Spruch:
Unterläßt der Dienstnehmer wissentlich eine für den Dienstgeber dringende Dienstleistung auch nur durch kurze Zeit, dann liegt der Entlassungsgrund nach § 27 Z. 4 AngG. vor.
Entscheidung vom 29. August 1961, 4 Ob 98/61.
I. Instanz: Arbeitsgericht Wolfsberg; II. Instanz: Landesgericht Klagenfurt.
Text
Der Kläger war vom März 1957 bis 8. Oktober 1959 (Tag der Entlassung) beim Beklagten als Zahntechniker angestellt. Für 9 oder 10 Uhr des 8. Oktober 1959 hatte der Beklagte einen Patienten zum Einsetzen einer Pontix in seine Ordination bestellt. Bei einer Pontix handelt es sich um eine Art Prothese aus künstlichen Zähnen, die eine verlängerte Zahnwurzel haben. Die Pontix wird in die frischen Zahnlücken eingepflanzt. Schon vor der Extraktion der Zähne muß die Pontix in der Technik fertiggestellt sein. Da das Ausmaß der Wundfläche von vornherein nicht genau bekannt ist, sind während des Einsetzens fast immer Nacharbeiten an der Pontix nötig. Ist ein Techniker vorhanden, so wird er zur Ausführung der Nacharbeiten vom Zahnarzt beigezogen, um die Arbeit zu beschleunigen, um also dem Patienten eine sonst notwendige Verzögerung von einer halben Stunde bis zu dreiviertel Stunden beim Einsetzen der Pontix und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten zu ersparen.
Das Stahlskelett der Pontix hatte der ebenfalls beim Beklagten beschäftigte Techniker M. angefertigt. Der Kläger als Kunststofftechniker hatte anschließend die Arbeit fertigzustellen. Er übernahm die Arbeit von M. am 7. Oktober 1959 um 16 Uhr und wurde erst am 8. Oktober 1959 gegen 12 Uhr fertig. Am Vormittag des 8. Oktober 1959 wurde die Fertigstellung der Pontix beim Kläger wiederholt teils durch die Ordinationshilfe Eva A., teils durch den Beklagten selbst betrieben. Die normale Dienstzeit beim Beklagten dauerte von 8 bis 12 Uhr und von 13.30 oder 15 Uhr bis 19 Uhr. Wenn es die Arbeit erforderte, waren die Angestellten, darunter auch der Kläger, über 12 Uhr hinaus anwesend. Der Kläger führte auch schon wiederholt in der Mittagszeit die beim Einsetzen einer Pontix erforderlichen Nacharbeiten durch. Er wußte auch im Fall des für 8. Oktober 1959 bestellten Patienten, daß er nach Fertigstellung der Pontix während des Einsetzens derselben anwesend bleiben mußte. Der Kläger entfernte sich jedoch nach Fertigstellung der Arbeit an der Pontix, von einem anderen Angestellten aufgehetzt, aus einem gewissen Trotz heraus, um das Mittagessen einzunehmen, obwohl er wußte, daß er vom Beklagten dringend gebraucht wurde. Er war daher auch nicht anwesend, als ihn der Beklagte kurz nach 12 Uhr zum Polieren und Abschleifen der Pontix gebraucht hätte. Der Beklagte hatte inzwischen die Zahnextraktion bei dem bestellten Patienten ausgeführt. Er ließ den Kläger durch den Angestellten K. im Gasthaus auffordern, sofort in die Ordination zu kommen. Der Kläger erklärte dem K., er lasse sich beim Essen nicht stören, er komme gleich. Tatsächlich kam er nach zirka 20 Minuten, als der Beklagte die Arbeit schon beendet hatte.
Der Kläger begehrt mit der Begründung, vom Beklagten ohne wichtigen Grund vorzeitig entlassen worden zu sein, die Zahlung der Bezüge, die ihm bis zum Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist zugestanden wären. Der Beklagte beruft sich darauf, daß er berechtigt gewesen sei, den Kläger wegen Arbeitsverweigerung zu entlassen, und beantragt Abweisung der Klage.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es würdigte den Sachverhalt rechtlich dahin, daß der Kläger verpflichtet gewesen wäre, nach Fertigstellung der Pontix im Laboratorium zu bleiben und sich bereitzuhalten. Seine unbegrundete Entfernung stelle eine Pflichtverletzung dar, die vom Beklagten mit Recht als Entlassungsgrund habe geltend gemacht werden können.
Das Berufungsgericht änderte infolge Berufung des Klägers das Ersturteil ab und gab dem Klagebegehren statt. Es kam zu dieser Entscheidung aus folgenden rechtlichen Erwägungen: Zur Erörterung stehe der Entlassungsgrund der Unterlassung der Dienstleistung während einer den Umständen nach erheblichen Zeit ohne einen rechtmäßigen Hinderungsgrund nach § 27 Z. 4 AngG. Diesen Entlassungsgrund habe der Kläger durch sein Verhalten nicht verwirklicht. Das Weggehen zum Mittagessen nach 12 Uhr, ohne daß dem Kläger eine Anordnung des Beklagten zugekommen sei, länger zu bleiben, sei keine so grobe Dienstverfehlung, daß sie eine fristlose Entlassung rechtfertige. Es liege keine Feststellung in der Richtung vor, daß sich vor dem gegenständlichen Fall schon einmal die Beteiligung des Technikers durch Abschleifarbeiten beim Einsetzen einer Pontix gerade in der Mittagspause als notwendig erwiesen habe. Darauf komme es aber an.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten Folge und stellte das abweisende Urteil des Erstgerichtes wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Voraussetzung, die das Berufungsgericht u. a. seinem Urteil zugrunde legt, daß nämlich keine Feststellung über Beispielsfälle gerade in der Mittagspause vorliege, steht mit den Prozeßakten im Widerspruch, da das Erstgericht ausdrücklich festgestellt hat, der Kläger habe schon wiederholt auch während der Mittagspause beim Einsetzen einer Pontix mitgeholfen. Die vom Beklagten erhobene Rüge der Aktenwidrigkeit ist daher im Tatsächlichen begrundet, nur kommt der Frage, ob die erwähnte Tatsache festgestellt ist oder nicht, die entscheidungswesentliche Bedeutung nicht zu, die ihr das Berufungsgericht beimißt. Es ist nämlich außerdem festgestellt, daß allgemein während der Mittagspause im Betrieb des Beklagten gearbeitet wurde, wenn es erforderlich war. Auch diese Feststellung würde hinreichen, um über die Berechtigung des Beklagten zur fristlosen Entlassung des Klägers entscheiden zu können.
Der Oberste Gerichtshof kann sich der Ansicht des Beklagten nicht anschließen, daß sich der Kläger durch die Äußerung, er lasse sich beim Essen nicht stören, eine erhebliche Ehrverletzung gegen den Beklagten habe zuschulden kommen lassen. Diese Äußerung bedeutet vielmehr für sich allein noch keine Ehrverletzung und ist vom übrigen Verhalten des Klägers nicht zu trennen. Der Oberste Gerichtshof pflichtet in dieser Hinsicht dem Berufungsgericht bei, daß als Entlassungsgrund nur die Bestimmung des § 27 Z. 4 AngG. in Betracht kommen kann, wonach es als ein wichtiger Grund zur vorzeitigen Entlassung anzusehen ist, wenn der Angestellte ohne einen rechtmäßigen Hinderungsgrund während einer den Umständen nach erheblichen Zeit die Dienstleistung unterläßt. Auf diesen Entlassungsgrund kann sich aber der Beklagte mit Recht berufen.
Bei der Ausdrucksweise des Gesetzes "während einer den Umständen nach erheblichen Zeit" kommt es nicht so sehr auf das Wort "erheblich" allein an, als vielmehr darauf, daß die Dienstleistung während einer den Umständen nach erheblichen Zeit unterlassen wird. Dadurch bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, daß der hier verwendete Zeitbegriff im Einzelfall verschieden auszulegen ist. Versäumt der Angestellte etwa einen Nachmittag lang die Arbeit, ohne daß er etwas Dringendes zu erledigen gehabt hätte, so muß diese Zeit nicht erheblich sein (vgl. ArbSlg. 6154). Unterläßt er die Dienstleistung, obwohl er weiß, daß ihn der Dienstgeber gerade jetzt dringend braucht, auch nur durch kurze Zeit, so ist dies doch eine "den Umständen nach erhebliche" Zeit.
Nach den vorliegenden Feststellungen konnte sich der Beklagte darauf verlassen, daß der Kläger als zuständiger Techniker beim Einsetzen der Pontix zur Verfügung stehe. Der Kläger wußte, daß er bei dieser Arbeit seines Dienstgebers in dessen und in des Patienten Interesse dringend gebraucht werden konnte. Es war ihm klar, daß er deshalb nach Fertigstellung der Pontix anwesend bleiben mußte. Trotzdem entfernte er sich nur aus einem gewissen Trotz heraus, um sein Mittagessen im Gasthaus einzunehmen, unterließ also ohne einen rechtmäßigen Hinderungsgrund die Dienstleistung, zu der ihn der Beklagte tatsächlich dringend gebraucht hätte. Es kam im vorliegenden Fall nur darauf an, daß der Kläger noch etwa eine halbe Stunde mit dem Weggehen zugewartet hätte. Daß es ihm aber gerade darum ging, den Beklagten bei der Arbeit des Einsetzens der Pontix allein zu lassen, ergibt sich aus seiner Antwort auf die Botschaft des Beklagten, er lasse sich beim Essen nicht stören, und daraus, daß er sich mit seiner Rückkehr tatsächlich so lange Zeit ließ, bis der Beklagte allein mit der Arbeit fertig war.
Der Kläger, der auch sonst bei Erfordernis über 12 Uhr hinaus gearbeitet hatte und außerdem auch sonst schon in der Mittagszeit die beim Einsetzen von Pontices notwendigen Arbeiten ausgeführt hatte, hatte also auch am 8. Oktober 1959 keinen rechtmäßigen Hinderungsgrund zur Unterlassung der Dienstleistung, da er ohne weiteres etwas später essen gehen konnte. Die Zeit, während der er die Dienstleistung unterließ, war auch nach den Umständen erheblich. Das Vorliegen dieser Voraussetzung sieht aber das Gesetz als einen wichtigen Grund zur vorzeitigen Entlassung an.
Die Ausführungen des Klägers zum Entlassungsgrund des § 27 Z. 4 AngG. gehen nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Es ist auch nicht wesentlich, daß der Kläger nicht besonders aufgefordert wurde, über die Mittagszeit im Betrieb zu bleiben; wäre dies der Fall gewesen, so käme als Entlassungsgrund allenfalls auch die beharrliche Dienstverweigerung in Frage. Den polemischen Ausführungen des Revisionsgegners schließlich sei erwidert, daß ein Dienstnehmer den sozialen Schutz dann in Anspruch nehmen kann, wenn das Gesetz auf seiner Seite ist, nicht aber, wenn er sich, wie hier, selbst ins Unrecht gesetzt hat.
Die Mängelrüge des Revisionswerbers ist bedeutungslos, da seine Revision schon aus rechtlichen Erwägungen Erfolg haben mußte.
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