OGH 6Ob203/61

OGH6Ob203/6117.5.1961

SZ 34/81

Normen

ABGB §484
Güter- und Seilwege-Grundsatzgesetz 1951 §1 f.
ABGB §484
Güter- und Seilwege-Grundsatzgesetz 1951 §1 f.

 

Spruch:

Das Servitutsrecht für Wirtschaftsfuhren umfaßt nicht Fahrten mit Motorrädern und Motorfahrrädern.

Entscheidung vom 17. Mai 1961, 6 Ob 203/61.

I. Instanz: Bezirksgericht Scheibbs; II. Instanz: Kreisgericht St. Pölten.

Text

Den Beklagten steht als den Eigentümern der Liegenschaft EZ. 5 KG. K. auf Grund eines rechtskräftigen Erkenntnisses der zuständigen Agrarbezirksbehörde das landwirtschaftliche Bringungsrecht mit dem Recht, jederzeit zu gehen und mit Wirtschaftsfuhren aller Art zu fahren, zu Lasten der klägerischen Grundstücke Nr. 20 und 21 KG. K. zu. Mit der Behauptung, daß die Beklagten dieses Recht in letzter Zeit immer mehr zu anderen Zwecken, insbesondere für gewöhnliche Fahrten mit Motorrädern und Motorfahrrädern verwendeten, stellten die Kläger das Begehren, die Beklagten bei Exekution zu verpflichten, das Befahren der genannten Grundstücke mit anderen Fahrzeugen als Wirtschaftsfuhren, somit insbesondere mit Motorrädern und Motorfahrrädern, zu unterlassen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von den Beklagten erhobenen Berufung teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, daß in seinem Spruch die Worte "somit insbesondere mit Motorrädern und Motorfahrrädern" zu entfallen haben und das diesbezügliche Unterlassungsbegehren der Kläger abgewiesen wurde. Das Berufungsgericht teilte hinsichtlich der Ersitzungsfrage und auch der Berechtigung des Unterlassungsbegehrens, soweit es das Fahren mit anderen Fahrzeugen als Wirtschaftsfuhren betrifft, die Rechtsmeinung des Erstgerichtes. Es vertrat jedoch die Auffassung, daß den Beklagten das Fahren mit bestimmten Fahrzeugen (Motorrädern und Motorfahrrädern) nicht schlechthin, sondern nur unter der Voraussetzung verboten werden könne, daß diese Fahrzeuge nicht für Wirtschaftsfuhren verwendet würden. Diese Fahrzeuge seien nämlich theoretisch - und bei Verwendung bestimmter Vorrichtungen (Anhänger) wohl schon derzeit auch praktisch - für Wirtschaftsfuhren verwendbar, möge diese Verwendung auch derzeit nicht allgemein gebräuchlich sein. Die Bringung geringer Mengen Heu von Bergwiesen per Motorrad mit Anhänger könne sich durchaus ebenso einbürgern wie die Verwendung von Personenkraftwagen für ähnliche Zwecke in der Ebene. Das Gegenteil, nämlich die Unmöglichkeit der Verwendbarkeit dieser Fahrzeuge für Wirtschaftsfuhren, hätten die Kläger im Verfahren erster Instanz weder behauptet noch unter Beweis gestellt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger Folge und stellte das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Ausmaß der Dienstbarkeit sowie der Umfang der dem Inhaber zustehenden Befugnisse richtet sich nach dem Inhalt des Servitutstitels. Bei dessen Auslegung ist insbesondere der Zweck der Dienstbarkeit zu beachten. Den Sinn und Zweck des den Beklagten zu Lasten der dienenden Grundstücke der Kläger eingeräumten landwirtschaftlichen Bringungsrechtes, bestehend in dem Rechte, "jederzeit zu gehen und mit Wirtschaftsfuhren aller Art zu fahren", hat jedoch schon das Erstgericht zutreffend unter Hinweis auf §§ 1 und 2 Güter- und SeilwegegrundsatzG. 1951, BGBl. Nr. 103, darin erblickt, daß die Bringung der im Betrieb gewonnenen landwirtschaftlichen Erzeugnisse oder die Heranschaffung der zur zweckmäßigen Bewirtschaftung des Gutes erforderlichen Sachen auf eine möglichst kostensparende Weise mangels einer anderen geeigneten Verbindung ermöglicht werden soll (s. auch §§ 1 und 4 nö. Güter- und SeilwegelandesG. vom 24. November 1933, LGBl. Nr. 6/1934). Schon daraus ergibt sich aber, daß unter "Wirtschaftsfuhren aller Art" nur der Transport landwirtschaftlicher Erzeugnisse größeren Ausmaßes oder die Heranschaffung der zur Bewirtschaftung des Gutes erforderlichen Gegenstände (vgl. Klang 2. Aufl. II 162) verstanden werden kann, wobei auch nach allgemeinem Sprachgebrauch nur solche in größeren oder kleineren Abständen durchgeführte Transporte von Wirtschaftsgütern als "Wirtschaftsfuhren" bezeichnet werden. Demnach sind diesem Begriff keinesfalls Fahrten mit Motorrädern oder Motorfahrrädern, selbst wenn sie im Interesse der Bewirtschaftung des Gutes unternommen werden, zu unterstellen, da diese Fahrzeuge gemeiniglich nicht dem Gütertransport, sondern der Personenbeförderung dienen. Daß solchen Fahrzeugen ihrer zweckbestimmten Verwendung nach nicht die Eignung zur Beförderung von Wirtschaftsgütern im vorerwähnten Sinn zuzuerkennen ist, kann als notorische Tatsache gelten und bedarf daher keines Beweises (§ 269 ZPO.). Das Fahren mit solchen Fahrzeugen ist daher sowohl nach dem Zweck der Dienstbarkeit als auch nach dem Inhalt des Servitutstitels, der ausdrücklich auf "Wirtschaftsfuhren aller Art", sohin auf Fahrzeuge abstellt, die gemeiniglich dem Transport von Wirtschaftsgütern dienen, auszuschließen. Da sohin bei richtiger Auslegung des den Beklagten an den klägerischen Grundstücken als dienendem Gut zustehenden Rechtes des "Fahrens mit Wirtschaftsfuhren aller Art" das Fahren mit Motorrädern und Motorfahrrädern auf dem servitutsgegenständlichen Grundstreifen eine unzulässige Erweiterung der Servitut bedeuten würde (§ 484 ABGB.), erscheint das Unterlassungsbegehren, das die Beklagten in keinem ihnen tatsächlich zustehenden Recht beschränkt, zur Gänze berechtigt.

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