtsnachfolgern muß daher die Möglichkeit zugebilligt werden, dieses Dauerschuldverhältnis wegen Mängel, die die ursprünglichen Vertragspartner zur Auflösung wegen Irrtums berechtigt hätten, zur Auflösung zu bringen. Ob diese Auflösung ex tunc oder ex nunc erfolgen kann, ist in der Lehre strittig. Während in der deutschen Rechtslehre die Ansicht überwiegt, daß ein Irrtum bei Abschluß eines Dienstvertrages zur Anfechtung ex tunc berechtigt, vertritt Gschnitzer (Klang[2] IV. S. 27 f.) die Ansicht, daß es bei Dauerschuldverhältnissen im allgemeinen keine absolute Nichtigkeit wegen solcher Mängel geben könne, weil es praktisch unmöglich sei, den früheren Zustand wiederherzustellen und sich die Tatsachen, daß z. B. eine Gesellschaft oder ein Dienstvertrag de facto schon durch Jahre bestanden haben, nicht mehr aus der Welt schaffen lasse. Allerdings räumt er ein, daß bei Bestandverhältnissen diese Gründe nicht oder doch nicht im gleichen Maße zutreffen. Im vorliegenden Fall ist es aber ohne wesentliche Bedeutung, ob der Bestandvertrag ex tunc oder ex nunc aufgelöst wird, denn die Kläger wollen ja nur, daß die Beklagte die Wohnung jetzt räumt. Es muß ihnen die sofortige Auflösung des Vertrages zugebilligt werden und nicht nur eine Auflösung durch Kündigung. Bei Räumen, die den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes unterliegen, ließe sich auch kaum ein Irrtum bei Abschluß des Bestandvertrages unter einen der im § 19 MietG. aufgezählten Kündigungsgrunde subsumieren. Das Berufungsgericht hat daher zutreffend das Bestandverhältnis als nicht mehr bestehend erkannt.

Auch die Frage, ob stillschweigend oder durch konkludente Handlungen zwischen der Beklagten und den beiden anderen Miteigentümern ein Mietvertrag abgeschlossen wurde, haben die Untergerichte mit Recht verneint. Wie der Oberste Gerichtshof in wiederholten Entscheidungen ausgesprochen hat (vgl. EvBl 1958 Nr. 133, MietSlg. 1109, 1617, 6200), kann der stillschweigende - aber auch der ausdrückliche Abschluß eines Bestandvertrages zwischen Miteigentümern nur dann angenommen werden, wenn die Parteien eindeutig ihren Willen zum Ausdruck gebracht haben, durch die Vereinbarung mehr zu beabsichtigen als eine bloße Gebrauchsregelung. Zwischen Miteigentümern genügt daher nicht der sonst zur Begründung eines Bestandverhältnisses ausreichende Wille, einen Teil des gemeinsamen Gutes auf längere Zeit gegen Entgelt zu überlassen. Denn ein solcher Vertragsinhalt würde ebensogut einer bloßen Gebrauchsregelung unter Miteigentümern entsprechen, welche den Regelfall bildet, während die Begründung eines Mietverhältnisses zwischen Miteigentümern eine Ausnahme darstellt. Es ist selbstverständlich, daß ein Miteigentümer, der im gemeinsamen Haus allein eine Wohnung benützt oder der eine größere Wohnung als die anderen Miteigentümer benützt, hiefür ein Entgelt zu bezahlen hat, welches Entgelt mit den übrigen Erträgnissen des Hauses verrechnet und schließlich zwischen den Miteigentümern aufgeteilt wird. Auch wenn dieses Entgelt nach den Bestimmungen des Mietengesetzes über die Höhe des Zinses bemessen wird und, wie hier, mit den anderen Mietzinsen in einer Zinsliste eingetragen wird, kann deshalb noch nicht auf den Abschluß eines Mietvertrages geschlossen werden. Auch der Umstand, daß die Beklagte mit Wissen und Zustimmung der übrigen Miteigentümer längere Zeit im Haus gewohnt hat, läßt noch nicht auf den Abschluß eines Mietvertrages schließen. Gerade wegen der zwischen den Geschwistern seit dem Tode der Mutter bestehenden Differenzen ist nicht anzunehmen, daß der Beklagten die günstigere und die Verwertung des Hauses sehr erschwerende Position eines Mieters eingeräumt werden sollte. Der Umstand, daß die Beklagte bis zur Einbringung der Räumungsklage, die ja von den Rechtsnachfolgern erhoben wurde, 6 Jahre im Haus gewohnt hat, spricht daher nicht für eine Zustimmung der anderen Miteigentümer zu einem Mietvertrag. Daß die Schwester Paula L., als sie im Jahre 1958 oder 1959 das erste Mal erfuhr, die Beklagte berufe sich auf einen Mietvertrag, diesem nicht zugestimmt hat, sondern darüber erstaunt war und sich übertölpelt gefühlt hat, hat das Erstgericht ausdrücklich festgestellt. Da damals bereits der Verkauf des Hauses erörtert wurde, hatte Paula L. keinen Anlaß, etwa im Wege eines Rechtsstreites die Rechtsverhältnisse mit der Beklagten zu klären. Sie war ja damit einverstanden, daß die Beklagte die Wohnung als Miteigentümerin benützt. Die Untergerichte haben daher mit Recht im Verhalten der Paula L. keine Zustimmung zu einem Mietvertrag erblickt.

Eine nachträgliche ausdrückliche Genehmigung des Mietvertrages mit der Beklagten durch die anderen Miteigentümer ist nach den Feststellungen der Untergerichte, die sich auf die Angaben der Beklagten selbst stützen, nicht erfolgt.

Die Untergerichte haben daher ohne Rechtsirrtum ausgeführt, daß die Beklagte die Wohnung nur auf Grund ihres Miteigentumsrechtes benützt hat und sie, weil dieses Recht jetzt erloschen ist, nunmehr ohne Rechtstitel benützt.

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