OGH 7Ob14/63

OGH7Ob14/6330.1.1963

SZ 36/14

Normen

ABGB §784
ABGB §1487
ABGB §784
ABGB §1487

 

Spruch:

Die Pflichtteilsklage (Pflichtteilsergänzungsklage) ist ab Testamentskundmachung möglich.

Entscheidung vom 30. Jänner 1963, 7 Ob 14/63.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger und die drei Vertreterinnen der geklagten Verlassenschaft sind auf Grund des am 18. Februar 1959 kundgemachten Testaments zu je 1/5 erbserklärte Erben nach der am 5. Februar 1959 verstorbenen Gutsbesitzerin M. J. J. Th. Der Kläger und die Drittvertreterin der Verlassenschaft M. L. B. (Sohn und Tochter der Erblasserin) haben außerdem auf Grund des Gesetzes zu den restlichen je 1/10 des Nachlasses die unbedingte, vom Verlassenschaftsgericht angenommene Erbserklärung abgegeben.

Mit der vorliegenden, am 18. Jänner 1962 überreichten Klage begehrt der Kläger von der durch seine drei Miterben vertretenen Verlassenschaft unter Abzug des Wertes der ihm von der Verstorbenen letztwillig übertragenen Vermögenschaften aus dem Titel seines Pflichtteilsanspruches einen Betrag von 105.603 S.

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Es führte in rechtlicher Beziehung aus, daß gemäß § 784 ABGB. zur richtigen Ausmessung des Pflichtteiles eine genaue Beschreibung und Schätzung aller zur Verlassenschaft gehörigen beweglichen und unbeweglichen Sachen, Rechte und Forderungen vorgeschrieben sei und Schulden sowie andere Lasten, welche schon bei Lebzeiten des Erblassers auf dem Vermögen hafteten, von der Masse abzurechnen seien. Daraus ergebe sich, daß vor einer Feststellung des reinen Nachlasses durch das Verlassenschaftsgericht über die Höhe des Pflichtteiles nicht entschieden werden könne und die Leistungsklage vor diesem Zeitpunkt verfrüht sei. Einer allfälligen Verjährung der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches könne durch eine Feststellungsklage vorgebeugt werden. Da das Verlassenschaftsgericht über den reinen Nachlaß noch nicht Beschluß gefaßt habe, habe die Klage als verfrüht abgewiesen werden müssen.

Das Berufungsgericht gab er Berufung des Klägers statt und hob das Ersturteil unter Rückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht mit Rechtskraftvorbehalt auf. Es führte aus, daß der Pflichtteilsberechtigte als Nachlaßgläubiger anzusehen sei, der gleich anderen Gläubigern die Berechtigung seiner Forderung ohne unnötigen Aufschub (§ 904 ABGB.) verlangen könne. Es habe nach gesetzlicher Vorschrift (§ 784 ABGB.) zur Berechnung des Pflichtteils allerdings eine gerichtliche Schätzung des Nachlaßvermögens stattzufinden. Auch Weiß in Klang[2] III S. 871, vertrete die gleiche Auffassung. Er führe weiters aus (a. a. O., S. 869), daß die Fertigstellung des Nachlaßinventars gewiß keine formale Voraussetzung für die Zulässigkeit der Pflichtteilsklage sei; es könne der Pflichtteilsberechtigte den Wert des Nachlasses selbständig im Prozeß unter Beweis stellen. Dafür spreche auch die kurze Verjährungsfrist der Pflichtteilsklage nach § 1487 ABGB. Wenn weiter beachtet werde, daß diese Verjährung mit der Testamentskundmachung zu laufen beginne, mithin für die Frage der Verjährung die Errichtung des Inventars ohne Bedeutung sei, werde die Überzeugung erhärtet, daß das Recht, den Pflichtteil zu verlangen, nicht von der Errichtung des Inventars im Verlassenschaftsverfahren abhängig sei. Es enthalte auch § 784 ABGB. keine Vorschrift darüber, ob die dort geforderte Beschreibung und Schätzung des Nachlasses im Prozeß- oder im Verlassenschaftsverfahren durchzuführen sei. § 804 ABGB. räume dem Pflichtteilsberechtigten zwar das Recht ein, die Errichtung des Inventars im Verlassenschaftsverfahren zu verlangen, verpflichte ihn aber nicht dazu. Im vorliegenden Fall sei auf Antrag des Klägers im Verlassenschaftsverfahren zwar die Errichtung des Inventars angeordnet und gemäß § 93 AußStrG. einem öffentlichen Notar übertragen worden. Dies hindere den Kläger jedoch nicht, auf dem einzigen ihm offenstehenden Weg, das sei der Prozeßweg, den Pflichtteil zu fordern. Eine Feststellungsklage, die das Erstgericht in Betracht zog, wäre wegen der Möglichkeit der Anbringung der Leistungsklage abzuweisen gewesen. Das Ersturteil habe wegen des Fehlens von Feststellungen über den Wert des Nachlasses aufgehoben werden müssen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Bei der rechtlichen Beurteilung der Streitsache ist davon auszugehen, daß nach ständiger Rechtsprechung und Lehre (JBl. 1954 S. 462, JBl. 1957 S. 414; Klang[2] VI S. 628) die Verjährung des Anspruches auf Leistung des Pflichtteiles oder der Pflichtteilsergänzung mit der Kundmachung des Testaments zu laufen beginnt, unabhängig davon, ob der Pflichtteilsberechtigte bei der Testamentskundmachung zugegen war, ferner ob, wann und durch wen er von dem Inhalt des Testaments Kenntnis erlangt hat. Daraus folgt, daß der Anspruch mit dem Tage der Testamentskundmachung auch fällig ist. Die in der Entscheidung GlU. 12.635 vertretene Rechtsansicht, nach welcher der erwähnte Anspruch erst nach der Feststellung des reinen Nachlasses klagbar sein soll - auf die allerdings noch die Entscheidung EvBl. 1956 Nr. 34 Bezug nahm - ist durch diese Rechtsprechung überholt. Die Widerlegung des darin ausgesprochenen Rechtssatzes und auch die Gründe für die Nichtzulässigkeit einer Feststellungsklage finden sich bereits in der Entscheidung ZBl. 1916 Nr. 439 S. 1045, der der OGH. weiterhin folgt. Die herrschende Rechtsprechung hat vor allem für sich, daß § 784 (§ 787 ABGB.) lediglich eine bestimmte Vorgangsweise für die Berechnung des Pflichtteils (der Pflichtteilsergänzung) vorschreibt. Der Abhandlungsrichter wird in dieser Richtung bei voller Handlungsfähigkeit des Noterben nur dann tätig, wenn ein Antrag des Noterben vorliegt (§ 92 (1) AußStrG.). Seine Befassung mit den Ansprüchen des Noterben hat mit der Klagbarkeit des Pflichtteilsanspruches oder des Pflichtteilsergänzungsanspruches nichts zu tun. Eine Pflichtteilsergänzungsklage kann daher nicht mit der Begründung abgewiesen werden, daß sie vor der Feststellung des reinen Nachlasses durch das Verlassenschaftsgericht verfrüht sei. Das Berufungsgericht ist mit Recht den zutreffenden Ausführungen von Weiß in Klang[2] gefolgt. Soweit die Rekurswerberin noch auf das Argument des Erstgerichtes hinweist, daß eine "Zwiespältigkeit der Rechtslage" eintreten könnte, wenn im Verlassenschaftsverfahren einerseits und im Streitverfahren andererseits verschiedene Ergebnisse der Ermittlung des reinen Nachlasses zustandekämen, ergibt sich daraus gleichfalls keine Widerlegung der vorstehenden Rechtsansicht. Die Fälligkeit und Klagbarkeit des Anspruches auf Pflichtteilsergänzung wird durch die Frage, ob sein Bestehen mit Hilfe einer Feststellung des reinen Nachlasses durch den Außerstreitrichter oder auf eine andere Art im Streitverfahren bewiesen wird, nicht berührt.

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