OGH 4Ob76/61

OGH4Ob76/6110.10.1961

SZ 34/143

Normen

AO §8
AO §8

 

Spruch:

Zur Auslegung des § 8 Abs. 2 und 3 AO.

Entscheidung vom 10. Oktober 1961, 4 Ob 76/61.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der Kläger war seit 1949 im Angestelltenverhältnis bei der Firma H. beschäftigt. Er wurde am 26. Dezember 1959 vom Vorstand dieser Firma, Heinrich H., der das Recht zur Vornahme von Kündigungen und Entlassungen besaß, gekundigt; hiebei wurde auf jede weitere Dienstleistung während der Kündigungszeit ausdrücklich verzichtet. Heinrich H. wußte damals noch nicht sicher, daß bezüglich der Firma H. ein Konkursverfahren eingeleitet werden würde. Der Kläger war einer der besten Angestellten der Firma.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage an rückständigen Bezügen bis zum Ablauf der Kündigungsfrist und an Abfertigung insgesamt 22.900 S. Am 11. November 1959 sei über das Vermögen der genannten Firma das Ausgleichsverfahren und am 8. März 1960 der Anschlußkonkurs eröffnet worden.

Das Erstgericht hat im Sinne des Klagebegehrens erkannt.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichtes. Es gelangte nach Neudurchführung der Verhandlung zu denselben Feststellungen wie das Arbeitsgericht. Die Rechtsrüge der Berufung hielt es aus folgenden Erwägungen für unbegrundet:

Gemäß § 8 Abs. 2 AO. seien Rechtshandlungen des Ausgleichsschuldners, sofern sie dem gewöhnlichen Wirtschaftsbetrieb angehörten, den Gläubigern gegenüber nur dann unwirksam, wenn der Ausgleichsverwalter dagegen Einspruch erhoben habe. Entscheidend sei daher die Frage, ob die Kündigung und der Verzicht auf die weitere Dienstleistung des Klägers während der Kündigungszeit durch Heinrich H. als Vorstand der Ausgleichsschuldnerin als Geschäfte des gewöhnlichen Wirtschaftsbetriebes zu beurteilen seien. Diese Frage glaube das Berufungsgericht bejahen zu müssen; es handle sich um Handlungen, wie sie in jedem Geschäftsbetrieb vorkämen und eine verhältnismäßig rasche Entscheidung verlangten. In solchen Fällen solle der umständliche Weg der Einholung der Zustimmung des Ausgleichsverwalters nach dem Gesetz ausgeschlossen sein, weil er auf die Fortführung des Betriebes hemmend wirke. Zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörende Handlungen könne der Ausgleichsschuldner auch während des Ausgleichsverfahrens grundsätzlich ungehindert vornehmen, ohne jemandes Erlaubnis oder Zustimmung zu bedürfen. Es bestehe auch keine Pflicht des Ausgleichsschuldners, sich vor jeder zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörigen Handlung zu vergewissern, ob der Ausgleichsverwalter Einspruch erheben werde. Es sei daher im vorliegenden Fall die Vornahme der Kündigung unter Verzicht auf weitere Dienstleistungen während der Kündigungsfrist wirksam erfolgt, auch, wenn der Ausgleichsverwalter hievon nicht verständigt wurde. Sei aber die Kündigung rechtswirksam vorgenommen und liege kein Verzicht auf die Abfertigung vor, dann stunden dem Kläger die vom Erstgericht zugesprochenen, der Höhe nach unbekämpften Beträge zu.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zur Darstellung der Rechtsrüge führt der Revisionswerber aus, daß die Schutzbestimmung des § 8 AO. den Zweck habe, Begünstigungen im Ausgleich oder im anschließenden Konkurs zu vermeiden. Im vorliegenden Fall habe der Vorstand der Ausgleichsschuldnerin einer dritten Person, dem Kläger, im Hinblick darauf, daß für ihn selbst nichts mehr zu retten gewesen sei, Vorteile zugeschoben, damit dieser bei der Verteilung im Konkursverfahren den anderen Gläubigern gegenüber begünstigt werde. Daß eine solche begünstigte Befriedigung eintrete, wenn dem Kläger der behauptete Anspruch zugestanden werde, stehe außer Zweifel, da die Klageforderung dann unter die Masseforderungen falle. Nach den getroffenen Feststellungen habe Heinrich H. im Zeitpunkt der Kündigungsvornahme bereits damit gerechnet, daß ein Konkursverfahren eröffnet werde. Demnach habe für ihn kein anderer Grund bestanden, den Verzicht auf die weitere Dienstleistung durch den Kläger auszusprechen, als der, zu Lasten der Masse dem Kläger einen Vorteil einzuräumen. In dieser Situation bedürfe die Kündigung eines Angestellten der Zustimmung des Ausgleichsverwalters. Gemäß § 8 Z. 3 AO. seien Rechtshandlungen den Gläubigern gegenüber unwirksam, wenn der Dritte gewußt habe, daß sie über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen, und der Dritte, nämlich der Kläger, gewußt habe, daß der Ausgleichsverwalter dieser Rechtshandlung widerspreche. Der Ansicht der Untergerichte, daß es sich bei der Unterredung zwischen dem Kläger und dem Ausgleichsverwalter nur um private und unverbindliche Gespräche gehandelt habe, könne nicht beigepflichtet werden. Es müsse vielmehr davon ausgegangen werden, daß der Widerspruch des Ausgleichsverwalters gegen die Kündigung unter gleichzeitiger Verzichtleistung auf die weiteren Dienste dem Kläger zur Kenntnis gebracht worden sei. Daher stelle seine Arbeitseinstellung gegen das Verbot des Ausgleichsverwalters einen vorzeitigen Austritt des Klägers dar, so daß er die behaupteten Ansprüche auf Entgelt für die Kündigungsfrist und auf Abfertigung verloren habe.

Der Revisionswerber ist mit obigen Ausführungen nicht im Recht. Der Ausgleichsschuldner bleibt grundsätzlich handlungs- und verfügungsfähig; er verwaltet regelmäßig sein Vermögen auch während des Verfahrens selbst. Er betreibt sein Geschäft oder sein Unternehmen. Rechtshandlungen, die dem Schuldner gegenüber vorzunehmen sind, etwa Kündigungen, Mahnungen, Proteste, Erklärungen jeder Art, können während des Ausgleichsverfahrens regelmäßig nur gegenüber dem Schuldner, nicht gegenüber dem Ausgleichsverwalter vorgenommen werden. Der Schuldner kann demnach während des Ausgleichsverfahrens grundsätzlich alle Rechtshandlungen mit derselben Wirkung vornehmen, wie wenn kein Ausgleichsverfahren eröffnet worden wäre. Nur gewisse Gruppen von Rechtshandlungen muß er unterlassen, weil sie ihm verboten sind. Rechtshandlungen, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, darf er in der Regel frei vornehmen. Was gewöhnlicher Geschäftsbetrieb ist, bestimmt sich nach den Verhältnissen des Schuldners. So gehört es zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb, Aufkündigungen entgegenzunehmen oder selbst die Dienste aufzukundigen. Ob ein Geschäft des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes vorliegt, kann vielfach nur nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles beurteilt werden. Eine Pflicht des Schuldners, sich vor jeder zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörigen Handlung zu vergewissern, ob nicht der Ausgleichsverwalter Einspruch erhebt, besteht nicht; nur wo er Anlaß hat, anzunehmen, daß der Ausgleichsverwalter Einspruch erheben werde, würde er schuldhaft handeln, wenn er über die Wahrscheinlichkeit des Einspruches hinwegginge. Der Einspruch muß dem Schuldner vor der Vornahme der Handlung zugekommen sein. Ein späterer Einspruch macht das Geschäft nicht zu einem unerlaubten. Dem Dritten, mit dem das Geschäft geschlossen wurde, muß die Verbotswidrigkeit der Handlung bekannt sein. Er muß also erkennen, daß die Handlung über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgeht und der Ausgleichsverwalter seine Zustimmung nicht erteilt hat. Mußte ihm nur eines dieser Momente nicht bekannt sein, so tritt Unwirksamkeit der Handlung nicht ein. Die subjektiven Voraussetzungen müssen beim Dritten im Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung vorhanden sein. Nachträglicher böser Glaube schadet nicht (Bartsch - Pollak, KO., AO. u. AnfO., 3. Aufl. II S. 126 ff. Anm. 50, 51, 60, 62, 64, 65, 87 und 91 zu § 8 AO.; s. auch Grünberg in JBl. 1915 S. 195 f.).

Im vorliegenden Fall ist nicht einzusehen, warum der Vorstand Heinrich H. durch eine Kündigung des Klägers nach Eröffnung des Ausgleichsverfahrens dem Dienstnehmer einen Vorteil zuschieben wollte, wenn bedacht wird, daß Forderungen von Dienstnehmern des Ausgleichsschuldners schon gemäß § 23 AO. ein, wenn auch begrenztes, Vorrecht genießen und daß im Falle des Konkurses der Dienstnehmer gemäß § 25 KO. ohne Kündigung das Dienstverhältnis lösen kann. Das Bundesgesetz vom 18. November 1959, BGBl. Nr. 253, mit dem die Konkurs- und die Ausgleichsordnung geändert und ergänzt wurden, kommt hier noch nicht zur Anwendung, weil nach Art. IV der Novelle auf Konkurse, Anschlußkonkurse und Ausgleichsverfahren, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes eröffnet worden sind (8. Dezember 1959), die bisher geltenden Vorschriften Anwendung finden. Schon aus der an und für sich bevorzugten Stellung des Dienstnehmers läßt sich erschließen, daß seine Kündigung durch den Ausgleichsschuldner nicht zu den Geschäften zählt, die außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes fallen, daher der Zustimmung des Ausgleichsverwalters bedürfen (§ 8 Abs. 2 AO.). Unabhängig davon sind nach § 8 Abs. 3 AO. Rechtshandlungen, die der Schuldner entgegen den Bestimmungen des Abs. 2 ohne Zustimmung oder gegen den Einspruch des Ausgleichsverwalters vorgenommen hat, gegenüber den Gläubigern nur dann unwirksam, wenn der Dritte wußte oder wissen mußte, daß sie über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen und daß der Ausgleichsverwalter seine Zustimmung nicht erteilt oder Einspruch gegen die Vornahme erhoben hat. Auch für die Annahme dieses Tatbestandes fehlt es nach den getroffenen Feststellungen an entsprechenden Grundlagen. Der Dritte, hier der Kläger, mußte nicht wissen, daß die Kündigung durch den Vorstand eine Rechtshandlung ist, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgeht. Daß der Ausgleichsverwalter seine Zustimmung zur Kündigung verweigert hat, würde voraussetzen, daß er darum vom Vorstand angegangen wurde und der Vorstand trotz Verweigerung der Zustimmung die Kündigung vornahm. Gleiches gilt für die Erhebung des Einspruches gegen die Vornahme der Kündigung. Im übrigen ist dem Revisionswerber entgegenzuhalten, daß bei der Unterredung zwischen dem Ausgleichsverwalter und dem Kläger im Jänner 1960 dem Ausgleichsverwalter die schon im Dezember 1959 vorgenommene Kündigung des Klägers durch den Vorstand der Ausgleichsschuldnerin gar nicht bekannt war, eben deshalb aber auch dem Gespräch durch die Untergerichte keine rechtliche Bedeutung beigemessen wurde, zumal der Ausgleichsverwalter die damaligen Erklärungen des Klägers, unmöglich noch Dienste bei der Ausgleichsschuldnerin leisten zu können, nicht zum Anlaß einer Entlassung nahm, welche Maßnahme auch während des Laufes der Kündigungsfrist noch möglich gewesen wäre. Die Behauptung des Revisionswerbers, der Beklagte sei vorzeitig ausgetreten, entspricht nicht den Tatsachen; denn der Kläger war bereits gekundigt, und auf seine Dienstleistung während der Kündigungsfrist war mangels entsprechender Beschäftigung verzichtet worden.

Aus dem Gesagten folgt, daß die Untergerichte die Ansprüche des Klägers auf Entgelt und Abfertigung zu Recht bejaht haben, Fehler in der rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes somit nicht unterlaufen sind.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte