OGH 5Ob65/61

OGH5Ob65/611.3.1961

SZ 34/31

Normen

ABGB §986
ABGB §986

 

Spruch:

Der Verbraucherpreisindex II ist als Nachfolger des der Wertsicherungsklausel zugrunde gelegten Lebenshaltungskostenindex an dessen Stelle anzuwenden. Bei Errechnung der Geldwertänderung ist der Wert am Tag des Vertragsabschlusses mit dem am Fälligkeitstag zuletzt bekanntgegebenen Wert zu vergleichen.

Entscheidung vom 1. März 1961, 5 Ob 65/61.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Mit Vertrag vom 1. März 1955 veräußerten die Kläger, die bis dahin Eigentümer der Liegenschaft EZ. 735 KG. K. je zur Hälfte gewesen waren, diese Liegenschaft an das Ehepaar Johann und Herta W. Im Punkt 3 des Vertrages verpflichteten sich die Übernehmer, außer dem bereits vor Unterfertigung des Vertrages gezahlten Betrag von 25.000 S einen weiteren Barbetrag von 25.000 S am 1. Mai 1955 zu zahlen. Sie übernahmen ferner die Verpflichtung zur Leistung einer für den Lebensunterhalt der Kläger bestimmten Leibrentenzahlung von monatlich 1700 S, beginnend am 1. Mai 1955, wobei die einzelnen Leibrentenbeträge jeweils im voraus zu entrichten sind. Bei Ableben eines der Übergeber sollte sich die Leibrente auf den Betrag von monatlich 1150 S verringern. Die zu leistenden Beträge sollten zum Teil als Übergabspreis für die Liegenschaft, zum Teil als Übergabspreis für das auf der Liegenschaft befindliche Kaffeehausunternehmen gelten. Punkt 4 des Vertrages hat folgenden Wortlaut:

"Zur Sicherung der Wertbeständigkeit der für den Lebensunterhalt der Übergeber bestimmten Leibrente wird diese in Relation auf den Lebenshaltungskostenindex gebracht, wie ihn das Statistische Zentralamt in Wien allmonatlich bekanntgibt. Bei Steigen oder Sinken der jeweiligen Indexziffer in bezug auf den jeweiligen Fälligkeitsbetrag hat eine entsprechende Erhöhung oder Senkung Platz zu greifen, wobei jedoch Wertschwankungen von 10 vom Hundert nach oben oder unten vereinbarungsgemäß außer Anschlag bleiben."

Im Punkt 10 wurde bestimmt, daß die Übergabe und Übernahme der Vertragsobjekte in den physischen Besitz und Genuß der Übernehmer am 1. Mai 1955 erfolgen sollte. Von diesem Zeitpunkt an sollten Gefahr, Schaden und Zufall, Vorteil und Lasten von den Vertragsobjekten auf die Übernehmer übergehen.

Mit Kaufvertrag vom 29. Februar 1956 verkauften die Eheleute Johann und Herta W. die Liegenschaft sowie das Gast- und Schankgewerbe an die Beklagte. Diese verpflichtete sich u. a., für den Lebensunterhalt der Kläger den Betrag von monatlich 1700 S bzw. dem Überlebenden den Betrag von monatlich 1150 S zu zahlen. Wörtlich heißt es dann in dem Vertrag weiter: "Frau Maria H. hat in den genannten, zwischen den Eheleuten Otto und Julie C. und den Verkäufern Johann und Herta W. geschlossenen Kauf- und Leibrentenvertrag vom 1. März 1955 Einsicht genommen und tritt in die von den Eheleuten Johann und Herta W. in diesem Vertrag übernommenen Verpflichtungen gegenüber den Eheleuten Otto und Julie C. ein. Sie verpflichtet sich, die Eheleute Johann und Herta W. diesbezüglich vollkommen klag- und schadlos zu halten."

In der Klage begehrten die beiden Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von je 3008 S 15 g s. A. Dieser Betrag stellt die Differenz dar zwischen den gezahlten Rentenbeträgen von monatlich 1700 S und den Beträgen, welche die Beklagte unter Berücksichtigung der Wertsicherungsklausel zu zahlen gehabt hätte, wobei als Grundlage für die Berechnung der Wertänderung die Indexzahl für Mai 1955 genommen wurde, die mit den für die jeweiligen Zahltage vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung bekanntgegebenen Indexzahlen verglichen wurde.

Das Erstgericht erkannte nach dem Klagebegehren.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Betrages von je 2292 S 87 g samt Zinsen sowie im Kostenpunkt und änderte das Ersturteil nur insofern ab, als es das Mehrbegehren auf Zahlung der weiteren Beträge von je 715 S 28 g samt Zinsen abwies.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen der ersten Instanz und trat auch der rechtlichen Beurteilung der ersten Instanz im allgemeinen bei. Die teilweise Abweisung des Klagebegehrens ergab sich daraus, daß das Berufungsgericht im Gegensatz zum Erstgericht den Rechtsstandpunkt vertrat, daß sich die im Punkt 4 des Vertrages erwähnten 10% nicht auf die Indexzahlen, sondern auf den Geldwert bezögen. Demnach erweise sich das Klagebegehren hinsichtlich der für die Monate Juli bis November 1957 sowie April, September und November 1958 eingeklagten Beträge als nicht gerechtfertigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger nicht Folge; auf die Revision der Beklagten hob er jedoch die Urteile der Untergerichte, soweit sie den Zuspruch von je 2292 S 87 g betrafen, auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es ist entbehrlich, auf die Ausführungen der Revision der Beklagten, die sich mit der Zulässigkeit eines auf Grund des Gesetzes geltend gemachten Aufwertungsanspruches beschäftigen, einzugehen, da in der Klage der Aufwertungsanspruch nicht aus dem Gesetz, sondern aus dem Vertrag abgeleitet wurde und auch das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, daß sich der Aufwertungsanspruch aus dem Vertrag ableiten ließe, wenngleich es auch auf den Unterhaltscharakter der Leibrente hingewiesen hat.

Für die Beantwortung der Frage, welche Ansprüche die Kläger gegen die Beklagte aus dem Titel des Leibrentenvertrages geltend machen können, ist allein der Wortlaut des Vertrages vom 1. März 1955 maßgebend, weil laut Punkt III des Kaufvertrages vom 29. Februar 1956 die Beklagte in den Vertrag vom 1. März 1955 nach dessen schriftlich niedergelegtem Wortlaut eingetreten ist und nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes mündliche Vereinbarungen über die Leibrente, insbesondere über den Stichtag für deren Valorisierung, weder zwischen dem Ehepaar W. und der Beklagten noch zwischen dieser und den Klägern getroffen wurden. Es ist daher nicht der Parteiwille bei Abschluß des Vertrages vom 1. März 1955 von Bedeutung, und es ist auch gleichgültig, was sich der urkundenverfassende Notar bei Abfassung dieses Vertrages gedacht hat. Es handelt sich hier allein um die Beurteilung der Bedeutung und Tragweite einer Urkunde, also um eine reine Rechtsfrage.

Die Beklagte hat die Rechtswirksamkeit der Wertsicherungsklausel aus zwei Gründen in Frage gestellt, zunächst deshalb, weil im Punkt 4 des Vertrages vom 1. März 1955 auf den Lebenshaltungskostenindex des Statistischen Zentralamtes Wien, den es niemals gegeben habe, Bezug genommen wird, und sodann deshalb, weil es seit März 1959 einen Lebenshaltungskostenindex überhaupt nicht mehr gebe, sondern nur mehr die sogenannten Verbraucherpreisindices. In beiden Richtungen ist der von der Beklagten eingenommene Rechtsstandpunkt unbegrundet. Es ist richtig, daß das Österreichische Statistische Zentralamt einen "Lebenshaltungskostenindex" nicht herausgegeben hat, sondern einen "Kleinhandelspreisindex", und daß der "Lebenshaltungskostenindex" vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung herausgegeben wurde. Deshalb läßt sich aber nicht sagen, daß die im Vertrag vom 1. März 1955 vereinbarte Wertsicherungsklausel nicht bestimmt oder nicht bestimmbar wäre. Es wird dort auf den "Lebenshaltungskostenindex" Bezug genommen; es hat aber in Österreich nur einen einzigen solchen Index gegeben, nämlich den vom Institut für Wirtschaftsforschung herausgegebenen, weshalb es nach dem Inhalt des Vertrages nicht zweifelhaft sein konnte, daß dieser Index trotz der irrtümlichen Nennung des Statistischen Zentralamtes gemeint ist. Was aber die Frage betrifft, wie weit die Wertsicherungsklausel durch die Einstellung der Verlautbarungen eines solchen Index hinfällig werden könnte, ist dazu folgendes zu sagen: Es ist richtig, daß es seit März 1959 einen Lebenshaltungskostenindex nicht mehr gibt, sondern an seiner Stelle und an Stelle des Kleinhandelspreisindex nunmehr zwei Verbraucherpreisindices veröffentlicht werden. Es wäre aber eine überspitzt formalistische Auslegung, welche nicht im Sinne der Auslegungsregel des § 914 ABGB. gelegen wäre, wollte man den Standpunkt einnehmen, daß eine Wertsicherungsklausel, die sich auf den Lebenshaltungskostenindex berufen hat, nunmehr deswegen hinfällig werde, weil es einen Index unter diesem Namen nicht mehr gibt. Wenn sich die Parteien auf einen amtlich errechneten Lebenshaltungskostenindex berufen haben, dann haben sie damit zu erkennen gegeben, daß sie sich der amtlichen Feststellung über den jeweiligen Stand der Lebenshaltungskosten unterwerfen wollten, und es kann nicht angenommen werden, daß diese Unterwerfung in dem Augenblick beendet sein sollte, als der amtliche Index nur seinen Namen ändert oder unter wesentlicher Beibehaltung der bisherigen Berechnungsgrundlagen eine verfeinerte Berechnungsmethode anwendet. Nun ist der Verbraucherpreisindex II nichts anderes als der Nachfolger des früher vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung errechneten Lebenshaltungskostenindex. Er macht dieselbe Aussage wie der Lebenshaltungskostenindex, das Verbrauchsschema ist auf annähernd die gleichen sozialen Schichten abgestellt wie beim Lebenshaltungskostenindex. Es handelt sich hier nur um eine Revision mit dem Tenor einer Verfeinerung und stärkeren Gegenwartsnähe. Der Verbraucherpreisindex II präsentiert sich als eine verbesserte Auflage des Lebenshaltungskostenindex. Er gestattet eine genauere Messung von Geldwertänderungen und muß als unter Berücksichtigung des Verkettungsfaktors anzuwendender Nachfolger des Lebenshaltungskostenindex gelten (Beilage zum Märzheft 1959 der Statistischen Nachrichten S. 34; Purkarthofer in ImmZ. 1959 S. 362). Mit Recht haben daher die Untergerichte den Standpunkt vertreten, daß die Wertsicherungsklausel im Vertrag vom 1. März 1955 genügend bestimmt und daher wirksam ist.

Hingegen vermag der Oberste Gerichtshof der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes, daß bei Errechnung der Wertverminderung des Geldes vom Stichtag 1. Mai 1955 auszugehen sei, nicht beizutreten. Daß es hier auf den Parteiwillen der ursprünglichen Vertragschließenden des Vertrages vom 1. März 1955 gar nicht ankommt, wurde eingangs bereits erwähnt. Aus dem Wortlaut des Vertrages vom 1. März 1955 aber läßt sich die Ansicht, daß der Stichtag vom 1. Mai 1955 für den Vergleich der Indexzahlen heranzuziehen sei, nicht ableiten. Der 1. Mai 1955 war der Zahltag des Betrages von 25.000 S und der Zahltag der ersten Rente. Er war auch der Tag der Übergabe. Dagegen sagt der Vertrag nichts darüber, daß der 1. Mai 1955 auch der Stichtag für den Indexwert sein sollte, von dem bei Errechnung der Erhöhung der künftigen Lebenshaltungskosten auszugehen sein werde. Das läßt sich auch nicht daraus ableiten, daß der am 1. Mai 1955 zu zahlende Betrag von 25.000 S nicht wertgesichert sein sollte. Denn hier handelt es sich um keine Zahlung für den Lebensunterhalt, während die Leibrente im Punkt 4 des Vertrages ausdrücklich als für den Lebensunterhalt der Übergeber bestimmt bezeichnet ist. Auch mit der Klausel, daß bei Steigen oder Sinken der jeweiligen Indexzahl in bezug auf den jeweiligen Fälligkeitstag eine Erhöhung oder Senkung Platz zu greifen habe, ist für die Annahme eines Stichtages 1. Mai 1955 nichts zu gewinnen. Da also aus dem Vertragstext selbst ein bestimmter Stichtag nicht zu entnehmen ist, muß an Hand der Bestimmung des § 914 ABGB. geprüft werden, welcher Tag nach der Übung des redlichen Verkehres als Stichtag anzusehen ist. Diese Prüfung führt dazu, daß der Stichtag der Tag des Vertragsabschlusses, das ist der 1. März 1955, sein muß. Denn wenn Parteien in einen Vertrag eine Wertsicherungsklausel einbauen, so ist anzunehmen, daß sie mit der Wertsicherungsklausel die Geldwertverminderung erfassen wollten, die sich gegenüber dem Geldwert zur Zeit des Vertragsabschlusses ergeben werde. Es muß auch darauf hingewiesen werden, daß durch Punkt 4 des Vertrages sämtliche Rentenfälligkeiten erfaßt sind, also auch die erste Rentenfälligkeit vom 1. Mai 1955. Also auch diese Rate war schon wertgesichert, was nicht der Fall wäre, wenn man den Standpunkt verträte, daß bei der Errechnung der Geldwertverminderung vom 1. Mai 1955 als Stichtag auszugehen sei. Es kann auch nicht angenommen werden, daß bei Abschluß einer Wertsicherungsklausel die Parteien den Geldwertverfall, der sich innerhalb der ersten zwei Monate nach Abschluß des Vertrages etwa ergeben könnte, ganz außer Betracht lassen wollten.

Ferner ist dem von der Beklagten in ihrer Revision vertretenen Rechtsstandpunkt beizupflichten, daß bei der Errechnung der Geldwertänderung nicht von den für den betreffenden Monat nachträglich errechneten Werten, sondern von den am Fälligkeitstag zuletzt bekanntgegebenen Werten auszugehen ist (vgl. BA. 1954 S. 243). Das ergibt sich vor allem daraus, daß nicht anzunehmen ist, daß jemand in einem Vertrag zu einer Leistung verpflichtet werden sollte, deren Höhe für ihn am Fälligkeitstag gar nicht bestimmbar ist und die daher auch an diesem Tag mangels Bestimmbarkeit vom Gläubiger gar nicht eingeklagt werden kann. Es kann daher die Bestimmung des Punktes 4 des Vertrages nur dahin ausgelegt werden, daß eine Erhöhung oder Senkung bei Steigen oder Sinken der jeweilig zuletzt bekanntgegebenen Indexzahl in bezug auf den jeweiligen Fälligkeitstag Platz greifen sollte.

Da das Erstgericht die vor dem 1. März 1955 zuletzt verlautbarte Indexzahl nicht festgestellt und weiters nicht festgestellt hat, welche Rentenerhöhungswerte sich unter Anwendung der dargelegten Grundsätze für die einzelnen Monate im Vergleich zur Indexzahl März 1955 ergeben, war eine Aufhebung des von der Beklagten angefochtenen, bestätigenden Teiles des Leistungsurteiles nicht zu vermeiden.

Unbegrundet ist die Revision der Kläger gegen den abändernden Teil des angefochtenen Urteils, weil unter dem Wort "Wertschwankungen" im Punkt 4 des Vertrages sprachlich nur der Wert des Geldes oder, was dasselbe ist, der Wert der Rente verstanden werden kann, nicht aber ein "Wert der Indexziffer", zumal in dein einleitenden Halbsatz dieses Vertragspunktes von "Wertbeständigkeit" die Rede ist, wo der Ausdruck "Wert" eindeutig für den Wert der Leibrente gebraucht wird.

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