Spruch:
Amtshaftungsanspruch bei Mißhandlung eines Schülers durch den Lehrer während des Unterrichtes.
Entscheidung vom 7. September 1960, 1 Ob 173/60.
I. Instanz: Bezirksgericht Baden; II. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt.
Text
Mit rechtskräftigem Urteil des Erstgerichtes vom 22. September 1959 wurde der Beklagte schuldig erkannt, am 18. Juni I959 in B. als Lehrer seinen Schüler, den Kläger, während der Unterrichtsstunde in der vierten Klasse der A.-Schule (Volksschule) derart mißhandelt zu haben, daß dieser Schädigungen am Körper, und zwar schmerzhafte Blutunterlaufungen und Hautabschürfungen im Bereich des Nackens und des rechten und linken Schlüsselbeins, erlitt. Der Beklagte wurde deswegen nach § 420 StG. bestraft. Der Kläger als Privatbeteiligter wurde mit seinem Schmerzengeldanspruch von 900 S auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Der Antrag des Klägers, die vom Beklagten zu ersetzenden Privatbeteiligtenkosten mit 1259 S 84 g zu bestimmen und dem Beklagten ihre Zahlung aufzuerlegen, wurde mit Beschluß vom 20. Oktober 1959 abgewiesen. Die Beschwerde des Klägers dagegen blieb erfolglos.
Mit der nun vorliegenden Klage verlangt der Kläger vom Beklagten 450 S Schmerzengeld und den Ersatz von 70 S für das bei der Mißhandlung zerrissene Hemd. Ferner beantragt er, den Beklagten zur Zahlung der Prozeßkosten "einschließlich der Kosten als Privatbeteiligter" zu verurteilen.
Das Erstgericht wies die Klage gemäß der vom Beklagten erhobenen Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück, weil nicht der Beklagte, sondern als Rechtsträger gemäß § 1 Abs. 1 AmtshaftungsG. der Bund hafte.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge und änderte den angefochtenen Beschluß dahin ab, daß die von der beklagten Partei erhobene Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen und dem Erstrichter die Durchführung des Verfahrens und die Entscheidung in der Hauptsache unter Abstandnahme von dem von ihm angenommenen Prozeßhindernis aufgetragen wurde. Es vertrat die Auffassung, daß der Beklagte bei der Mißhandlung des Klägers nicht in Vollziehung der Gesetze gehandelt habe, so daß der Rechtsweg trotz der Vorschrift des § 9 Abs. 5 AmtshaftungsG. offenstehe.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Beklagten Folge und stellte in Abänderung des angefochtenen Beschlusses den erstgerichtlichen Beschluß wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Gemäß § 9 Abs. 5 AmtshaftungsG. kann der Geschädigte den Ersatz des Schadens, den ihm ein Organ eines in § 1 AmtshaftungsG. genannten Rechtsträgers in Vollziehung des Gesetzes zugefügt hat, gegen das Organ im ordentlichen Rechtsweg nicht geltend machen. Daß der Beklagte in Vollziehung der Gesetze den Schaden zugefügt hat, ist nicht zu bezweifeln, weil er den Kläger während des Unterrichts, also bei Ausübung der Hoheitsverwaltung, mißhandelt hat. Auch als Organ des Rechtsträgers ist der Beklagte aufgetreten, weil er dem Kläger gegenüber als Lehrer und nicht als Privatperson gehandelt hat (vgl. 1 Ob 802/51; Loebenstein - Kaniak, Kommentar zum Amtshaftungsgesetz, Nachtrag, S. 13 Nr. 7). Deswegen die Organqualität zu bezweifeln, weil der Beklagte rechtswidrig gehandelt hat, geht nicht an. Wollte man dies tun, so würde damit jeder Amtshaftungsanspruch ausgeschlossen sein. Der Oberste Gerichtshof hat denn zum Beispiel auch ohne weiteres einen Amtshaftungsanspruch bei rechtswidrigem Waffengebrauch eines Wachebeamten angenommen (JBl. 1956 S. 318).
Für die als Prozeßkosten geltend gemachten Kosten der Privatbeteiligung am Strafverfahren kann schon deswegen der Rechtsweg im vorliegenden Verfahren nicht offenstehen, weil er für den Hauptanspruch verneint wurde.
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