Spruch:
Bei Entziehung des Pflichtteiles nach § 773 ABGB. steht der Anspruch auf Pflichtteilsergänzung dem Noterben, nicht seinem bedachten Kinde zu.
Entscheidung vom 14. Mai 1962, 8 Ob 152/62.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Erblasser Oskar W. hat in seinem Testament vom 23. April 1957 seinen Sohn Kurt W. enterbt und den diesem gebührenden Pflichtteil gemäß § 773 ABGB. in der Form eines Erbteiles dem minderjährigen Kläger als Sohn des Kurt W. hinterlassen, indem er den Kläger zu 4/16 des Nachlasses zum Erben einsetzte. Ferner hat der Erblasser seine Witwe Maria W. und seinen Sohn Hubert W. als Erben eingesetzt. Der Erblasser hat mit Schenkungsvertrag vom 5. April 1957 seinem Sohn Hubert W. seinen Anteil am Waldgut in G. übertragen und im Testament vorfügt, daß das Waldgut mit 400.000 S in den Erbteil des Hubert W. einzurechnen sei. Der Nachlaß ist den Erben bisher noch nicht eingeantwortet worden.
Der Kläger begehrt aus dem Titel der Pflichtteilsergänzung, die beklagten Erben Maria W. und Hubert W. schuldig zu erkennen, ihm 199.956.37 S zu bezahlen. Die Beklagten bestritten die Legitimation des Klägers zur Anbringung der Klage mit der Begründung, daß nicht der Kläger, sondern der enterbte Pflichtteilsberechtigte den Anspruch gegen alle Erben zu erheben habe, ferner die passive Klagslegitimation der geklagten Erben, weil die Klage vor der Einantwortung des Nachlasses nicht gegen die Erben, sondern gegen die Verlassenschaft anzubringen gewesen wäre. Schließlich bestritten sie die Berechtigung des Anspruches überhaupt.
Das Erstgericht wies die Klage mit der Begründung ab, daß die Klage nur gegen den Nachlaß gerichtet werden könne.
Das Berufungsgericht teilte diese Rechtsauffassung des Erstgerichtes und vertrat entgegen dem Standpunkt des Klägers die Auffassung, daß eine Richtigstellung der Parteienbezeichnung nicht möglich sei. Es bestätigte daher das Ersturteil.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Es ist ständige Rechtsprechung, daß die Pflichtteilsergänzungsklage vor der Einantwortung der Verlassenschaft nicht gegen die erbserklärten Erben, sondern gegen den Nachlaß anzubringen ist (vgl. 7 Ob 451, 452/55 = EvBl. 1956 Nr. 34 u. a.). Es kann jedoch ununtersucht bleiben, ob in der Anbringung der vorliegenden Klage gegen die Erben anstatt gegen den durch die erbserklärten Erben vertretenen Nachlaß bloß eine unrichtige, jederzeit von Amts wegen richtigzustellende Bezeichnung einer Prozeßpartei vorliegt oder ein Mangel der passiven Klagslegitimation, weil das Klagebegehren schon wegen des Mangels der aktiven Klagslegitimation abzuweisen war.
Nach § 773 ABGB. kann der Erblasser den Pflichtteil einem Noterben nur dergestalt entziehen, daß er den Pflichtteil den Kindern des Noterben zuwendet. Wird hiebei nicht der ganze dem Noterben gebührende Pflichtteil zugewendet, dann steht dem Noterben, nicht aber seinem bedachten Kinde, der Anspruch auf Pflichtteilsergänzung zu. Denn wenn nach dem erwähnten Wortlaut des Gesetzes dem Noterben der Pflichtteil nur durch die Zuwendung an die Kinder des Noterben entzogen werden kann, heißt dies, daß, soweit keine solche Zuwendung erfolgte, der Pflichtteil nicht entzogen ist (ebenso Weiß in Klang[2] III S. 855).
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