Spruch:
Die Verkehrssicherungspflicht des Bauführers dauert nicht nur bis zur tatsächlichen Beendigung der Arbeiten, sondern zumindest bis zur Verständigung der Straßenverkehrsbehörde hievon.
Entscheidung vom 1. Dezember 1961, 2 Ob 471/61.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger begehrt von der beklagten Partei den Ersatz des ihm an seinem Lastkraftwagen entstandenen Sachschadens von 9874 S und den Ersatz seines Verdienstentganges von 4200 S mit der Behauptung, daß sie für den Schaden hafte, weil sie eine etwa 10 cm tiefe Einsenkung in einer von ihr quer über die Straße durchgeführten Aufgrabung nicht gekennzeichnet habe. Die beklagte Partei hat im März 1959 im Auftrag der Gemeinde A. über die E.-Straße eine Aufgrabung vorgenommen und nach Verlegung eines Kabels noch in derselben Nacht zugeschüttet; am 1. April 1959 fuhr der mit 4 m3 Erdaushubmaterial beladene Kraftwagen über die zugeschüttete Aufgrabung und brach etwa 32 m weiter infolge Bruches des Fahrgestells auseinander.
Beide Untergerichte haben die Klage abgewiesen. Sie stehen im wesentlichen auf dem Standpunkt, daß die beklagte Partei nicht hafte, weil im Zeitpunkt des Unfalls die Arbeiten bereits beendet gewesen seien; der eingetretene Schaden sei überdies keine adäquate Folge des schuldhaften Verhaltens der beklagten Partei, und die beklagte Partei habe den Beweis erbracht, daß der Schaden infolge eines bereits früher vorhandenen Risses im Fahrgestell auch sonst eingetreten wäre.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Ansicht der Untergerichte, daß die Verpflichtung der beklagten Partei zur Sicherung schadhafter Baustellen mit der Beendigung der Arbeiten aufhöre, kann nicht gefolgt werden. An die Verkehrssicherungspflicht des Unternehmers bei Arbeiten im Bereich des öffentlichen Verkehrs sind, was den Umfang und die Dauer anlangt, besonders strenge Anforderungen zu stellen. Eine Auslegung des Begriffes "Arbeitsstelle" im § 44 StPolG. = § 46 StPolO. in dem Sinne, daß die Verkehrssicherungspflicht nur für die Dauer der tatsächlichen Arbeiten gelten solle, ist zu eng. Wie das Revisionsgericht bereits in der Entscheidung ZVR. 1959 Nr. 208 ausgesprochen hat, daß die Sicherungspflicht nicht mit dem tatsächlichen Beginn der Arbeit einsetzt, so kann die Verpflichtung nicht mit der tatsächlichen Beendigung der Arbeiten aufhören, sondern sie dauert zumindest bis zu dem Zeitpunkt fort, da die Straßenverkehrsbehörde von der Beendigung der Arbeiten in Kenntnis gesetzt ist. Im allgemeinen muß eine Anzeige des Unternehmers über die Beendigung der Arbeiten genügen, weil von da an die alleinige Verantwortlichkeit der Straßenverkehrsbehörde nicht mehr zweifelhaft sein kann und jedes Vakuum in der Verantwortlichkeit vermieden ist. Da die Untergerichte keine Feststellung darüber getroffen haben, daß im Zeitpunkt des Unfalls eine Anzeige über die Beendigung der Arbeiten bereits erstattet war, ist davon auszugehen, daß die beklagte Partei für die Aufgrabung auch noch im Zeitpunkt des Unfalls die Verantwortlichkeit getroffen hat. Der Zeitraum, der zwischen der Zuschüttung der Aufgrabung und dem Unfall lag, war jedenfalls nicht so groß, daß die beklagte Partei mit Grund annehmen konnte, daß eine Senkung nicht mehr eintreten werde; bei der in Betracht kommenden Jahreszeit mußte die beklagte Partei damit rechnen, daß Senkungen eintreten, zumal es in dieser Zeit häufig zu Regengüssen kommt; ihre Pflicht wäre es also gewesen, die Bewegung des Bodens auf den Baustellen weiter zu überwachen und beim Eintreten von Senkungen Warnungstafeln aufzustellen.
Da nach den von den Untergerichten getroffenen Feststellungen die beklagte Partei also das Gebot, Warnzeichen aufzustellen, übertreten hat, würde sie gemäß § 1311 ABGB. für alle Nachteile haften, welche außerdem nicht erfolgt wären, d. h. sie kann sich bei der erwiesenen Verletzung der Schutzvorschrift von der Haftung durch den Beweis befreien, daß der Schaden auch eingetreten wäre, wenn sie sich vorschriftsmäßig verhalten hätte. Nun haben beide Untergerichte festgestellt, daß die beklagte Partei diesen Beweis erbracht hat, indem sie auf Grund des Sachverständigengutachtens im Zusammenhalt mit anderen Ergebnissen des Beweisverfahrens angenommen haben, daß der Bruch des Fahrgestells dadurch eingetreten ist, daß der Rahmenträger bereits einen Riß hatte und daß der Rahmenträger auch ohne die von der beklagten Partei begangene rechtswidrige Unterlassung durch bloßes Überfahren eines Schlaglochs oder einer Straßenbahnüberquerung auseinandergebrochen wäre. Es liegt daher entgegen der Revision nicht bloß eine Behauptung der beklagten Partei, sondern auch der Beweis dafür vor, daß der Schaden auch außerdem erfolgt wäre. Deshalb haben die Untergerichte ohne Rechtsirrtum angenommen, daß eine Haftung der beklagten Partei nicht besteht, weil der dem Kläger entstandene Schaden auch ohne die rechtswidrige Unterlassung der beklagten Partei eingetreten wäre.
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