OGH 6Ob250/59

OGH6Ob250/594.11.1959

SZ 32/144

Normen

EheG §24
4. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §24
EheG §24
4. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §24

 

Spruch:

Hängt die Entscheidung in einem Ehenichtigkeitsprozeß davon ab, ob ein die erste Ehe auflösendes ausländisches Urteil im Inland anerkannt werden kann, hat das Gericht eine Entscheidung des Bundesministeriums für Justiz gemäß § 24 der 4. DVzEheG. herbeizuführen.

Entscheidung vom 4. November 1959, 6 Ob 250/59.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger heiratete am 21. Dezember 1930 in seinem damaligen Wohnort Osijek (Esseg) im kroatischen Landesteil Jugoslawiens in erster Ehe nach römisch-katholischem Ritus die Emilie G; er war damals österreichischer Staatsbürger. Diese Ehe wurde vom bischöflichen Ehegericht in Djakovo mit Urteil vom 8. Juli 1935 von Tisch und Bett geschieden. Nachdem der Kläger am 28. Juli 1935 zur pravoslavischen Religion übergetreten war und Aufenthalt in Skoplje im serbischen Landesteil Jugoslawiens genommen hatte, wurde diese Ehe auch vom kirchlichen Gericht der orthodoxen Eparchie in Skoplje mit Urteil vom 6. Dezember 1935 rechtskräftig (dem Bande nach) geschieden.

Am 9. Februar 1936 heiratete der Kläger in zweiter Ehe nach pravoslavischem Ritus in Skoplje die ebenfalls dieser Religion angehörige Beklagte.

Einige Zeit später (Ende 1936 oder im Jahre 1937) erwarb der Kläger die jugoslawische Staatsbürgerschaft. Da er aber infolge seiner deutschen Volkszugehörigkeit während des zweiten Weltkrieges bei einer Einheit der deutschen Wehrmacht oder Polizei diente, flüchtete er im Jahr 1945 nach Österreich, verlor die jugoslawische Staatsbürgerschaft und war zunächst staatenlos. Die Beklagte blieb mit den beiden aus dieser Ehe stammenden Kindern in Jugoslawien zurück.

Am 6. August 1952 brachte der Kläger beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien unter 22 Cg 297/52 gegen die durch einen Kurator vertretene Beklagte eine Klage auf Nichtigerklärung der Ehe gemäß § 24 EheG. ein; hilfsweise begehrte er Ehescheidung gemäß § 55 EheG. Tatsächlich wurde die Ehe mit rechtskräftigem Urteil vom 4. Februar 1953 gemäß § 24 EheG. für nichtig erklärt.

Am 18. März 1953 traf das Bundesministerium für Justiz mit Bescheid Zl. 24.085/53-2 die Feststellung, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung des Scheidungsurteils des bischöflichen Ehegerichtes in Djakovo vom 8. Juli 1935 (Scheidung von Tisch und Bett) gegeben sind (§ 24 der 4. DVzEheG.).

Mit Beschluß vom 13. August 1953, 9 Nc 342/53, erklärte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien die erste Ehe des Klägers mit Emilie G. auch im Sinn des EheG. für geschieden (§ 115 Abs. 1 EheG. in Verbindung mit § 2 Abs. 1 der 4. DVzEheG.).

Am 26. September 1953 schloß der Kläger vor dem Standesamt Wien - Alsergrund eine dritte Ehe mit Gerda P. Durch diese Eheschließung wurden zwei Kinder legitimiert, während der Ehe wurde noch ein drittes Kind geboren.

Seit 1. Februar 1955 ist der Kläger österreichischer Staatsbürger. Am 17. September 1954 überreichte die Beklagte eine auf § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. gestützte Klage, in welcher sie die Wiederaufnahme des Ehenichtigkeitsprozesses 22 Cg 297/52 und in weiterer Folge die Abweisung des Begehrens des Klägers auf Nichtigerklärung ihrer Ehe verlangte. Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, daß sie bald darauf auch eine auf § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO. gestützte Nichtigkeitsklage erhob, welche aber rechtskräftig abgewiesen wurde (17 Cg 46/57).

Im vorliegenden Prozeß bestritt der Kläger das Vorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes und dehnte für den Fall einer Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens sein Eventualbegehren auf Ehescheidung im Sinn des § 49 EheG. aus.

Das Erstgericht erkannte in einem Urteil

1.) auf Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens 22 Cg 297/52,

2.) auf neuerliche Nichtigerklärung der am 9. Februar 1936 geschlossenen Ehe der Streitteile, wobei es überdies noch

3.) das Begehren der Beklagten auf Abweisung des Klagebegehrens des Klägers abwies.

4.) betraf die Kostenentscheidung.

Zur ersten Tagsatzung war auch die Staatsanwaltschaft Wien geladen worden, der seinerzeit das Urteil 22 Cg 297/52 zugestellt worden war. Im Prozeß trat die Staatsanwaltschaft nicht auf; sie stellte auch keinen Antrag, sie weiterhin zu verständigen. Eine Zustellung des neuen Urteils an sie unterblieb.

Eine Berufung wurde nur von der Beklagten erhoben.

Das Berufungsgericht ging davon aus, daß die gleichzeitige Entscheidung über das Wiederaufnahmebegehren der Beklagten und über das Begehren des Klägers im wiederaufgenommenen Prozeß zwar verfehlt war, daß aber die Bewilligung der Wiederaufnahme (Punkt 1 des erstrichterlichen Urteiles) rechtskräftig wurde. Demgemäß befaßte es sich nicht mit der Frage, ob taugliche Wiederaufnahmegrunde vorlagen und ob sie rechtzeitig geltend gemacht wurden. Es erkannte weiters, daß bei neuerlicher Stattgebung der Nichtigkeitsklage (Punkt 2 des erstrichterlichen Urteiles) eine weitere Entscheidung über das Begehren der Beklagten auf Abweisung des Klagebegehrens (Punkt 3 des erstrichterlichen Urteiles) überflüssig war. In der Sache selbst hob es das erstrichterliche Urteil im judicium rescissorium unter Rechtskraftvorbehalt mit der Begründung auf, die Entscheidung über das Begehren auf Nichtigerklärung der Ehe der Streitteile hänge von der Frage ab, ob auch die Voraussetzungen für eine Anerkennung des die erste Ehe des Klägers dem Bande nach lösenden Urteiles des kirchlichen Gerichtes der orthodoxen Eparchie in Skoplje vom 6. Dezember 1935 gemäß § 24 der 4. DVzEheG. vorlägen; darüber habe ausschließlich das Bundesministerium für Justiz zu entscheiden; im Sinn des in Ehesachen geltenden Prinzips amtswegiger Wahrheitserforschung müsse geklärt werden, ob ein solcher ex tunc wirkender Feststellungsbescheid des Bundesministeriums für Justiz erwirkt werden könne; es bleibe dem Erstrichter überlassen, ob er den Parteien dementsprechende Aufträge erteilen oder selbst an das Bundesministerium für Justiz herantreten wolle; sollte es bei Anerkennung des Urteiles vom 6. Dezember 1935 zur Abweisung des Nichtigkeitsbegehrens kommen, werde noch über das Scheidungsbegehren zu entscheiden sein.

Eine Zustellung dieses Beschlusses des Berufungsgerichtes an die Staatsanwaltschaft erfolgte nicht.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Erledigung des Rechtsmittels ist vorauszuschicken, daß die Entscheidung des Erstrichters aus den bereits vom Berufungsgericht genannten Gründen formell verfehlt war. Der Rekurswerber irrt aber, daß es ihm deshalb unmöglich gewesen sei, das Urteil im judicium rescindens anzufechten, weil gleichzeitig seiner Nichtigkeitsklage wiederum stattgegeben wurde. Durch den Formfehler des Erstrichters wurden bloß zwei selbständige Entscheidungen gemeinsam ausgefertigt, sie waren aber jede für sich anfechtbar. Es handelt sich um eine Art Gegenstück zu dem in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes JBl. 1952 S. 268 behandelten Fall, daß ungeachtet eines Beschlusses nach § 542 Abs. 1 ZPO. die Entscheidung im judicium rescindens doch sofort ausgefertigt wurde. Diesmal ist maßgebend, daß kein gesetzliches Verbot bestand, die unzulässigerweise gemeinsam ausgefertigten Entscheidungen gesondert nach dem jeweiligen Prozeßerfolg zu bekämpfen.

Das Wiederaufnahmeverfahren als solches ist, mag es sich auch auf eine Ehenichtigkeitsklage beziehen, doch nicht selbst ein Nichtigerklärungsprozeß (vgl. auch Novak, Die Amtswegigkeit im österreichischen Eheverfahren und ihre Grenzen, S. 108); eine Zustellung des erstrichterlichen Urteiles an die Staatsanwaltschaft (§ 133 Abs. 1 Geo.) war daher in diesem Belang nicht vorgeschrieben. Im Zusammenhalt mit der Unterlassung einer Berufung durch den Kläger ist darum dem Berufungsgericht darin beizupflichten, daß die Bewilligung der Wiederaufnahme rechtskräftig wurde.

Das hat zunächst zur Folge, daß sich die Parteien nunmehr wieder in der Rollenverteilung des wiederaufgenommenen Prozesses gegenüberstehen, was vom Obersten Gerichtshof entsprechend berücksichtigt wird. In Anbetracht der rechtskräftigen Wiederaufnahme des Nichtigkeitsprozesses gehen alle Rekursausführungen über die Untauglichkeit der Wiederaufnahmegrunde und die Verspätung der Klageführung der Gegnerin sowie über die Unanwendbarkeit des Offizialprinzips im judicium rescindens ins Leere. Der dem Berufungsgericht zunächst selbst unterlaufene Fehler, trotz erkannter Rechtskraft der Bewilligung der Wiederaufnahme auch Punkt 1 des erstrichterlichen Urteiles aufzuheben, wurde durch den Berichtigungsbeschluß des Berufungsgerichtes vom 27.August 1959 behoben.

Soweit sich das Urteil des Erstrichters auf die Ehenichtigkeitsklage bezieht, wäre es allerdings auch der Staatsanwaltschaft zuzustellen gewesen (§ 133 Abs. 1 Geo.). Da diese Behörde im vorliegenden Fall aber nicht selbst Partei ist und nur ein Einschreiten im Sinn der §§ 74, 83 der 1. DVzEheG. in Betracht käme, verschlägt es nichts, daß das Berufungsgericht bereits mit einem Aufhebungsbeschluß vorgegangen ist; der Oberste Gerichtshof kann darum davon absehen, eine nachträgliche Zustellung des erstrichterlichen Urteiles an die Staatsanwaltschaft zu veranlassen.

In diesem Zusammenhang ist weiters zu prüfen, ob der Oberste Gerichtshof den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes sachlich bereits überprüfen kann, obgleich er der Staatsanwaltschaft ebenfalls nicht zugestellt wurde. Die Frage ist zu bejahen, weil im § 133 Abs. 1 Geo. für den hier vorliegenden Fall, daß die Staatsanwaltschaft keinen Antrag auf Verständigung vom Gang des Verfahrens gestellt hat, zwingend nur die Urteilszustellung vorgeschrieben ist. Dies werden die Unterinstanzen in Hinkunft jedenfalls zu beachten haben. Überdies wird eine Ausfertigung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vorsichtshalber der Staatsanwaltschaft zur Kenntnisnahme unter Bezugnahme auf 32 St 14.779/52 zu übermitteln sein. In der Sache selbst ist dem Kläger darin beizupflichten, daß der Grundsatz amtswegiger Ermittlung des wahren Sachverhaltes die Aufhebung des erstrichterlichen Urteiles über das Nichtigkeitsbegehren nicht deckt, weil damit eine rechtsgestaltende Maßnahme durch einen ex tunc wirkenden Feststellungsbescheid des Bundesministeriums für Justiz provoziert werden soll. Auch der Hinweis des Berufungsgerichtes auf § 190 Abs. 1 ZPO. ist für sich allein nicht stichhältig, weil eine Unterbrechung eines Prozesses bis zur Entscheidung eines erst einzuleitenden Verwaltungsverfahrens gemeiniglich unzulässig ist. Trotzdem ist der Beschluß des Berufungsgerichtes richtig. Das Gericht hat nämlich nicht nur eine gültige Ehe gegen jede willkürliche Anfechtung von Amts wegen in Schutz zu nehmen (§ 14 des Hofdekretes vom 23. August 1819, JGS. Nr. 1595, in Verbindung mit § 71 Abs. 1 der 1. DVzEheG.), sondern darüber hinaus im Fall einer mit Recht für ungültig (bzw. nunmehr für nichtig) angegebenen Ehe die Vorschrift des § 98 ABGB. zur Anwendung zu bringen, falls das Hindernis durch nachträgliche Dispensation, Einwilligung der in ihren Rechten gekränkten Person oder Genehmigung der Behörde behoben werden kann (§ 16 des zitierten Hofdekretes und § 14 der Verordnung des Justizministeriums vom 9. Dezember 1897, RGBl. Nr. 283, in Verbindung mit § 71 Abs. 1 der 1. DVzEheG.). Im § 98 ABGB. ist ganz allgemein normiert, daß das "Landrecht" (d. h. das Gericht), wenn das Hindernis behoben werden kann, trachten soll, dies durch die hiezu notwendige Einleitung und das Einverständnis der Parteien zu bewirken; wenn dies aber nicht möglich ist, solle es über die Gültigkeit der Ehe erkennen. Hier kommen also rechtsgestaltende Maßnahmen, und zwar gerade auch seitens anderer Behörden, in favorem matrimonii in Betracht. Mag es auch seinerzeit den § 24 der 4. DVzEheG. nicht gegeben haben, so enthalten die zitierten Vorschriften doch auch keinen erschöpfenden Katalog, in welchen Fällen eine Behebung der Nichtigkeit versucht werden muß. Da es ausschließlich Sache des Bundesministeriums für Justiz ist, über die Anerkennung eines ausländischen Urteiles in Ehesachen bindend zu entscheiden, und da hievon die allfällige Sanierung der Ehe der Streitteile abhängt, ist die amtswegige Veranlassung einer Entscheidung des Bundesministeriums für Justiz (sei es nun unmittelbar durch das Gericht, sei es über Auftrag des Gerichtes durch die Parteien) nicht nur zulässig, sondern sogar erforderlich.

Soweit die Rekursausführungen dahin zu verstehen sind, daß durch eine solche Maßnahme die dritte Ehe des Klägers gefährdet werde, ist ihnen entgegenzuhalten, daß zwar seine erste Ehe der zweiten, daß aber auch seine zweite Ehe der dritten vorgeht, aus welcher - der Vollständigkeit halber ist dies auch hier festzuhalten - ebenfalls Kinder hervorgegangen sind. Wie der Bescheid des Bundesministeriums für Justiz vom 18. März 1953, Zl. 24.085/53-2, zeigt, ist eine Anerkennung eines Urteiles eines geistlichen Gerichtes in Jugoslawien in einem nach § 76 Abs. 2 JN. zu beurteilenden Fall, wie er hier vorliegt, durchaus möglich. Ob das nach dem Übertritt des Klägers von der römisch-katholischen zur pravoslavischen Religion bzw. nach Verlegung seines Wohnortes aus dem kroatischen in den serbischen Landesteil Jugoslawiens ergangene Urteil des Eparchatsgerichtes von Skoplje in Österreich ebenfalls anzuerkennen ist oder nicht, ist nur vom Bundesministerium für Justiz zu prüfen.

Läge nur das Klagebegehren auf Nichtigerklärung der Ehe der Streitteile vor, hätte das Berufungsgericht auch selbst die Entscheidung des Bundesministeriums für Justiz veranlassen können. Da aber auch ein Eventualbegehren auf Scheidung vorliegt, stellt der Aufhebungsbeschluß keinen Gerichtsfehler dar.

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