Spruch:
Zum Begriff des "Erbhofes".
Entscheidung vom 29. November 1961, 1 Ob 462/61.
I. Instanz: Bezirksgericht Oberzeiring; II. Instanz: Kreisgericht Leoben.
Text
Die am 26. Oktober 1958 verstorbene Cäcilia S. hinterließ eine Liegenschaft mit Haus im Ausmaß von 56 ha. Die Liegenschaft ist 950 m hoch gelegen und seit 25 Jahren verpachtet. Die Bezirkskammer für Land- und Forstwirtschaft J. bestätigte, daß die Liegenschaft einen behausten landwirtschaftlichen Betrieb im Sinne des § 1 AnerbenG. darstelle und einen Durchschnittsertrag habe, der zur angemessenen Erhaltung einer bäuerlichen Familie von fünf erwachsenen Personen ausreiche, jedoch das Siebenfache dieses Ausmaßes nicht übersteige. Bei der vom Abhandlungsgericht vorgenommenen Schätzung wurde davon ausgegangen, daß die Liegenschaft ein Erbhof sei. An Inventar waren nur zwei Milchkühe, ein Motormäher und ein Leiterwagen vorhanden. Der Bruder der Verstorbenen, Johann R., beansprucht die Übernahme der Liegenschaft als Anerbe und beantragte, die Liegenschaft als Erbhof festzustellen. Die übrigen gesetzlichen Erben begehrten eine gegenteilige Feststellung.
Das Abhandlungsgericht nahm alle Erbserklärungen der gesetzlichen Erben an und ordnete die neuerliche Schätzung bzw. deren Ergänzung durch einheimische Schätzleute an, weil die früheren Schätzungen von auswärtigen Sachverständigen vorgenommen worden waren.
Dieser Beschluß wurde von Johann R. angefochten, der die Feststellung der Liegenschaft als Erbhof und seiner Person als Anerbe sowie die Festsetzung eines Übernahmspreises in der Höhe von 100.000 S begehrte.
Das Rekursgericht hob den Beschluß des Erstgerichtes, soweit er die neuerliche Schätzung anordnete, auf und trug ihm auf, zuerst festzustellen, ob es sich um einen Erbhof handle. Dabei komme es nur auf das Zutreffen der im Gesetz bestimmten Voraussetzungen, nicht aber auf die derzeitige Bewirtschaftungsart an.
Die gesetzlichen Erben außer Johann R. bekämpften diesen Beschluß mit Revisionsrekurs und beantragten die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses hinsichtlich der Anordnung einer neuerlichen Schätzung.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Johann R. hat zunächst die Klärung der Frage der Erbhofeigenschaft und des Anerben und danach die Festsetzung eines Übernahmspreises begehrt. Darüber hat das Erstgericht nicht entschieden. Das Rekursgericht hat daher mit Recht zunächst die Klärung der Frage, ob ein Erbhof vorliege, angeordnet, weil erst danach die anderen Entscheidungen getroffen werden können und sich auch ergeben wird, ob eine neuerliche Schätzung notwendig ist. Daher erwies sich die Aufhebung des Beschlusses über die neuerliche Schätzung als notwendig, weil eine solche Verfügung derzeit verfrüht ist.
Wie die Rechtsmittelwerber selbst ausführen, hat bei einem Erbhof die Festsetzung des Übernahmspreises auf Grund des Gutachtens zweier bäuerlicher Sachverständiger zu erfolgen. Die bisherigen Schätzungen erfolgten nicht durch solche Sachverständige. Es wäre sinnlos, diese im Anerbengesetz angeordnete Schätzung vor der Klärung der Frage der Erbhofeigenschaft durchzuführen, weil sie erst für die Festsetzung des Übernahmspreises notwendig ist und, wenn die Erbhofeigenschaft verneint werden sollte, unnütze Kosten verursachte. Eine allgemeine neuerliche Schätzung ohne Berücksichtigung der Erbhofeigenschaft, wie sie offenbar dem Erstgericht in seinem Beschluß vorschwebte, ist unwirtschaftlich, solange die Erbhofeigenschaft nicht feststeht, weil die Schätzung zur Feststellung des Übernahmspreises nach anderen Gesichtspunkten zu erfolgen hat. Wenn auch die Feststellung der Erbhofeigenschaft in der Regel erst in die Beschlußfassung über die Abhandlungsergebnisse aufzunehmen ist, so hat sie im vorliegenden Fall deshalb durch gesonderten Beschluß zu erfolgen, weil darüber zwischen den Beteiligten Streit besteht (vgl. Edlbacher, Anerbengesetz, S. 21).
Auch den weiteren Ausführungen des Revisionsrekurses über die Voraussetzungen eines Erbhofes kann nicht beigepflichtet werden. Es ist zwar richtig, daß die Entscheidung SZ. XXVIII 20, die sich wieder auf die Entscheidung SZ. XV 19 stützt, auf die besonderen Verhältnisse in Kärnten abgestellt ist, soweit sie ein verfallenes Wirtschaftsgebäude und die Verwendung der Liegenschaft als Halthube als genügend ansieht. Im Kärntner Erbhofgesetz wird für die Erbhofeigenschaft nicht ein bestimmter Mindestertrag gefordert, sondern eine Fläche von mindestens 3 ha. Das Anerbengesetz verlangt dagegen einen "landwirtschaftlichen Betrieb" und einen bestimmten Mindestertrag. Beide Gesetze und auch das Tiroler Höferecht verfolgen aber denselben Zweck, nämlich die Zersplitterung des landwirtschaftlichen Besitzes zu verhindern, und zwar nicht im Interesse des einzelnen Bauern, sondern der Gesamtheit. Die Eignung des einzelnen Besitzers zum Erbhofbauern spielt dabei im Gegensatz zum seinerzeitigen Reichserbhofgesetz eine untergeordnete Rolle. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob die Liegenschaft tatsächlich bäuerlich geführt wird. Maßgebend ist nur, ob es sich objektiv um einen landwirtschaftlichen Betrieb handelt, der die im Gesetz geforderten Erträgnisse hat. Allerdings muß es sich auch objektiv um einen einheitlichen Betrieb handeln (Edlbacher a. a. O. S. 19 f.). Ein solcher liegt hier aber vor. Es kommt also auf die Eignung der Liegenschaft an, eine Bewirtschaftung in der Art zu ermöglichen, daß die vom Gesetz geforderte Anzahl von Personen daraus erhalten werden kann, nicht aber auf die derzeitige Art der Bewirtschaftung und der Ausstattung mit Inventar. Die Art der Bewirtschaftung ist immer vom Willen des jeweiligen Eigentümers abhängig. Davon kann aber die Frage, welches Erbrecht einzutreten hat, nicht abhängen. Es ist daher auch ohne Bedeutung, daß im vorliegenden Fall die Liegenschaft seit vielen Jahren verpachtet ist (vgl. SZ. XV 19). Alle diese Fragen sind aber erst bei Fällung der Entscheidung über die Erbhofeigenschaft zu erörtern.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)