OGH 2Ob25/63

OGH2Ob25/6331.1.1963

SZ 36/17

Normen

ABGB §879 (2) Z4
ABGB §1380
ABGB §879 (2) Z4
ABGB §1380

 

Spruch:

Wenn ein Abfindungsvergleich wegen Wuchers als nichtig angefochten wird, so muß bei der Bewertung von Leistung und Gegenleistung auch das Prozeßrisiko einkalkuliert werden.

Entscheidung vom 31. Jänner 1963, 2 Ob 25/63.

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Der Kläger hat am 17. März 1960 als Fußgänger in Klagenfurt dadurch einen Unfall erlitten, daß er von dem durch den Beklagten gelenkten Personenkraftwagen erfaßt und zu Boden geschleudert wurde. Wegen dieses Verkehrsunfalles ist der Beklagte rechtskräftig der Übertretung gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 StG. schuldig erkannt worden; auch gegen den Kläger war Anklage wegen Übertretung nach § 431 StG. erhoben worden; von dieser Anklage ist aber der Kläger gemäß § 259/3 StPO. freigesprochen worden. Im Wege der Schadensberatungsgesellschaft X trat der Kläger in Vergleichsverhandlungen mit dem Haftpflichtversicherer des Beklagten, der Versicherungsanstalt Y; am 9. Dezember 1960 kam ein Vergleich zwischen dem Kläger und dem genannten Haftpflichtversicherer zustande, wonach dem Kläger "zur restlosen Erledigung der Schadenangelegenheit und zum Ausgleich der Ansprüche" gegen den Beklagten aus dem Verkehrsunfalle vom 17. März 1960 der Betrag von 52.463 S 96 g (darunter an Schmerzengeld 25.000 S und an Ersatz des Verdienstentgangs 24.000 S) bezahlt wurde; im bezogenen Vergleiche wurde festgelegt, daß alle wie immer gearteten Ansprüche des Klägers aus diesem Schadensfalle durch Bezahlung dieses Betrages für Vergangenheit und Zukunft vollkommen verglichen und erledigt seien; dies gelte auch für den Fall, als dem Kläger aus dem Unfalle in Hinkunft Nachteile erwachsen sollten, die er bei Vergleichsabschluß noch nicht gekannt habe. In der am 7. Februar 1962 erhobenen Klage stellt der Kläger das Begehren auf Feststellung, daß der Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger jeden künftig fällig werdenden Schaden aus dem vom Beklagten allein verschuldeten Unfall vom 17. März 1960 ... zu ersetzen, ferner verlangt der Kläger, den Beklagten zur Zahlung einer Rente von monatlich 3800 S ab 1. Jänner 1961 an ihn als Ersatz des Verdienstentganges zu verurteilen; die Abfindungserklärung vom 9. Dezember 1960 sei nichtig. Der Beklagte hat Grund und Höhe des Anspruchs bestritten.

Das Erstgericht hat das Verfahren auf den Grund des Anspruchs eingeschränkt und das bezeichnete Feststellungs- und Rentenleistungsbegehren abgewiesen. Der Kläger habe schon vor Abschluß des Abfindungsvergleiches damit gerechnet, daß er künftig nicht mehr imstande sein werde, seine Vertretertätigkeit im Außendienste auszuüben; abgesehen davon habe der Kläger einige Zeit nach dem Unfall seine Vertretertätigkeit wiederaufgenommen; der Haftpflichtversicherer des Beklagten habe nicht die wirtschaftliche Zwangslage des Klägers ausgenützt, um sich dadurch wesentliche Vorteile zu verschaffen; vielmehr habe der Haftpflichtversicherer dem Kläger auf dessen Verlangen die nach der Berufserfahrung als Schadenersatz aus dem Verkehrsunfalle vom 17. März 1960 als angemessen befundene Schadenssumme bezahlt; dafür habe er die Abfindungserklärung verlangt und der Kläger habe sie ihm auch gegeben.

Das Berufungsgericht bestätigte.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es entspricht der Lehre und ständigen Rechtsprechung (vgl. z. B. ZVR. 1959, Nr. 26), daß der Geschädigte weitere Ersatzansprüche gegen den Schädiger aus dem Titel des Auftretens neuer Unfallsfolgen nicht mit Erfolg stellen kann, wenn die Parteien vereinbart haben, daß durch die im Vergleich festgesetzten Zahlungen sämtliche wie immer gearteten Ansprüche ein für allemal abgegolten sein sollen; ein solcher Verzicht ist ja zulässig, weil der Geschädigte im allgemeinen auf ihm zustehende Schadenersatzansprüche zur Gänze verzichten kann. Diese Beurteilung der Untergerichte bekämpft der Revisionswerber nicht und er hält nach dem Inhalte der Ausführungen der Rechtsrüge auch seine Anfechtung des Abfindungsvergleichs vom 9. Dezember 1960 wegen Irrtums nicht aufrecht; er vertritt aber auch in dritter Instanz die Auffassung, daß der bezeichnete Abfindungsvergleich wegen der Voraussetzungen des § 879 (2) Z. 4 ABGB. (Wucher) nichtig sei, so daß die oben erwähnte Generalklausel über die Abgeltung aller wie immer gearteten Schäden des Klägers aus dem Verkehrsunfalle vom 17. März 1960 seinem nunmehr erhobenen Schadenersatzbegehren nicht entgegenstehe. Dieser Ansicht des Revisionswerbers kann auf der Grundlage der in dritter Instanz maßgeblich gebliebenen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanzen nicht beigepflichtet werden. Denn der Revisionswerber weist zwar richtig auf seine Zwangslage hin; diese Zwangslage umfaßt ja alle Fälle, in denen die besonderen Verhältnisse dem Betroffenen nur die Wahl lassen, entweder auf einen für ihn ungünstigen Vertrag einzugehen oder einen noch größeren Nachteil zu erleiden (vgl. z. B. ZBl. 1930, Nr. 267), und in der Lehre (vgl. Gschnitzer in Klang[2], IV, S. 203) ist anerkannt, daß auch eine vorübergehende Zwangslage hinreicht, wenn der Bewucherte ihr Ende nicht abwarten kann. Dies haben aber auch die Untergerichte nicht verkannt. Wenn sie trotzdem die Voraussetzungen für die Anfechtung des Abfindungsvergleichs vom 9. Dezember 1960 aus dem Gründe des § 879 (2) Z. 4 ABGB. verneint haben, dann ist der von der Revision gerügte Rechtsirrtum nicht zu erkennen, weil der Wuchertatbestand auch Unverhältnismäßigkeit von Leistung und Gegenleistung sowie Ausbeutung durch den Vertragspartner verlangt; von der für den Wucherbegriff geforderten Maßlosigkeit der Gegenleistung (vgl. Gschnitzer, a. a. O., S. 203) kann aber vorliegendenfalls nicht die Rede sein. Bei der Bewertung von Leistung und Gegenleistung in einem Abfindungsvergleich muß ja das Prozeßrisiko einkalkuliert werden und das Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung muß dem Wucherer bekannt gewesen sein oder zumindest hätte er sich dieses Mißverhältnisses bewußt sein müssen (vgl. Gschnitzer, a. a. O., S. 204 ff., sowie die dortselbst bezogene Judikatur). Der Revisionswerber läßt die Bedeutung des Prozeßrisikos vollständig unberücksichtigt und kommt damit bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Tragweite des Abfindungsvergleichs vom 9. Dezember 1960 zu einem unhaltbaren Ergebnis. Selbst die Frage des Eigenverschuldens des Klägers neben dem unbestrittenen Verschulden des Beklagten am Verkehrsunfalle vom 17. März 1960 war vor der vergleichsweisen Regelung offen geblieben und bei der Ausübung des Vertreterberufs des Klägers war für diesen der Verdienstentgang nicht leicht darzutun und auch die Frage der Dauer und des Grades der unfallsbedingten Erwerbsbeeinträchtigung beim Kläger war ungewiß. Werden diese Umstände berücksichtigt, dann ergibt sich weder eine Unverhältnismäßigkeit von Leistung und Gegenleistung noch ein Anhaltspunkt für die vom Kläger geltend gemachte Ausbeutung seiner Zwangslage durch den Gegner. Demnach muß auch die Rechtsrüge (§ 503 Z. 4 ZPO.) erfolglos bleiben.

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