OGH 3Ob335/59

OGH3Ob335/5928.10.1959

SZ 32/136

Normen

1. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §79 Abs2
ZPO §411
1. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §79 Abs2
ZPO §411

 

Spruch:

Unter Rechtskraft im Sinne des § 79 Abs. 2 der 1. DVzEheG. ist die formelle Rechtskraft nach § 411 ZPO. zu verstehen.

Entscheidung vom 28. Oktober 1959, 3 Ob 335/59.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger brachte am 1. Dezember 1958 durch den von ihm bestellten Rechtsanwalt die auf §§ 49, 50 EheG. gestützte Scheidungsklage, die Beklagte am 30. Mai 1959 protokollarisch die auf § 49 EheG. gestützte Widerklage ein. Nach erfolglosem Bühnenversuch vom 30. Mai 1959 wurde sofort die mündliche Streitverhandlung durchgeführt. Dabei war nur der Kläger und Widerbeklagte, nicht die Beklagte und Widerklägerin durch einen Rechtsanwalt vertreten. Beide Klagen wurden zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. Der Kläger hielt nur den Scheidungsgrund aufrecht, daß die Beklagte wiederholt Streit vom Zaun gebrochen habe. Die Parteien schlossen für den Fall der rechtskräftigen Scheidung einen Vergleich über den vom Ehemann der Ehefrau und dem mj. Sohn Karl B. zu leistenden Unterhalt und über die Räumung der ehelichen Wohnung durch den Ehemann. Nach Durchführung der Parteienvernehmung wurde die Verhandlung geschlossen und das Urteil auf Scheidung der Ehe aus dem beiderseitigen gleichteiligen Verschulden der Ehegatten verkundet. Laut Verhandlungsprotokoll erklärten beide Parteien Rechtsmittelverzicht, die Beklagte nach Rechtsmittelbelehrung, wobei die Beklagte über die Möglichkeit der Klagsrücknahme bis zur Urteilszustellung belehrt wurde. Am 4. Juni 1959, vor Abfertigung der am 3. Juni 1959 in der Geschäftsstelle eingelangten schriftlichen Urteilsausfertigung, brachte die nunmehr durch einen Rechtsanwalt vertretene Beklagte und Widerklägerin einen Schriftsatz ein, in dem sie unter Verzicht auf den Anspruch die Rückziehung ihrer Scheidungsklage (Widerklage) erklärte.

Der Erstrichter nahm mit Beschluß vom 8. Juni 1959 diese Klagsrückziehung zur Kenntnis und sprach mit einem weiteren Beschluß vom 8. Juni 1959 aus, daß das Urteil vom 30. Mai 1959 infolge dieser Klagsrücknahme am 4. Juni 1959 wirkungslos geworden sei. Dem Kläger sei es überlassen, eine neue Scheidungsklage einzubringen.

Beide Beschlüsse wurden den Parteienvertretern am 11. Juni 1959 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 9. Juni 1959 stellte die beklagte Ehefrau mit entsprechenden Beweisanträgen den Antrag auf Abweisung der Klage des Ehemannes.

Dem Rekurs des Klägers und Widerbeklagten, der sich nach der Anfechtungserklärung und nach dem Rekursantrag nur gegen den zweiten Beschluß vom 8. Juni 1959, nach den Rekursausführungen aber gegen beide Beschlüsse von diesem Tage richtet, gab das Rekursgericht Folge und änderte die angefochtenen Beschlüsse dahin ab, daß die Zurücknahme der Widerklage seitens der beklagten und widerklagenden Partei zurückgewiesen werde. In der Begründung wurde insbesondere ausgeführt, daß die Zurücknahme der Widerklage durch die Beklagte und Widerklägerin nur das über ihre Widerklage ergangene Urteil betreffen konnte, nicht aber das gleichzeitig über das Klagebegehren des Klägers ergangene gleichlautende Urteil. Im österreichischen Recht gelte nicht der Grundsatz der Einheitlichkeit des Eheverfahrens, so daß zwei verschiedene Ehescheidungsklagen ein verschiedenes Ergebnis haben könnten. Die Sonderbestimmung des § 79 der 1. DVzEheG. solle aber nur zugunsten der Aufrechterhaltung der Ehe gelten. Sei dies, wie im vorliegenden Fall, nicht möglich, entspreche die Rücknahme der Widerklage nicht dem Gesetz.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Revisionsrekurs ist im Ergebnis nicht begrundet. Da die beklagte Partei ebenso wie der Kläger nach mündlicher Verkundung des Urteils einen Rechtsmittelverzicht abgegeben haben, ist zunächst die Frage entscheidend, ob die Rechtskraft des Urteils im Sinne der Bestimmung des § 79 Abs. 2 der 1. DVzEheG. damit bereits eingetreten war. Denn nur wenn dies nicht der Fall wäre, hätte die Beklagte noch von dem Recht der Klagsrücknahme nach § 79 Abs. 2 dieser Verordnung Gebrauch machen können. Nach § 411 ZPO. ist ein Urteil, das nicht mehr anfechtbar ist, der Rechtskraft teilhaft. Darunter verstehen Lehre und Rechtsprechung die sogenannte formelle Rechtskraft im Gegensatz zur materiellen Rechtskraft. Die Wirksamkeit des Urteils den Parteien gegenüber ist nach § 416 Abs. 1 ZPO. an die Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung gebunden. Diese Bestimmung hat im Zusammenhalt mit jener des § 411 ZPO. daher auf den Eintritt der formellen Rechtskraft keinen Einfluß. Der Oberste Gerichtshof hat sich in der Entscheidung EvBl. 1954 Nr. 300 zu § 81 der 1. DVzEheG. mit dieser Frage auseinandergesetzt und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß der Begriff der Rechtskraft, wie er im § 81 l. c. gebraucht wird, mit der formellen Rechtskraft im Sinne des § 411 ZPO. nicht gleichgesetzt werden kann, dies von der Erwägung ausgehend, daß der Tod eines Ehegatten die Ehe zur Auflösung bringt und daher für eine Auflösung der Ehe durch Urteilsspruch kein Raum mehr ist. Es kann daher das mangels Zustellung noch nicht wirksam gewordene Urteil nach dem Tod eines Ehegatten auch nicht mehr wirksam werden. Diese Erwägung erwies sich in diesem Fall als durchschlagend, so daß dem Eintritt der formellen Rechtskraft keine selbständige Bedeutung mehr zugebilligt wurde. Anders liegt dies im Falle des § 79 Abs. 2 der 1. DVzEheG. Hier besteht kein Anlaß, über den Zeitpunkt des Eintritts der formellen Rechtskraft hinaus bis zum Wirksamwerden des Urteils durch Zustellung desselben einem Ehegatten das Recht einzuräumen, die Klage unter Anspruchsverzicht noch zurücknehmen zu können. Da die formelle Rechtskraft vor Urteilszustellung nur dadurch eintreten kann, daß die Parteien einen Rechtsmittelverzicht abgeben, es also ohnehin vom Willen der Parteien abhängt, ob die formelle Rechtskraft vorzeitig eintreten soll, besteht auch kein Anlaß, das Recht zur Klagszurücknahme noch über den Zeitpunkt der formellen Rechtskraft hinaus einzuräumen. Unter Rechtskraft im Sinne des § 79 Abs. 2 der 1. DVzEheG. ist daher die formelle Rechtskraft nach § 411 ZPO. zu verstehen (s. auch Pfundtner - Neubert, Das neue Deutsche Reichsrecht, Ausgabe Österreich, II b 12 S. 220).

Daß der abgegebene Rechtsmittelverzicht dadurch zustandekam, daß die Beklagte vom Gericht unrichtig belehrt wurde, vermag die Gültigkeit der abgegebenen Verzichtserklärung nicht zu beeinträchtigen, weil es unerheblich ist, welcher Wille einer Prozeßerklärung zugrunde liegt, in welcher Absicht sie erfolgte. Schon aus diesem Gründe war die Erklärung der Zurücknahme der Klage durch die beklagte und widerklagende Partei zurückzuweisen. Es braucht daher auf die weiteren, vom Rekursgericht angeschnittenen Fragen nicht weiter eingegangen zu werden.

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