Normen
Patentgesetz 1950 §30
Patentgesetz 1950 §96
ZPO §190
Patentgesetz 1950 §30
Patentgesetz 1950 §96
ZPO §190
Spruch:
Die Entscheidung über eine Abhängigkeitsklage nach § 30 PatentG. 1950 kann präjudiziell für einen Rechtsstreit auf Unterlassung eines Patenteingriffes sein.
Entscheidung vom 26. April 1960, 4 Ob 307/60.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger ist Inhaber des österreichischen Patentes Nr. 192.298 mit der Priorität vom 9. September 1952, dessen Patentanspruch lautet:
"1.) Perforierte Einlegesohle mit auf einer Seite, angebrachten Erhöhungen in Form von Rippen, Zäpfchen und dgl., dadurch gekennzeichnet, daß die Sohle aus von herauslösbaren und verflüchtigenden Zusätzen freiem Polyäthylen besteht;
2.) Einlegesohlen nach Anspruch 1.), dadurch gekennzeichnet, daß das die Sohlen bildende Polyäthylen eine Shore-Härte von 95 und ein Mindestmolekulargewicht von 16.000 besitzt."
Der Beklagte macht von dem österreichischen Patent Nr. 200.474 des Jakob R. im Einvernehmen mit diesem Gebrauch. Der Anspruch dieses Patentes lautet:
"Schuheinlegesohle aus Polyäthylen, dadurch gekennzeichnet, daß das Polyäthylen Stoffe, die bei Temperaturen im Bereich der Körpertemperatur einen merklichen Dampfdruck besitzen und einer Verarbeitungstemperatur von 150 bis 250 Grad Celsius standhalten, wie z. B. Bornylacetat oder Terpenylacetat, enthält." Der Beklagte setzt auch dem Polyäthylen, aus dem die von ihm erzeugten Sohlen hergestellt sind, vor der Verarbeitung Stoffe wie Bornylacetat und Terpenylacetat zu. Beide Parteien erzeugen Schuheinlegesohlen.
Der Kläger begehrt die Verurteilung des Beklagten, das österreichische Patent Nr. 192.298 anzuerkennen, die Herstellung und Inverkehrsetzung von perforierten Schuheinlegesohlen mit auf einer Seite angebrachten Erhöhungen aus Polyäthylen, welches von Zusätzen frei ist, gleichgültig, ob dieses mit einem Duftstoff versetzt ist oder nicht, ab sofort zu unterlassen und über seine Erzeugnisse sowie über seinen Vertrieb solcher Einlegesohlen binnen 14 Tagen Rechnung zu legen.
In der mündlichen Streitverhandlung vom 21. Oktober 1959 machte der Kläger noch geltend, daß die von der beklagten Partei verwendeten Riechstoffe Bornylacetat und Terpenylacetat sich in kurzer Zeit aus den Sohlen verflüchtigten und daß er eine Abhängigkeitsklage gegen das Patent Nr. 200.474 eingebracht habe.
Die beklagte Partei wendete Nichtigkeit des klägerischen Patentes ein, weil ihm nur ein gewöhnlicher Materialaustausch zugrunde liege. Ferner wendete sie ein, daß das österreichische Patent Nr. 200.474 die Herstellung von Schuheinlegesohlen aus von herauslösbaren und verflüchtigenden Zusätzen freiem Polyäthylen als bekannt voraussetze. Der Anspruch des Klägers gehe auch über seinen Patentanspruch hinaus.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte aus dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. W. fest, daß die Verwendung von Polyäthylen als Werkstoff für Schuheinlegesohlen als neu anzusehen sei und daß dieser Verwendungsvorschlag einen technischen Fortschritt darstelle. Die Verwendung von Polyäthylen (frei von herauslösbaren und verflüchtigenden Stoffen) sei kein einfacher Materialaustausch. Das Patent des Klägers sei daher nicht nichtig. Das Erstgericht stellte aus dem Sachverständigengutachten weiter fest, daß die Erzeugung von Einlegesohlen aus Polyäthylen, dem Bornylacetat und Terpenylacetat als verflüchtigende Stoffe beigemengt seien, keinen Eingriff in das Patent des Klägers darstelle, gleichgültig, ob man diese Frage nach dem Anspruch des Patentes Nr. 192.298 oder nach der Patentbeschreibung und dem Erteilungsakt prüfe. Wenn auch durch das natürliche Schwinden der sich verflüchtigenden Zusätze bei den von der beklagten Partei erzeugten Schuheinlegesohlen nachträglich ein Patenteingriff verwirklicht werde, so sei dies nicht Gegenstand des Rechtsstreites.
Infolge Berufung des Klägers hob das Berufungsgericht das Ersturteil mit Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte dessen Rechtsansicht, daß das Patent des Klägers nicht nichtig sei. Hingegen habe das Erstgericht zu Unrecht den Antrag des Klägers abgewiesen, einen Sachverständigen darüber zu vernehmen, daß die von der beklagten Partei dem Polyäthylen beigemengten Riechstoffe sich nach kurzer Zeit verflüchtigten. Wenn es nämlich zutreffen sollte, daß sich die Zusätze in den vom Beklagten erzeugten Sohlen in einem kürzeren Zeitraum als deren normaler Benützungsdauer verflüchtigten, würden diese nachträglich zum Eingriffsgegenstand. Wenn die Verflüchtigung der Zusatzstoffe hingegen im wesentlichen erst nach einem Zeitraum vollendet wäre, in dem die Einlegesohlen der beklagten Partei bei normalem Gebrauch unbenützbar geworden wären, die Wirkung der Zusätze also so lange anhielte, wie die mechanische Festigkeit der Einlegesohlen ihren ordnungsgemäßen Gebrauch gestatte, könnte nach Ansicht des Berufungsgerichtes von einer Patentverletzung nicht gesprochen werden.
Gegen diesen Aufhebungsbeschluß richtet sich der Rekurs der beklagten Partei.
Der Oberste Gerichtshof sprach aus, daß das Rekursverfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des beim Österreichischen Patentamt Wien anhängigen Verfahrens auf Abhängigerklärung des österreichischen Patentes Nr. 200.474 vom österreichischen Patent Nr. 192.298 unterbrochen werde.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Richtig ist, daß die klagende Partei in der Klage den Standpunkt einnahm, daß die Einlegesohlen der beklagten Partei einen Eingriff in ihr Patent darstellten, gleichgültig ob dem Polyäthylen Duftstoffe beigemengt seien oder nicht. Allein sie hat in der mündlichen Streitverhandlung vom 21. Oktober 1959 ihr Vorbringen in der oben angeführten Weise ergänzt und damit auch schon in erster Instanz die Frage des Verhältnisses der beiden Patente zueinander aufgeworfen. Mit Recht hat sich daher das Berufungsgericht mit dieser Frage beschäftigt. Die klagende Partei hat auch tatsächlich beim Österreichischen Patentamt am 21. Oktober 1959 einen Antrag auf Abhängigerklärung des Patentes Nr. 200.474 vom Patent Nr. 192.298 eingebracht. Im Verfahren vor dem Patentamt wird daher gemäß § 30 PatentG. 1950 entschieden werden, ob die gewerbliche Verwendung der dem Patent Nr. 200.474 zugrunde liegenden Erfindung die vollständige oder teilweise Benützung des Patentes Nr. 192.298 voraussetzt. Da der Beklagte Lizenznehmer des Erfinders Jakob R. ist, wird an die Entscheidung des Patentamtes über den Antrag auf Abhängigerklärung des Patentes Nr. 200.474 vom Patent Nr. 192.298 das Gericht ebenso gebunden sein wie etwa an ein Erkenntnis des Patentamtes, womit einer Aberkennungsklage stattgegeben wurde (vgl. Rspr. 1934 Nr. 65). Verneint nämlich das Patentamt die Abhängigkeit des Patentes Nr. 200.474 vom Patent Nr. 192.298, so steht damit bindend fest, daß die gewerbliche Verwendung des erstgenannten Patentes durch Jakob R. oder seinen Lizenznehmer, den Beklagten, keine Benützung des klägerischen Patentes und daher auch keinen Eingriff in das klägerische Patent Nr. 192.298 darstellt. Bejaht das Patentamt die Abhängigkeit des Patentes Nr. 200.474 vom Patent Nr. 192.298, so wird in der Regel, wenn nicht besondere Verhältnisse vorliegen (wie etwa bei einem Übereinkommen zwischen den Parteien oder zwischen dem Kläger und Jakob R.) auch ein Patenteingriff gegeben sein, weil damit feststeht, daß die Benützung des Patentes Nr. 200.474 durch den Beklagten als Lizenznehmer des Jakob R. zumindest eine teilweise Benützung des klägerischen Patentes Nr. 192.298 voraussetzt und daher - von der vorgenannten Ausnahme abgesehen - auch einen Eingriff in das Patent des Klägers darstellt. Die Entscheidung des Österreichischen Patentamtes kann daher von präjudizieller Bedeutung für den gegenständlichen Rechtsstreit sein, so daß gemäß § 190 ZPO. eine Unterbrechung des gerichtlichen Verfahrens anzuordnen war, eine Anordnung, die auch noch in dritter Instanz erfolgen kann (vgl. JBl. 1954 S. 464 und JBl. 1955 S. 173).
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