OGH 2Nd48/61

OGH2Nd48/6119.1.1962

SZ 35/12

Normen

Einführungsgesetz zur Jurisdiktionsnorm ArtIX (3)
JN §42 (2)
Einführungsgesetz zur Jurisdiktionsnorm ArtIX (3)
JN §42 (2)

 

Spruch:

Wenn das Bundesministerium für Justiz erst nach Entscheidung des Gerichtes von sich aus einen Antrag nach § 42 (2) JN. stellt, liegt keine das Gericht bindende Erklärung im Sinne des Art. IX (3) EGzJN. vor.

Entscheidung vom 19. Jänner 1962, 2 Nd 48/61.

I. Instanz: Bezirksgericht Hietzing.

Text

Die klagende Partei hat gegen den Beklagten Peter K. beim Bezirksgericht eine Klage wegen 493 S aus dem Titel des Schadenersatzes eingebracht. Auf Zustellung der Klage hat der Beklagte dem Gericht fernmündlich und sodann schriftlich mitgeteilt, daß ihm als Presseattache der Botschaft Y in Wien die Vorrechte der Exterritorialität zukommen, und sich am Verfahren nicht weiter beteiligt. Am 1. März 1960 hat das Bezirksgericht ein Versäumungsurteil gegen den Beklagten erlassen, das am 22. März 1961 von der Gattin des Beklagten übernommen worden und nach der Aktenlage in Rechtskraft erwachsen ist.

Zufolge Antrages des Bundesministeriums für Justiz sprach der Oberste Gerichtshof gemäß § 42 Abs. 2 JN. die Nichtigkeit des vom Erstgericht durchgeführten Verfahrens und des in diesem Verfahren ergangenen Versäumungsurteiles aus.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Bundesministerium für Justiz hat gemäß § 42 (2) JN. den Antrag gestellt, die Nichtigkeit des Verfahrens und des in diesem ergangenen Versäumungsurteiles auszusprechen. Es hat den Antrag damit begrundet, daß in der gegenständlichen Sache die inländische Gerichtsbarkeit nicht gegeben sei. Der Beklagte sei laut Mitteilung des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten Presseattache der Botschaft Y. in Wien und genieße als solcher die Vorrechte der Exterritorialität.

Was zunächst die Frage anlangt, ob eine das Gericht bindende Erklärung des Bundesministeriums für Justiz im Sinn des Art. IX (3) EGzJN. vorliegt, daß die inländische Gerichtsbarkeit in der gegenständlichen Rechtssache nicht gegeben sei, ist zu sagen: Die Bindung des Gerichtes an Erklärungen des Bundesministeriums für Justiz ist in der Zivilprozeßordnung nur in genau umschriebenen Fällen vorgesehen. Diese Bestimmungen der Zivilprozeßordnung können nicht ausdehnend auf Fälle angewendet werden, die sich mit den im Gesetz vorgesehenen nicht decken. Art. IX (3) EGzJN. besagt nun, daß das Gericht, wenn es zweifelhaft ist, ob die inländische Gerichtsbarkeit über eine exterritoriale Person begrundet ist, hierüber die Erklärung des Bundesministeriums für Justiz einzuholen hat, die für das Gericht bei der Beurteilung der Zuständigkeit bindend ist. Der vorliegende Fall deckt sich mit dem im Gesetz vorgesehenen nicht. Das Gericht hat nicht, bevor es sich über die Frage schlüssig geworden ist, ob die inländische Gerichtsbarkeit über den Beklagten gegeben ist, zur Beseitigung von Zweifeln in dieser Richtung eine Erklärung des Bundesministeriums für Justiz eingeholt. Das Bundesministerium für Justiz hat vielmehr von sich aus, nachdem das Gericht bereits entschieden und damit implicite die inländische Gerichtsbarkeit bejaht hatte, gemäß § 42 (2) JN. beim Obersten Gerichtshof den Antrag gestellt, im Sinne dieser Gesetzesstelle die Nichtigkeit des durchgeführten Verfahrens und des in diesem Verfahren ergangenen Versäumungsurteiles auszusprechen. Die in der Begründung dieses Antrages enthaltene Stellungnahme des Bundesministeriums für Justiz, daß die inländische Gerichtsbarkeit über den Beklagten wegen der diesem zukommenden Exterritorialität nicht gegeben sei, ist demnach keine das Gericht bindende Erklärung im Sinne des Art. IX (3) EGzJN.

Ob in der gegenständlichen Rechtssache die inländische Gerichtsbarkeit gegeben ist, hat somit der Oberste Gerichtshof ohne Bindung an die im Antrag des Bundesministeriums für Justiz enthaltene Stellungnahme zu entscheiden. Dabei ist davon auszugehen, daß der Beklagte Angehöriger der Botschaft Y. in Wien ist.

Die Frage, inwieweit die inländische Gerichtsbarkeit über diplomatische Vertreter eines fremden Staates gegeben ist, ist nach Art. IX (2) EGzJN. zu beurteilen. Nach dieser Gesetzesstelle kommt es zunächst darauf an, ob die Person nach völkerrechtlichen Grundsätzen die Exterritorialität genießt. Ist dies der Fall, dann ist die inländische Gerichtsbarkeit nur dann gegeben, wenn und insofern sie sich den inländischen Gerichten freiwillig unterwirft oder die Rechtssache ihre im Inland gelegenen unbeweglichen Güter oder ihre dinglichen Rechte an inländischen Liegenschaften anderer Personen zum Gegenstand hat.

Die Frage, ob der Beklagte als Presseattache der Botschaft Y. in Wien nach völkerrechtlichen Grundsätzen exterritorial ist, ist zu bejahen (vgl. Verdroß, Völkerrecht[4], S. 260). Nach der Aktenlage kann auch nicht gesagt werden, daß sich der Beklagte der inländischen Gerichtsbarkeit freiwillig unterworfen habe oder daß die Rechtssache seine im Inland gelegenen unbeweglichen Güter oder dinglichen Rechte an inländischen Liegenschaften zum Gegenstand habe. Damit ist gemäß Art. IX (2) EGzJN. die inländische Gerichtsbarkeit in der gegenständlichen Rechtssache zu verneinen. Die in der Rechtsprechung hinsichtlich der ausländischen Staaten entwickelten Grundsätze, nach denen es darauf ankommt, ob der Staat als Träger von Hoheitsrechten oder von Privatrechten aufgetreten ist (SprR. 28 neu), können nicht auf exterritoriale Personen angewendet werden, weil dies den völkerrechtlichen Grundsätzen über die Exterritorialität der diplomatischen Vertreter widersprechen würde. Die diplomatischen Vertreter sind nach Völkerrecht wohl grundsätzlich der Rechtsordnung des Empfangsstaates unterworfen. Sie sind aber von der ordentlichen Vollziehung durch die Gerichte und Verwaltungsbehörden des Empfangsstaates ausgenommen. Diese Exemtion bezieht sich nicht nur auf ihre Amtshandlungen, die ohnehin völkerrechtlich nicht den Amtsträgern, sondern den Sendestaaten zugerechnet werden (Verdroß, a. a. O), daher auch dann von der inländischen Gerichtsbarkeit ausgenommen wären, wenn überhaupt keine diplomatische Exterritorialität bestunde, sondern auch auf ihre privaten Handlungen, soweit nicht ganz bestimmte, nach völkerrechtlichen Grundsätzen anerkannte Ausnahmen bestehen (Verdroß, a. a. O., S. 259 ff.). Die Inanspruchnahme zur Ersatzleistung für eine widerrechtliche Schadenszufügung beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges kann nicht zu den Ausnahmsfällen gezählt werden, in denen ein diplomatischer Vertreter nach völkerrechtlichen Grundsätzen der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates unterworfen ist.

Über Antrag des Bundesministeriums für Justiz war daher auszusprechen, daß das durchgeführte Verfahren und das in diesem ergangene Versäumungsurteil nichtig sind.

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