Normen
Entmündigungsordnung §10
Entmündigungsordnung §67
Entmündigungsordnung §10
Entmündigungsordnung §67
Spruch:
Die Enthebung des vorläufigen Beistandes ist eine Folge der Bestellung des Kurators oder Beistandes des Entmundigten. Kein Zuwarten mit dieser Bestellung bis zur Rechtskraft der Entmündigung.
Entscheidung vom 2. März 1960, 6 Ob 55/60.
I. Instanz: Bezirksgericht Neumarkt i. St.; II. Instanz:
Kreisgericht Leoben.
Text
Mit Beschluß vom 28. November 1959, L 1/59, sprach der Erstrichter die volle Entmündigung des am 29. Oktober 1903 geborenen Simon M. wegen Geisteskrankheit aus. Er nahm als erwiesen an, daß M., der seit 1952 keiner Arbeit mehr nachging, sondern nur von der Fürsorgeunterstützung und aufgenommenen Krediten lebte, an Paranoia querulatoria (Querulantenwahn) leide und zur Durchsetzung seiner Ideen alle nur möglichen erlaubten und unerlaubten Mittel anwende, sohin gemeingefährlich sei. Der Entmündigungsbeschluß wurde dem Simon M., für den in der Person des Raimund S. ein vorläufiger Beistand bestellt worden war, am 5. Dezember 1959 zugestellt; der Beschluß ist noch nicht rechtskräftig.
Das Erstgericht eröffnete am 10. Dezember 1959 die Pflegschaft, indem es Peter W. zum Kurator des Simon M. bestellte und die grundbücherliche Anmerkung der Entmündigung bei einer dem Simon M. gehörigen Liegenschaft und einem weiteren Liegenschaftsanteil unter gleichzeitiger Löschung der Anmerkung der Bestellung eines vorläufigen Beistandes verfügte; zugleich machte es die Entmündigung öffentlich bekannt.
Das Rekursgericht hob auf Rekurs des Peter W. gegen seine Bestellung zum Kurator den erstrichterlichem Beschluß unter Hinweis auf §§ 66 Abs. 2 EntmO. und 417 Abs. 3 Geo. mit der Begründung auf, die Bestellung eines Kurators und die Eröffnung eines Pflegschaftsaktes sei erst nach Rechtskraft der Entmündigung und nach Enthebung des vorläufigen Beistandes möglich.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Amtsrekurs des Erstrichters (§ 15 AußStrG.) Folge und stellte die Entscheidung des Erstrichters wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Gemäß § 67 Abs. 1 EntmO. tritt der Entmündigungsbeschluß bereits mit Beginn des Tages in Wirksamkeit, an dem die Entscheidung dem Entmundigten oder derjenigen Person zugestellt wird, die für ihn den Beschluß in Empfang zu nehmen hat (§ 65 Abs. 3 EntmO.), es sei denn, daß das Gericht die Wirksamkeit bis zur Rechtskraft des Entmündigungsbeschlusses aufschiebt. Letzteres ist nicht geschehen. Der Beschluß auf Entmündigung des Simon M. ist daher, mag er auch noch nicht in Rechtskraft erwachsen sein, bereits am 5. Dezember 1959 rechtswirksam geworden.
Gemäß § 67 Abs. 2 EntmO. ist die Entmündigung vom Pflegschaftsgericht unverzüglich nach Eintritt der Wirksamkeit des Beschlusses öffentlich bekanntzumachen. Daraus ergibt sich unzweideutig, daß die Auffassung des Rekursgerichtes, der Pflegschaftsakt sei erst nach rechtskräftiger Entmündigung zu eröffnen, mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen ist. Die öffentliche Bekanntmachung der Entmündigung setzt die Eröffnung der Pflegschaft bereits voraus.
In der auf Grund des § 67 Abs. 3 EntmO. erlassenen Verordnung vom 14. Juli 1916, JMVBl. Nr. 24, über die Bekanntmachung einer Entmündigung ist im § 2 Z. 4 ausdrücklich normiert, daß das Edikt auch Namen, Wohnort usw. des Kurators oder Beistandes zu enthalten hat. Daraus folgt, daß öffentliche Bekanntmachung der Entmündigung und Kuratorbestellung Hand in Hand zu gehen haben, mag auch die Entmündigung noch nicht rechtskräftig sein (vgl. dazu auch Ehrenzweig 2. Aufl. II/2 S. 339). Gewiß führt die "auf Grund der Entmündigung" - nicht etwa "auf Grund der rechtskräftigen Entmündigung" - vorzunehmende Bestellung des Kurators oder Beistandes (§ 10 EntmO.) zur Enthebung des vorläufigen Beistandes; in der Regel werden auch beide Maßnahmen zugleich getroffen; es ist aber nicht die Enthebung des vorläufigen Beistandes Voraussetzung der Bestellung des Kurators oder Beistandes, sondern umgekehrt: die Bestellung des Kurators oder Beistandes ist Voraussetzung der Enthebung des vorläufigen Beistandes. Welche Konsequenzen für die Vertretungsbefugnis sich in einem Fall wie dem vorliegenden ergeben, in dem ungeachtet der Bestellung des Kurators der vorläufige Beistand noch nicht formell enthoben ist, braucht hier nicht erörtert zu werden.
Voraussetzung für die Abänderung des angefochtenen Beschlusses ist nun, daß die Rekurslegitimation des Erstrichters im Sinne des § 15 AußStrG. gegeben erscheint. Sie ist nach ständiger Judikatur zu bejahen, wenn objektiv begrundete Besorgnis besteht, der rekursgerichtliche Beschluß könnte dem Simon M. unwiederbringliche Nachteile bringen (1 Ob 947/54, 3 Ob 711/54, 2 Ob 415/56 u. a.). In dieser Hinsicht ist zu bedenken, daß Simon M., dessen Geschäfts- und Handlungsfähigkeit durch die Bestellung des vorläufigen Beistandes nur eingeschränkt war, für den übrigen, nicht durch §§ 4, 6 und 9 EntmO. umgrenzten Bereich nunmehr eines gesetzlichen Vertreters entbehrt. Unter Bedachtnahme auf die für den Entmündigungsbeschluß maßgebenden, in dessen Begründung eingehend dargestellten Umstände erscheint die Bestellung eines Kurators um so dringender, als nicht nur durch das Verhalten eines beschränkt Entmundigten (§ 866 ABGB.), sondern auch eines voll Entmundigten unter Umständen Haftungsansprüche entstehen können (§ 1310 ABGB.), eine Gefahr, der ein Kurator allenfalls entgegenwirken kann. Die Rekurslegitimation des Erstrichters erscheint im vorliegenden Fall deshalb gegeben.
Was schließlich den Rekurs des Kurators gegen seine Bestellung betrifft, vermochte er Untauglichkeits- oder Entschuldigungsgrunde, die ihm nach dem Gesetz geradezu einen Anspruch auf Nichtbestellung gewähren würden (§§ 280, 281 ABGB. in Verbindung mit §§ 191 ff. ABGB.) nicht ins Treffen zu führen. Im Rechtsmittelweg läßt sich daher seine ohne vorherige Befragung erfolgte Zuziehung nicht abändern. Der Erstrichter wird aber noch den in seinem Rechtsmittel implicite gestellten Antrag auf Enthebung zu prüfen und zu erledigen haben (§§ 201, 281 ABGB).
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