Spruch:
Das in einem Erbvertrag zwischen Ehegatten eingeräumte Aufgriffsrecht wird erst durch Einklagung vererblich.
Entscheidung vom 10. Mai 1961, 6 Ob 191/61.
I. Instanz: Bezirksgericht Hartberg; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.
Text
Die gefährdete Partei ist die testamentarische Erbin und Verlaßkuratorin nach dem am 13. Juni 1958 verstorbenen Josef R. Das Verlassenschaftsverfahren ist zu A 232/58 beim Bezirksgericht Hartberg anhängig und noch nicht abgeschlossen. Die Antragsgegner sind die Erben nach ihrer am 1. Juli 1953 verstorbenen Mutter Christine R. Die ihr gehörige Liegenschaftshälfte EZ. 88 KG. N. wurde ihnen mit Beschluß vom 23. Mai 1956, A 74/54-43, des Bezirksgerichtes Hartberg eingeantwortet. Die gefährdete Partei begehrt nun die Erlassung einer einstweiligen Verfügung dahin, daß den Antragsgegnern die Veräußerung, Belastung oder Verpfändung ihrer Liegenschaftshälfte verboten werde. Sie begrundet ihr Begehren damit, daß sich die Ehegatten Josef und Christine R. laut Notariatsvertrag vom 9. Februar 1912 wechselseitig das Aufgriffsrecht eingeräumt hätten, welches Josef R. im Abhandlungsverfahren nach seiner Gattin Christine R., A 74/54 des Bezirksgerichtes Hartberg, auch geltend gemacht hätte; er sei aber auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden. Die Antragsgegner hätten inzwischen mit Kaufvertrag vom 7. Oktober 1960 ihre Liegenschaft an die Ehegatten G. verkauft, weshalb die Gefahr bestehe, daß der Antragstellerin eine Verwirklichung des ihr zustehenden Angriffsrechtes an dieser Liegenschaftshälfte unmöglich gemacht werde.
Das Erstgericht wies den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ab.
Das Rekursgericht bewilligte die beantragte einstweilige Verfügung gegen Erlag einer Sicherstellung von 5000 S. Wenngleich das Aufgriffsrecht nur einen obligatorischen Anspruch gegen die Verlassenschaft bzw. gegen die eingeantworteten Erben gewähre, so sei daraus noch nicht der rechtliche Schluß abzuleiten, daß es ein höchst Persönliches Recht sei, welches erlösche, falls der Aufgriffsberechtigte vor seiner Geltendmachung sterbe. Nun bestehe kein Grund zur Annahme, daß das Aufgriffsrecht zu jenen Ausnahmsrechten gehöre, die auf Grund ihres höchstpersönlichen Charakters unvererblich sind. Es enthalte die Befugnis einer bestimmten Person, nach dem Willen des Verfügungsberechtigten bestimmte Nachlaßsachen unter bestimmten Voraussetzungen zu übernehmen. Es sei daher jedenfalls vermögensrechtlicher Natur. Vermögensrechte seien aber, sofern das Gesetz nichts anderes vorsehe, vererblich. Selbst wenn aber dem Aufgriffsrecht die Natur eines höchstpersönlichen Rechtes beizumessen wäre, müßte analog der Behandlung des Schmerzengeldes die Vererblichkeit jedenfalls in dem Zeitpunkt bejaht werden, in dem der Aufgriffsberechtigte im Verlassenschaftsverfahren die Erklärung abgab, das Aufgriffsrecht in Anspruch zu nehmen.
Der Oberste Gerichtshof stellte den Beschluß des Erstgerichtes wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Mangels einer gesetzlichen Regelung ist das sogenannte Aufgriffsrecht keinesfalls als Erbeinsetzung zu werten. Es kann ihm daher auch dann, wenn es im Rahmen eines Erbvertrages eingeräumt wurde, erbrechtlich nicht die Wirkung eines Vertrages unter Lebenden zuerkannt werden, wie dies beim Erbvertrag hinsichtlich der Erbeinsetzung der Fall ist. Während es außerhalb einer vertraglichen Bindung auch ohne Zustimmung des Aufgriffsberechtigten durch anderweitige erblasserische Verfügungen widerruflich ist, kann dem Aufgriffsrecht dann die Bedeutung einer unwiderruflichen, die Liquidierung ersparenden Erbteilungsvorschrift zukommen, wenn es im Rahmen eines ehegüterrechtlichen Vertrages wechselseitig verbindlich, somit einseitig unwiderruflich eingeräumt wurde (vgl. Klang 2. Aufl. V 710, 911 f., 978; SZ. XXIII 180; SZ. XXVI 64). Der Umstand aber, daß die Einräumung des Aufgriffsrechtes auf Grund einer in einem ehegüterrechtlichen Vertrag wechselseitig eingegangenen vertraglichen Bindung als unwiderruflich zu gelten hat, hingegen das Aufgriffsrecht außerhalb einer vertraglichen Regelung widerrufen werden kann, erscheint für die Frage, ob diesem seiner Natur nach dem Familienrecht zugehörigen Recht als solchem aktive Vererblichkeit zukommt, nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Dies in der Erwägung, daß das Aufgriffsrecht an sich seinem wesentlichen Inhalt nach dem sogenannten Familieneinstandsrecht, wonach den Angehörigen einer bestimmten Familie das Recht vorbehalten wird, ein unbewegliches Gut im Fall der beabsichtigten Übertragung an eine der begünstigten Familie nicht angehörige Person an sich zu lösen, als rechtsähnlich erachtet werden muß. Diese Rechtsähnlichkeit tritt besonders im vorliegenden Fall hervor, wo Gegenstand des in einem Gütergemeinschaftsvertrag für den Fall des Todes des anderen Teils wechselseitig bedungenen Aufgriffsrechtes der von dem anderen Ehegatten herrührende, durch dessen Tod erledigte Anteil an der Gemeinschaft, also die in dessen Nachlaß fallende Hälfte der der Gemeinschaft wechselseitig unterzogenen Güter bildet (§ 1234 ABGB.). Gemäß § 1 des G. vom 28. März 1875, RGBl. Nr. 37, ist jedoch die rechtliche Wirksamkeit des vorbeschriebenen Familieneinstandsrechtes seit dem Tag, mit welchem das ABGB. Gesetzeskraft erlangt hat, nach den das Vorkaufsrecht beschränkenden Bestimmungen der §§ 1072 bis 1079 dieses Gesetzbuches zu beurteilen, womit der Grundsatz der Unvererblichkeit (§ 1074 ABGB.) dieses seit dem Inkrafttreten des ABGB. als Vorkaufsrecht zu behandelnden Rechtes eindeutig festgelegt ist (s. auch § 1 Abs. 2 des G. vom 28. März 1875, RGBl. Nr. 37). Die insbesondere im vorliegenden, Fall augenfällige Rechtsähnlichkeit des vertraglich eingeräumten Aufgriffsrechtes mit dem Familieneinstandsrecht läßt daher zufolge Gleichheit des Rechtsgrundes und des Schutzbedürfnisses eine analoge Anwendung des durch das vorzitierte Gesetz angeordneten Ausschlusses der aktiven Vererblichkeit auch auf das Aufgriffsrecht zu (§ 7 ABGB.). Für die Rechtsfolge der Unvererblichkeit spricht auch Sinn und Zweck eines zwischen Ehegatten oder Brautleuten wechselseitig bedungenen Aufgriffsrechtes, da damit offensichtlich nur dem überlebenden Eheteil persönlich das unwiderrufliche Recht eingeräumt werden soll, den Nachlaß des Verstorbenen um einen bestimmten Schätzungspreis zu übernehmen, demnach der Eintritt einer Erbfolge nach dem Berechtigten bei Zusicherung dieses Rechts als nicht in den Vertragswillen einbezogen zu gelten hat. Es kann aber auch der Auffassung des Rekursgerichtes nicht gefolgt werden, daß die Vererblichkeit des Aufgriffsrechtes analog der Behandlung des Schmerzengeldes jedenfalls in dem Zeitpunkt zu bejahen sei, in dem Josef R. im Verlassenschaftsverfahren nach Christine R. erklärt habe, das Aufgriffsrecht in Anspruch zu nehmen. Eine analoge Anwendung des im Judikat 204 ausgesprochenen Grundsatzes der aktiven Vererblichkeit des Schmerzengeldes, wenn dieses bereits gerichtlich geltend gemacht worden ist, würde entweder voraussetzen, daß die Rechtshängigkeit einer vom Aufgriffsberechtigten eingebrachten Klage vor dessen Tod bereits eingetreten war oder eine nicht im Rechtsstreit bei seinen Lebzeiten erfolgte Geltendmachung unmittelbar geeignet wäre, einen Exekutionstitel herbeizuführen, wie die Anmeldung im Konkurs- oder Ausgleichsverfahren oder im Adhäsionsprozeß in einem Strafverfahren. Der vom Aufgriffsberechtigten im Verlassenschaftsverfahren nach Christine R. abgegebenen Erklärung, von seinem Aufgriffsrecht unter gewissen Bedingngen Gebrauch zu machen, kann jedoch ungeachtet seiner mit Beschluß vom 23. Mai 1956 erfolgten Verweisung auf den Zivilrechtsweg diese Eignung nicht zuerkannt werden. Da sohin schon aus rechtlichen Gründen die Bescheinigung des von der testamentarischen Erbin nach Josef R. zur Sicherung beantragten Anspruches nicht als erbracht angesehen werden kann, war in Stattgebung des Revisionsrekurses der Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen.
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