Spruch:
Bei Regelung der Benützung einer gemeinsamen Mietwohnung ist jedem Mitmieter grundsätzlich soviel an Wohnraum zuzuweisen, als ungefähr seinem Anteil entspricht.
Entscheidung vom 22. Februar 1961, 3 Ob 78/61.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die Parteien, Mutter und Sohn, schlossen am 18. Dezember 1958 vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zu 14 Cg 69/58 einen Vergleich, in dem sich der nunmehrige Antragsgegner verpflichtete, die Antragstellerin als gleichteilige Mithauptmieterin der gemeinsamen Wohnung anzuerkennen und die zur Einräumung dieser Rechte nötigen Erklärungen abzugeben. Diese Wohnung besteht aus Vorzimmer, Badezimmer, Küche und fünf Zimmern.
Das Erstgericht wies der Antragstellerin das rechts gelegene, vom Vorzimmer unmittelbar zugängliche Gassenzimmer samt Mitbenützung der Küche und der Nebenräume zu, dem Antragsgegner, dessen geschiedener Gattin und den beiden Kindern, die zum Teil aus erster, zum Teil aus zweiter Ehe stammen, die übrigen Teile der Wohnung. Es vertrat die Ansicht, daß der Umstand, daß beide Parteien gleichteilige Mithauptmieter seien, nicht bedeute, daß sie, ein gleiches Benützungsrecht hätten. Vielmehr habe die Antragstellerin nur die gleichen Mietrechte wie der Antragsgegner, doch komme es bei der Benützungsregelung nur auf die Bedürfnisse der Parteien an.
Das Rekursgericht änderte diesen Beschluß dahin ab, daß es der Antragstellerin auch das mittlere Gassenzimmer, das an das erste unmittelbar anschließt und ebenfalls 27 m2 groß ist, zuwies. Es führte aus, daß die Antragstellerin gleiche Rechte habe wie der Antragsgegner und der Vergleich nur in diesem Sinn verstanden werden könne. Die Antragstellerin brauche eine Pflegerin, und es könne ihr nicht zugemutet werden, mit dieser in einem einzigen Raum zu wohnen und zu schlafen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Antragsgegners nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Antragsteller wendet sich dagegen, daß das Rekursgericht eine andere Parteiabsicht festgestellt habe als das Erstgericht. Hievon kann gar nicht die Rede sein. Das Erstgericht hat in dieser Hinsicht keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, sondern eine Rechtsansicht zum Ausdruck gebracht. Der Inhalt des Vergleiches ist vollkommen eindeutig. Wenn das Erstgericht meint, die Antragstellerin bleibe, obwohl es ihr von fünf Zimmern nur eines zugesprochen hat, noch Inhaberin der gleichen Mietrechte, so ist zu bemerken, daß damit der Vergleich dahin abgeändert würde, daß ihr eben nur ein kleiner Bruchteil der Mietrechte zustunde. Denn es ist unerfindlich, worin dann die Rechtsgleichheit bestehen sollte. Ein über die Benützung des der Antragstellerin zugewiesenen Teiles der Bestandsache hinausgehendes, dem des Antragsgegners gleiches Mietrecht wäre vollkommen inhaltsleer. Jedes Vermögensrecht setzt aber einen Gegenstand voraus, auf den es sich bezieht. Gemäß § 1090 ABGB. erschöpft sich das Recht des Mieters im Gebrauch der Bestandsache und im Recht, sich gegen jede Beeinträchtigung dieser Befugnis wehren zu können. Das Wort "gleichteilig" kann sich daher nur auf den Gebrauch der Bestandsache, also die Benützung der Wohnung beziehen. Im Gegensatz zur Vorschrift des § 5 der 6. DVzEheG. hat der Richter die Ausübung des dem Anteil entsprechenden Rechtes zu bestimmen. Wie weit bei Miteigentum an einer körperlichen Sache demjenigen, der kein Bedürfnis hat, die Benützung seinem Anteil entsprechend auszuüben, hiefür ein Geldersatz zu geben ist, braucht hier nicht untersucht zu werden.
Überdies kann hier nicht gesagt werden, daß die Antragstellerin überhaupt kein Bedürfnis hätte, das strittige Zimmer zu benützen. Als 76 Jahre alte Frau kann ihr zugebilligt werden, sich eine Pflegeperson, die meist um sie ist, zu halten. Der Antragsgegner ist zwar Arzt, so daß er ihr im Notfall beistehen könnte, doch kann er nicht stets anwesend sein. Überdies kann der Antragstellerin nicht zugemutet werden, sich von ihm, mit dem sie in fortwährenden Streitigkeiten steht, betreuen zu lassen.
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