OGH 2Ob47/63

OGH2Ob47/6328.2.1963

SZ 36/32

Normen

Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz §11
Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz §11

 

Spruch:

Serienunfall: Nur wenn eine Ersatz- und sohin eine Ausgleichspflicht besteht, kann es zu einer Abwägung der beiderseitigen Betriebsgefahren und deren Ursächlichkeit für den Unfall kommen.

Entscheidung vom 28. Februar 1963, 2 Ob 47/63.

I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Am 16. Dezember 1960 gegen 1/4 10 Uhr abends ereignete sich auf der Bundesstraße 1 im Gemeindegebiet von P. ein Serienunfall, bei dem der Kraftwagen einen Totalschaden erlitt.

Zur Unfallszeit herrschte dichter Nebel, die Straße war stellenweise eisglatt und nicht bestreut. Ein von Josef T. gelenkter Lastkraftwagenzug hatte auf der rechten Fahrbahnseite angehalten. Auf ihn war ein von August R. gelenkter Lieferwagen Marke Tempo aufgefahren. Auf diesen Lieferwagen fuhr der von Sebastian B. gelenkte Personenkraftwagen Marke Opel-Rekord des Klägers, in dem auch dessen Gattin mitfuhr, auf, weil der Bremsversuch, den Sebastian B. einleitete, als er bei einer Fahrgeschwindigkeit von 30 bis 35 km/h im Abblendlicht auf eine Entfernung von 10 bis 15 m den unbeleuchteten Lieferwagen sah, keinen vollen Erfolg hatte. Durch den schwachen Anstoß an das hintere Ende des Lieferwagens wurde die Motorhaube des Opel-Rekord, der parallel zur Fahrbahnachse auf der rechten Straßenseite zum Stillstand kam, stark eingedellt. Die Beleuchtung an der Rückseite blieb intakt. Sebastian B. und die Gattin des Klägers verließen den Wagen und bewegten sich am Fahrbahnrand rückwärts, um durch Winken weitere Fahrzeuge zu warnen. Nach ein bis zwei Minuten kam der Erstbeklagte mit seinem Personenkraftwagen Marke Fiat 1800 mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h heran, übersah die Winkzeichen des Sebastian B. und fuhr, da er durch Bremsen den Anstoß nicht mehr verhindern konnte, mit dem rechten vorderen Scheinwerfer gegen die linke Seite des Kofferraumdeckels des Wagens des Klägers. Durch den Anstoß wurde dieser schräg nach rechts mit dem Vorderteil gegen den Fahrbahnrand verschoben, während das Fahrzeug des Erstbeklagten quer über die rechte Fahrbahnhälfte mit dem Kühler zur Fahrbahnmitte zu stehen kam. Wieder ein bis zwei Minuten später kam ein von Johann F. gelenkter, der zweitbeklagten Partei gehöriger Lastkraftwagen Marke Gräf & Stift mit einer Geschwindigkeit vom 30 km/h. Fischer sah lediglich die Beleuchtung des Fiat 1800, betätigte die Motorbremse, fuhr jedoch infolge Vereisung, die er vorher nicht bemerkt hatte, gegen den Wagen des Erstbeklagten, wodurch die beiden vor ihm befindlichen Fahrzeuge zusammengequetscht und total beschädigt wurden. Die Behebung der Schäden, die am Opel- Rekord einerseits durch den Anprall an den Lieferwagen rechts vorne, anderseits durch den Anstoß des Fiat 1800 links hinten entstanden waren, hätte einen Aufwand von je 3000 S erfordert. Alle übrigen Schäden entstanden durch den Aufprall des Lastkraftwagens der zweitbeklagten Partei. Der Zeitwert des Opel-Rekord betrug vor dem Unfall 40.000 S, für das Wrack erzielte der Kläger 5400 S. Auch nach Behebung der in den beiden ersten Phasen entstandenen Schäden wäre eine Wertminderung von 500 S je Unfallsphase zurückgeblieben.

Der Kläger nimmt die Beklagten zur ungeteilten Hand auf Schadenersatz - sowohl wegen Verschuldens als auch nach dem EKHG. - in Anspruch. Er begehrte 40.000 S für den total beschädigten Kraftwagen, 1118 S 50 g für verschiedene unfallskausale Kosten und 4371 S 80 g für die Miete eines Ersatzfahrzeuges in der Zeit zwischen dem Unfall und der Lieferung des neuen Wagens, zusammen 45.490 S 30 g.

Dem Kläger ist Josef T., der Lenker eines der an dem Serienunfall beteiligten Kraftfahrzeuge, im Rechtsstreit beigetreten.

Die Beklagten bestritten die Ansprüche dem Grund und teilweise auch der Höhe nach. Der Erstbeklagte wendete compensando den an seinem Fahrzeug entstandenen Totalschaden in der Höhe von 43.500 S ein.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagten solidarisch zur Zahlung von 8490 S 30 g samt stufenweisen Zinsen, ferner den Erstbeklagten allein zur Zahlung weiterer 500 S samt Zinsen, die zweitbeklagte Partei allein zur Zahlung weiterer 31.600 S samt Zinsen an den Kläger. Das gegen den Erstbeklagten auf Zahlung weiterer 36.500 S und gegen die zweitbeklagte Partei auf Zahlung weiterer 5400 S je samt Zinsen gerichtete Klagebegehren wies es ab.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen der beklagten Parteien nicht Folge.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der zweitbeklagten Partei teilweise Folge und verurteilte sie lediglich zur Bezahlung eines Betrages von 36.090 S 30 g samt 9% Zinsen aus 30.600 S und 4% Zinsen aus 5490 S 30 g je ab 1. Jänner 1961; er sprach aus, daß hinsichtlich eines Betrages von 5490 S 30 g die zweitbeklagte Partei zur ungeteilten Hand mit der erstbeklagten Partei hafte. Das Mehrbegehren, die zweitbeklagte Partei sei ferner schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 9400 S samt 9% Zinsen seit 1. Jänner 1961 zu bezahlen, wurde abgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Rechtsrüge der Revision macht gegen die Annahme eines Verschuldens des Johann F. als Lenkers des Lastkraftwagens geltend, daß Johann F., der die Lichter des Fiat 1800 auf der linken Fahrbahnhälfte gesehen habe, nicht damit habe rechnen können, daß auf seiner rechten Fahrbahnseite unbeleuchtete Fahrzeuge abgestellt seien.

Darauf ist jedoch zu erwidern, daß nach der unbekämpft gebliebenen Feststellung des Erstgerichtes Johann F. aus den "auf der linken Seite", nicht aber auf der linken Fahrbahnhälfte befindlichen Lichtern des Fiat 1800 ein Hindernis erkannte, dies obwohl er extrem rechts gefahren ist. Festgestellt ist auch, daß nach dem Anstoß des Fiat 1800 an den Opel-Rekord die - rechte - Fahrbahnhälfte blockiert war. Bei dieser Sachlage kann durch das wiedergegebene Revisionsvorbringen keineswegs der Vorwurf widerlegt werden, Johann F. habe gegen den auf § 18 StPolG. beruhenden Grundsatz des Fahrens auf Sicht verstoßen.

Die Revision wendet sich weiter gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, dem Lenker Sebastian B. könne ein Verschulden wegen unterlassener Sicherung der Gefahrenstelle nach dem Anstoß des Fiat 1800 an den Opel-Rekord nicht angelastet werden; sie meint, B. hätte dem Lastkraftwagen der zweitbeklagten Partei entgegenlaufen und auf diese Weise dessen Lenker warnen müssen. Diesem Vorbringen gegenüber ist auf die Feststellung der Vorinstanzen zu verweisen, daß Sebastian B. nach dem Anstoß des von ihm gelenkten Wagens an den Lieferwagen in die Gegenrichtung ging, um durch Winken weitere Fahrzeuge zu warnen, ferner, daß er dem Erstbeklagten jedenfalls auch tatsächlich Winkzeichen gab. Wenn sich Sebastian B. nach dem Anstoß des Fiat 1800 weiterhin etwa 15 m hinter seinem Fahrzeug aufhielt, so war eine derartige Aufstellung überhaupt nur dann sinnvoll, wenn er auch von dieser Stelle aus bestrebt war, weitere nachfolgende Fahrzeuglenker zu warnen. Die Richtigkeit der von der Revision bekämpften Ansicht des Berufungsgerichtes, es wäre in der letzten Unfallsphase überhaupt nicht mehr Sebastian B., sondern der Erstbeklagte verpflichtet gewesen, nachkommende Fahrzeuge zu warnen, kann daher auf sich beruhen. Das zur Unfallszeit in Geltung gestandene Straßenpolizeigesetz enthielt außer den in § 19 enthaltenen Anordnungen keine konkreten Bestimmungen über die Pflichten des Lenkers eines zum Stillstand gelangten Fahrzeuges. Der Umfang dieser Pflichten, die sich aus der gegebenen Verkehrslage für Sebastian B. ergaben, kann daher nur aus der allgemeinen Vorschrift des § 7 StPolG. abgeleitet werden. Die Annahme eines als Verschulden zu beurteilenden Verstoßes gegen die dort verankerten Pflichten haben die Vorinstanzen auf Grund des festgestellten Sachverhaltes ohne Rechtsirrtum abgelehnt.

Vergeblich bekämpft die Revision die bei Veit, EKHG.[2] S. 138 Fußnote 5, vertretene Ansicht, daß die Ausgleichspflicht im Sinn des § 11 EKHG. die Schadenersatzpflicht voraussetze. In der in SZ. XXVII 214 veröffentlichten Entscheidung hat auch der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß nur derjenige bei der Schadensverteilung im Sinn des - im wesentlichen der Bestimmung des § 11 (1) EKHG. entsprechenden - § 17 KraftfVerkG. herangezogen werden kann, der - gleichgültig auf welcher Rechtsgrundlage - ersatzpflichtig ist. Aus den übrigen von der Revision angeführten Entscheidungen lassen sich Anhaltspunkte für eine gegenteilige Ansicht nicht gewinnen; wohl aber ergibt sich aus ihnen die auch vom Berufungsgericht nicht abgelehnte Auffassung, daß bei der Schadensteilung nach § 11 (1) EKHG. nicht nur das Verschulden, sondern auch die Verursachung zufolge der Haftung für die Betriebsgefahr zu berücksichtigen ist. Eine vom Kläger zu vertretende Verursachung der letzten Unfallsphase durch den Lenker Sebastian B. anzunehmen, besteht jedoch kein Grund, zumal nach den vorliegenden Feststellungen Sebastian B. jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat (§ 9 (2) EKHG.). Verfehlt ist auch die Ansicht der Revision, daß mit Rücksicht auf die Beteiligung von fünf Kraftfahrzeugen an dem gegenständlichen Unfall die zweitbeklagte Partei dem Kläger nur für 20% seines Ersatzanspruches hafte. Ein Ausgleichungsanspruch kann jeweils nur zwischen den einander als Kläger und Beklagte gegenüberstehenden Verfahrensbeteiligten in Frage kommen. Die Frage, inwieweit andere Unfallsbeteiligte den Schaden mitverursacht haben, ist nicht Gegenstand der Entscheidung.

Die Revision vermißt eine ausreichende Begründung für die von ihr als rechtsirrig bekämpfte Ansicht des Berufungsgerichtes, die zweitbeklagte Partei könne sich nicht darüber beschweren, daß nicht die solidarische Mithaftung des Erstbeklagten hinsichtlich des gesamten der zweitbeklagten Partei zur Zahlung auferlegten Betrages ausgesprochen wurde. Auch hier kommt ihr Berechtigung nicht zu. Nur der Kläger als Geschädigter war berechtigt, die Solidarhaftung der Schädiger in Anspruch zu nehmen (§ 1301 ABGB.). Hätte er von diesem Recht keinen Gebrauch gemacht, so hätte für die Beklagten jedenfalls keine Möglichkeit bestanden, ihre Solidarhaftung einzuwenden. Nur das Begehren des Klägers auf Solidarhaftung der Schädiger war daher Prozeßgegenstand. Welche Folgerungen sich aus der angenommenen Solidarhaftung für die Gesamtschuldner ergeben, bestimmt § 896 ABGB. Darüber hinaus steht - worauf der Kläger als Revisionsgegner zutreffend verwiesen hat - dem Verlangen der zweitbeklagten Partei der Umstand entgegen, daß das Ersturteil in Ansehung des Erstbeklagten vom Berufungsgericht bestätigt und damit (infolge der Revisionsbeschränkung gemäß § 502 (3) ZPO.) rechtskräftig wurde und somit der Umfang der Haftung dieses Beklagten endgültig festgelegt ist. Dies gilt aber auch im gleichen Maß hinsichtlich der vom Erstbeklagten ohne Erfolg eingewendeten Gegenforderung, weshalb es sich erübrigt, auf das von der zweitbeklagten Partei in diesem Belang behauptete materiellrechtliche Interesse einzugehen.

Obwohl sich somit das gesamte Revisionsvorbringen als nicht stichhältig erweist, gelangte das Revisionsgericht zu einer teilweisen Abänderung des berufungsgerichtlichen Urteils aus nachstehenden Erwägungen:

Beide Vorinstanzen sind davon ausgegangen, daß sich die Schäden, die in den einzelnen Unfallsphasen am Wagen des Klägers entstanden, ziffernmäßig bestimmen ließen und daß der Erstbeklagte einen Minderwert von 500 S sowie Reparaturkosten von 3000 S verursacht hat. Während das Erstgericht nun die Wertminderung nur dem Erstbeklagten zurechnete, bejahte es die Solidarhaftung der zweitbeklagten Partei mit dem Erstbeklagten für die Reparaturkosten, und zwar mit der vom Berufungsgericht offenbar gebilligten Begründung, daß erst der letzte Anstoß den Totalschaden herbeigeführt und die Reparatur der vom Erstbeklagten verursachten Schäden vereitelt habe. Diese Auffassung würde jedoch zu dem Ergebnis führen, daß die zweitbeklagte Partei für einen Schaden mithaften würde, den der Erstbeklagte - ebenso wie den Minderwert von 500 S - allein angerichtet hat. Die Ansicht des Erstgerichtes wäre nur dann richtig, wenn die vom Erstbeklagten zugefügten, mit einem Aufwand von 3000 S behebbaren Schäden bereits wieder behoben gewesen wären, als der Wagen des Klägers durch den letzten Anstoß total beschädigt wurde. Da nach § 1302 ABGB. jeder nur den durch sein Versehen verursachten Schaden verantwortet, sofern sich die Anteile bestimmen lassen, vermindert sich demnach der Betrag, für den die zweitbeklagte Partei aus dem Titel des Totalschadens zur ungeteilten Hand mit dem Erstbeklagten haftet, um 3000 S. Diesen von der zweitbeklagten Partei nicht aufgezeigten Rechtsirrtum konnte das Revisionsgericht im Rahmen der Rechtsrüge und des auf vollständige Klagsabweisung gerichteten Revisionsantrages wahrnehmen.

Die Rechtsrüge gab überdies Anlaß, einen dem Erstgericht bei der Berechnung des Totalschadens mit 34.600 S unterlaufenen, auch vom Berufungsgericht nicht wahrgenommenen Rechenfehler zu beheben.

Ausgehend von einem Zeitwert von .................... 40.000 S

abzüglich der durch die Anstöße an den Tempo-Lieferwagen einerseits

und des Fiat 1800 anderseits verursachten Wertminderung von

........... 1.000 S sowie des Wrackwertes von

........................... 5.400 S -------- ergibt sich ein

Schaden von ......................... 33.600 S

Nach Abzug der vorher besprochenen .................. 3.000 S ----

---- verbleibt ein von der zweitbeklagten Partei zu vertretender

Totalschaden von ....................... 30.600 S zu dem die

Auslagen für das Ersatzfahrzeug und für verschiedene kleinere

Aufwendungen im nicht bekämpften Betrag von

............................... 5.490 S 30 g ------------- kommen,

sodaß die gesamte Schuld der zweitbeklagten Partei

.............................................. 36.090 S 30 g

beträgt, wobei sich die Solidarhaftung der zweitbeklagten Partei mit

dem Erstbeklagten nicht auf 8490 S 30 g, sondern richtig auf

......................................... 5.490 S 30 g erstreckt.

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