OGH 8Ob34/63

OGH8Ob34/6312.3.1963

SZ 36/37

Normen

ABGB §1304
ABGB §1326
ABGB §1304
ABGB §1326

 

Spruch:

Einfluß der Möglichkeit zumutbarer plastischer Operationen auf den Anspruch nach § 1326 ABGB.

Entscheidung vom 12. März 1963, 8 Ob 34/63.

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Am 28. April 1959 brannte der Erstbeklagte, der bei der Zweitbeklagten als Vorarbeiter beschäftigt ist, mit mehreren anderen Arbeitern außerhalb des Werkgeländes der Zweitbeklagten einen Bitumenkessel mit etwa 35 Tonnen Fassungsraum bei offener Flamme aus. Kinder aus den benachbarten Wohnbaracken, darunter auch die beiden Kläger, beobachteten diese Arbeiten aus nächster Nähe. Obwohl sie von den Arbeitern wiederholt vertrieben wurden, näherten sie sich immer wieder dem Kessel. Als dieser zum Ausfließen der Rückstände an einem Ende hochgestellt wurde, schoß aus der unteren Öffnung eine Stichflamme heraus, wodurch die in der Nähe stehenden Kinder - auch die am 12. August 1956 geborene Erstklägerin - schwere Brandwunden erlitten. Das gegen den Erstbeklagten und den Viertbeklagten als technischen Leiter des Betriebes der Zweitbeklagten eingeleitete Strafverfahren wegen §§ 335, 337 lit. a StG. wurde gemäß § 90 StPO. eingestellt. Die Mutter der beiden Kläger wurde wegen Übertretung gegen die Sicherheit des Lebens nach den §§ 376 und 335 StG. zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Der Drittbeklagte ist als Gesellschafter der Zweitbeklagten deren kommerzieller Leiter.

Die Erstklägerin begehrte u. a. 40.000 S für die Verhinderung ihres besseren Fortkommens.

Das Erstgericht sprach der Erstklägerin gegen die Zweit- bis Viertbeklagten aus diesem Rechtsgrund 30.000 S zu und wies das Mehrbegehren ab. Es sei eine Entstellung des Gesichtes und eine Beeinträchtigung der Mundbeweglichkeit gegeben. Mit Dauerfolgen sei zu rechnen, auch wenn plastische Operationen, welche ärztlicherseits späterhin unbedingt notwendig würden, einen Erfolg aufzuweisen hätten. Es könne noch nicht vorausgesagt werden, wieviele plastische Operationen vorgenommen werden müßten und welchen Erfolg sie hätten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Erstklägerin nicht Folge, änderte hingegen im Sinne der Berufung der Zweit- bis Viertbeklagten das erstgerichtliche Urteil in gänzliche Abweisung des Begehrens der Erstklägerin gemäß § 1326 ABGB. ab. Das Berufungsgericht ergänzte das Beweisverfahren durch neuerliche Vernehmung des Sachverständigen Primarius Dr. M. darüber, in welchem Lebensalter der Erstklägerin die plastischen Operationen durchgeführt und wann sie beendet werden könnten. Das Berufungsgericht übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen bis auf die Feststellung, daß eine gewisse Entstellung des Gesichtes der Erstklägerin und eine Behinderung im Mundbereich als Dauerfolgen zu erwarten seien. Diesbezüglich stellte das Berufungsgericht folgendes fest: Mit den plastischen Operationen, denen sich die Erstklägerin nach ihrer Erklärung auf jeden Fall zu unterziehen gedenke, könne nach Beendigung ihres ersten Volksschuljahres, also zu Beginn der großen Ferien 1963, begonnen werden. Diese Operationen dürften voraussichtlich in etwa zwei bis drei Jahren beendet sein. Es könne heute noch nicht vorhergesagt werden, ob es dadurch zu einer 100%igen Restitution kommen werde. Die Erstklägerin stehe erst am Beginn des schulpflichtigen Alters. Es könne zumindest für die nächsten acht Jahre von einem Fortkommen im Sinne des § 1326 ABGB. nicht gesprochen werden. Später könnte die Erstklägerin in ihrem besseren Fortkommen behindert werden, wenn die Verunstaltung auch nur annähernd im gegenwärtigen Ausmaß verbliebe. Die plastischen Operationen der Erstklägerin ließen jedoch erwarten, daß die Verunstaltung zumindest teilweise verschwinden werde, bevor noch die Erstklägerin in ein Lebensalter eintrete, in dem ihr besseres Fortkommen im wirtschaftlichen Sinn oder ihre Heiratsaussichten beeinträchtigt werden könnten. Erst nach Beendigung dieser Operationen könne gesagt werden, ob durch eine etwa verbleibende Beeinträchtigung des Äußeren der Erstklägerin ihr besseres Fortkommen behindert werde. Ihre Verunstaltung sei sohin noch keine endgültige, weshalb dieser Teil des Klagebegehrens als verfrüht abzuweisen gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Erstklägerin Folge, hob die untergerichtlichen Urteile in ihrem Ausspruch über das Begehren der Erstklägerin auf Zahlung von 40.000 S samt Anhang als Ersatz für die Verhinderung ihres besseren Fortkommens auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Wird jemand durch eine Verletzung verunstaltet, dann steht ihm ein Ersatzanspruch nach § 1326 ABGB. insoweit zu, als sein besseres Fortkommen verhindert werden kann. Ist die Verunstaltung eine dauernde, dann gebührt nach Lehre und Rechtsprechung der Ersatz nach § 1326 ABGB. schon dann, wenn die Möglichkeit der Behinderung des besseren Fortkommens besteht (Wolff in Klang, Komm.[2], VI., zu § 1326 ABGB., S. 145 f., bei Anm. 22 und 23, ZVR. 196), Nr. 118, 1962, Nr. 1961. also auch dann, wenn der Ersatzanspruch nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht mit Sicherheit zu erwarten und es somit ungewiß ist, ob der Schaden überhaupt einmal eintreten werde. Auch im Falle einer vorübergehenden Verunstaltung kann Ersatz begehrt werden, aber nur dann, wenn die Verunstaltung während ihrer Dauer das bessere Fortkommen des Verletzten behindern kann, wenn dieser also gerade in diesem Zeitraum eine sich bietende günstige Gelegenheit durch die Verunstaltung verlieren kann (ZVR. 1956 Nr. 103, Wolff, a. a. O., S. 146, letzter Absatz).

Das Berufungsgericht ging zwar zutreffend von diesen rechtlichen Erwägungen aus, meinte aber, daß vor Vornahme der plastischen Operationen an der Erstklägerin nicht gesagt werden könne, ob die Verunstaltung eine dauernde oder eine bloß vorübergehende sei, weshalb das auf § 1326 ABGB. gestützte Klagebegehren dermalen abzuweisen gewesen sei.

Das Berufungsgericht hat hiebei offenbar unterstellt, daß sich die Erstklägerin in Erfüllung ihrer Rettungspflicht den plastischen Operationen unterziehen müßte. Ob dies aber der Fall ist, kann auf Grund der derzeitigen Aktenlage nicht eindeutig beurteilt werden, weil es an den erforderlichen Feststellungen fehlt. Die Rettungspflicht besagt, daß der Verletzte die Folgen seiner Beschädigung nicht durch Unterlassung der entsprechenden Behandlung vergrößern oder verlängern dürfe (JBl. 1958, S. 550, RiZtg. 1932, S. 55, Wolff, a. a. O., zu § 1304 ABGB., S. 58). So wird sich der Verletzte auch im Rahmen der ihn treffenden Rettungspflicht einer Operation unterziehen müssen, jedoch nur dann, wenn diese ihm unter den gegebenen Umständen (im Hinblick auf die mit der Operation verbundenen Gefahren und Schmerzen, auf die Wahrscheinlichkeit und Wichtigkeit des Erfolges der Operation) zuzumuten ist (Wolff, a. a. O., S. 59, 143). In der Entscheidung ZVR. 1956, Nr. 103) wurde ausgesprochen, daß der Verletzten die Vornahme einer kosmetischen Operation zuzumuten ist, wenn die Narben durch einen nicht sehr schmerzhaften Eingriff so weit beseitigt werden können, daß sie kosmetisch fast nicht mehr stören. In den nicht veröffentlichten Entscheidungen 2 Ob 30/60 und 2 Ob 68/60 wurde darauf abgestellt, daß vom fachärztlichen Standpunkt aus eine Arthrodese, durch welche die beim Unfall beschädigte Hüfte schmerzfrei gemacht werden könnte, als eine große, mit heftigen Schmerzen verbundene Operation anzusehen sei, die mit Rücksicht auf die Schwere des Eingriffes der Verletzten nicht zuzumuten wäre.

Das Berufungsgericht hat sich mit der Frage der Rettungspflicht der Erstklägerin nicht auseinandergesetzt. Aus dem im übrigen ohne nähere Begründung gemachten Hinweis des Berufungsgerichtes, daß die plastischen Operationen bei der Erstklägerin ärztlicherseits notwendig seien, folgt für die Frage der Zumutbarkeit dieser Operationen überhaupt nichts. Selbst wenn die Erstklägerin in diesem Verfahren erklärt hätte, sich den plastischen Operationen zu unterziehen, käme dieser Erklärung insoferne keine Bedeutung zu, als die Erstklägerin ihre Einwilligung zur Vornahme der plastischen Operationen ja wieder zurücknehmen könnte. Entscheidend ist lediglich, ob der Erstklägerin die Vornahme der plastischen Operationen zumutbar ist. In dieser Richtung fehlt es jedoch an jeglichen Feststellungen, so insbesondere über die voraussichtliche Dauer der einzelnen plastischen Operationen und des allfälligen stationären Aufenthaltes der Erstklägerin, über Art und Schwere der Schmerzen bei solchen Operationen, über die Erfolgsaussichten und auch darüber, ob eine Verschlechterung des Zustandes der Erstklägerin infolge der Operationen ausgeschlossen werden kann.

Es liegen demnach Feststellungsmängel vor, die zur Aufhebung der Urteile der Untergerichte und zur Rückverweisung der Sache an das Erstgericht führen.

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