Spruch:
Verlängerung einer einstweiligen Verfügung ungeachtet des Ruhens des Verfahrens im Prozeß. Es kommt nicht darauf an, daß und wie lange der Prozeß ruht, sondern ob die gefährdete Partei beachtliche Gründe für ihr Verhalten ins Treffen führen kann.
Entscheidung vom 27. März 1963, 6 Ob 74/63.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger, ein Wiener Architekt, belangte im vorliegenden, seit 4. April 1960 anhängigen Prozeß den königlich ungarischen Leibgardefonds, vertreten durch den Stellvertretenden Präsidenten des Ministerrates der Ungarischen Volksrepublik auf Zahlung von 360.000 S s. A. auf Grund einer Provisionsvereinbarung bzw. deren angeblicher Umgehung anläßlich des Ankaufes der Liegenschaft EZ. 322, Grundbuch X., durch die Republik Österreich von der beklagten Partei. Der Kläger erwirkte auch bei Prozeßbeginn eine einstweilige Verfügung laut Beschluß vom 5. April 1960, mit welcher an die Republik Österreich ein Auszahlungs- und an die beklagte Partei ein Verfügungsverbot bezüglich einer Kaufpreisteilforderung von 400.000 S erlassen wurde. Diese einstweilige Verfügung wurde für die Zeit, bis der Kläger seinen Anspruch durch Zwangsvollstreckung oder Exekution zur Sicherstellung geltend machen könne, längstens aber bis 31. Dezember 1961, bewilligt. Mit Beschluß vom 15. Dezember 1961 wurde diese einstweilige Verfügung bis längstens 31. Dezember 1962 verlängert.
In der Sache selbst hatte bis dahin lediglich eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung, und zwar am 8. November 1961 stattgefunden, bei der ein Beweisbeschluß gefaßt worden war. Die nächste Tagsatzung war ebenfalls für den 15. Dezember 1961 anberaumt gewesen, doch trat Ruhen des Verfahrens ein, weil damals trotz ausgewiesener Zustellung niemand erschien.
Am 21. Dezember 1962 beantragte der Kläger, die einstweilige Verfügung neuerlich, und zwar bis 31. Dezember 1964, zu verlängern. Zur Begründung brachte er vor, es seien seit längerer Zeit Vergleichsverhandlungen im Gange, die aber im Hinblick auf die Person der beklagten Partei und den umständlichen diplomatischen Weg noch nicht beendet seien und noch lange Zeit andauern würden; die Verlängerung der einstweiligen Verfügung werde bis 31. Dezember 1964 erbeten, weil im Prozeß ein weitläufiges Beweisverfahren, zum Teil mit Einvernahme von Zeugen im Ausland, nötig wäre, das vorher keinesfalls rechtskräftig beendet wäre.
Das Erstgericht wies den Verlängerungsantrag ab; denn es entspräche nicht den Zwecken einer einstweiligen Verfügung, diese auch während des Ruhens des Verfahrens, für das keine gewichtigen Gründe bestunden, ad infinitum zu verlängern.
Zugleich mit seinem dagegen erhobenen Rekurs beantragte der Kläger die Fortsetzung des Verfahrens, weil die noch immer anhängigen Vergleichsverhandlungen bisher zu keinem Ergebnis geführt hätten.
Das Rekursgericht bewilligte die Verlängerung der einstweiligen Verfügung, allerdings nur bis längstens 31. Dezember 1963.
Der Oberste Gerichtshof gab dem dagegen erhobenen Revisionsrekurs der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Daß eine Verlängerung einer einstweiligen Verfügung grundsätzlich zulässig ist, bestreitet die beklagte Partei nicht. Schon das Erstgericht hat zutreffend erkannt, daß der Eintritt des Ruhens des Verfahrens einer Verlängerung der einstweiligen Verfügung nicht unter allen Umständen entgegensteht; es hat ja lediglich den Standpunkt eingenommen, es entspräche nicht den Zwecken der einstweiligen Verfügung, sie zu verlängern, wenn keine gewichtigen Gründe für das Ruhen des Verfahrens bestehen. Die Rechtslage ist hier nicht wesentlich anders als bei der Frage der gehörigen Prozeßfortsetzung im Zusammenhang mit dem Problem der Unterbrechung der Verjährung (§ 1497 ABGB.). Auch dazu hat die Judikatur die Leitsätze entwickelt, es komme nicht bloß darauf an, ob und wie lange der Kläger im Prozeß untätig war, sondern ob er beachtliche Gründe für seine prozessuale Untätigkeit ins Treffen führen kann (JBl. 1955 S. 552, EvBl. 1956 Nr. 189, EvBl. 1961 Nr. 80 u. a.). Nur nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles kann beurteilt werden, ob ein Kläger beharrlich untätig ist bzw. ob ihm angelastet werden muß, er verfolge sein Prozeßziel nicht mit dem nötigen Ernst.
Im vorliegenden Fall liegt die Zweckmäßigkeit von Vergleichsverhandlungen einerseits, ihre Schwierigkeiten und der mit ihnen notwendigerweise verbundene Zeitaufwand anderseits wohl auf der Hand. Die vom Kläger in seinem Verlängerungsantrag vom 21. Dezember 1962 ins Treffen geführten Umstände lassen auch ein Ruhen des Verfahrens durch mehr als ein Jahr noch gerechtfertigt erscheinen. Wenn die Rechtsmittelwerberin meint, der Kläger hätte zumindest gleichzeitig mit dem Verlängerungsantrag die Fortsetzung des Prozesses begehren sollen, ist sie darauf zu verweisen, daß der Kläger immerhin schon im Verlängerungsantrag wegen der langen Dauer der Vergleichsverhandlungen bereits die Fortsetzung des Prozesses ankundigte und auch mittlerweile bereits den diesbezüglichen Antrag stellte.
In der Bejahung des Sicherungsinteresses des Klägers bzw. in der Verlängerung der einstweiligen Verfügung durch die Rekursinstanz kann aus diesen Erwägungen keine Fehlentscheidung erblickt werden.
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