Spruch:
Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 918 ABGB. kann eine zunächst als Selbsthilfeverkauf bezeichnete Veräußerung nachträglich als Deckungsverkauf behandelt werden.
Haben beide Leistungen einen Marktpreis, oder hat eine, einen Marktpreis und besteht die andere in Geld, dann kann der Zurücktretende an Stelle des Nachweises des konkreten Schadens den Differenzbetrag zwischen dem gemeinen Wert beider Leistungen verlangen.
Entscheidung vom 7. Oktober 1959, 5 Ob 318/59.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung des Betrages
von 36.703 S 03 g s. A. Dieser Betrag setzt sich zusammen 1.) aus
einem Betrag von .............................. 1281 S 58 g für
eine Kartoffellieferung aus der Ernte 1956. Hinsichtlich dieses
Betrages ist das Urteil in Rechtskraft erwachsen; 2.) aus einem
Betrag von .............................. 31.392 S 46 g als
Schadenersatz für die Lieferung von sieben Waggons Kartoffeln aus
der Ernte 1957. die vom Beklagten ungerechtfertigt mit der
Begründung nicht angenommen wurden, er habe nur 200 t gekauft und
werde nicht mehr abnehmen. Durch die ungerechtfertigte Nichtannahme
verlor die klagende Partei den ihr zustehenden Nutzen (1 S pro 100
kg) von 1212 S 72 g und erlitt außerdem einen Schaden von 26.130 S
24 g, d. i. die Differenz zwischen dem den liefernden
Genossenschaften bereits gutgeschriebenen Kaufpreis in der Höhe des
mit dem Beklagten vereinbarten Preis abzüglich des der klagenden
Partei zustehenden Nutzens und dem Preis, den die klagende Partei
durch anderweitigen Verkauf der sieben Waggons Kartoffeln an zwei
Käufer erzielte, der nach dem vergeblichen Versuch, sie durch einen
Sensal abzusetzen, getätigt wurde. Hiezu kommen noch
Wagenstandsgelder, 3.) aus einem Betrag von
.............................. 289 S 78 g an Verzugszinsen für
übernommene zwölf Waggons Kartoffeln; 4.) aus einem Betrag von
.............................. 3739 S 21 g d. i. der von der
klagenden Partei erzielbare Nutzen für eine Menge von 373.921 kg
Kartoffeln, die vom Beklagten ebenfalls bestellt, von der klagenden
Partei aber noch nicht geliefert und von ihr auch bei den
Genossenschaften noch nicht angeschafft worden waren. -------------
Zusammen 36.703 S 03 g
Wie das Erstgericht feststellte, wurde bei dem Abschluß des Kaufvertrages von den Streitteilen auf die Usancen der Börse für landwirtschaftliche Produkte in Wien nicht Bezug genommen. Eine solche Bezugnahme erfolgte allerdings in zwei von der klagenden Partei dem Beklagten (nachdem dieser bereits die Übernahme der sieben Waggons Kartoffeln abgelehnt hatte) übersandten Schlußbriefen. Diese Schlußbriefe wurden vom Beklagten der klagenden Partei ungeöffnet zurückgesendet. In einem Schreiben vom 21. November 1957 forderte der Klagevertreter den Beklagten letztmals auf, die gegenüber dem klagenden Verband eingegangene Verpflichtung zum Bezug von insgesamt 700 t Industriekartoffeln einzuhalten und hinsichtlich der noch nicht ausgelieferten Restmenge von 463.921 kg die Versanddisposition zu erteilen, widrigenfalls der klagende Verband hinsichtlich des noch nicht abgelieferten Restes unter Vorbehalt von Schadenersatz und Gewinnentgangsansprüchen zurücktreten und für die restlichen 463.921 kg einen Differenzbetrag von 3 S pro 100 kg fordern werde. Gleichzeitig wurde für die bereits gelieferten, aber nicht übernommenen und daher anderweitig durch einen Selbsthilfeverkauf für Rechnung des Beklagten verkauften sieben Waggons ein Differenzbetrag von 31.472 S 46 g als Schadenersatz gefordert.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten keine Folge, der Berufung der klagenden Partei hingegen Folge und verurteilte den Beklagten zur Zahlung von weiteren 7478 S 42 g s. A., weil es den Standpunkt einnahm, daß die klagende Partei berechtigt sei, für die noch nicht angeschaffte Restmenge von 373.921 kg nicht nur die ihr zustehende Handelsspanne zu fordern, sondern den abstrakt berechneten Differenzanspruch, d. i. die Differenz zwischen dem vereinbarten Preis von 44 S je 100 kg und dem Marktpreis von 27 S je 100 kg, also 17 S je 100 kg, zumindest also den eingeklagten Betrag von 3 S je 100 kg.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Es sind folgende Rechtsfragen zu erörtern:
1.) die Frage nach der Anwendbarkeit der Usancen,
2.) die Frage, ob der anderweitige Verkauf der nicht abgenommenen sieben Waggons Kartoffeln, obwohl er der Formvorschrift des § 373 HGB. nicht entsprach, dem Schadenersatzbegehren zugrunde gelegt werden kann,
3.) die Frage, ob für die nicht gelieferten und von der klagenden Partei bei den Genossenschaften noch nicht bestellten 373.921 kg Kartoffeln die Differenz zwischen vereinbartem Preis und Marktpreis oder nur die der klagenden Partei in der Regel zustehende Handelsspanne von 1 S pro 100 kg als Schadenersatz begehrt werden kann.
Die erste Frage findet ihre Beantwortung durch den Hinweis auf die Feststellung des Erstgerichtes, daß bei Abschluß des Kaufvertrages auf die Usancen der Börse für landwirtschaftliche Produkte nicht Bedacht genommen wurde. Es kommt daher die Anwendung der Usancen nicht in Frage, weil diese gemäß § 1 Abs. 1 der Bestimmungen für den Geschäftsverkehr an der Börse für landwirtschaftliche Produkte in Wien nur dann anzuwenden sind, wenn der Geschäftsabschluß mit Berufung auf die Usancen erfolgt ist. Es ist klar, daß von einem Geschäftsabschluß unter Berufung auf die Börsenusancen nur dann gesprochen werden kann, wenn dir Vertragschließenden einverständlich feststellten, daß die Usancen gelten sollten, oder wenn wenigstens die Berufung des einen Vertragsteiles auf die Usancen von dem anderen Teil widerspruchslos zur Kenntnis genommen wurde. Daraus folgt, daß auch durch die nachträgliche Übersendung von Schlußbriefen durch die klagende Partei, in denen auf die Börsenusancen Bezug genommen wurde, diese nicht zur Anwendung gebracht werden konnten, weil die Schlußbriefe vom Beklagten nicht angenommen wurden und daher eine Abänderung des Vertrages in dem Sinne, daß nunmehr der Geschäftsabschluß als mit Berufung auf die Börsenusancen bestätigt gelten sollte, nicht erfolgt ist. Etwas anderes läßt sich auch aus den in der Revision bezogenen §§ 4 und 5 der Usancen nicht folgern.
Den Kernpunkt der Ausführungen der Revision zur zweiten Rechtsfrage bildet der Hinweis darauf, daß die klagende Partei selbst Erfüllung des Vertrages begehrt und den anderweitigen Verkauf der Kartoffeln als Selbsthilfeverkauf bezeichnet, für Rechnung des Beklagten vorgenommen und auch so abgerechnet habe. Er könne daher nicht als Deckungsverkauf behandelt werden; als Selbsthilfeverkauf aber sei er wegen Nichteinhaltung der Formvorschriften des § 373 Abs. 2 HGB. unwirksam. Dem kann nicht gefolgt werden. Richtig ist allerdings, daß der Verkauf als Selbsthilfeverkauf im Sinne des § 373 HGB. wegen Nichteinhaltung der dort vorgeschriebenen Förmlichkeiten nicht wirksam werden konnte. § 373 HGB. regelt aber nur die Rechtsfolgen, die der Lieferant aus einem Annahmeverzug des Bestellers ableiten kann. Daneben stehen die Rechtsfolgen, die er nach § 918 ABGB. bei Unterbleiben der Leistung des Bestellers geltend machen kann. Bei Beurteilung der Frage, ob aus dieser Gesetzesstelle der geltend gemachte Differenzanspruch abgeleitet werden kann, ist davon auszugehen, daß der Beklagte die Annahme der sieben Waggons als nicht bestellt abgelehnt und in wiederholten Erklärungen klar zum Ausdruck gebracht hat, daß er weder in dieser Zeit noch später zu einer Erfüllung bereit sei. Damit entfiel für die klagende Partei nicht nur die Setzung einer Nachfrist, weil diese dann nicht in Frage kommt, wenn der Schuldner die Erfüllung verweigert und die Art der Weigerung es ausgeschlossen erscheinen läßt, daß er eine ihm gesetzte Nachfrist zur Nachholung der Erfüllung benützen werde (Gschnitzer in Klang 2. Aufl. IV 458; Ehrenzweig 2. Aufl. II/1 S. 206; EvBl. 1955 Nr. 200, EvBl. 1958 Nr. 246, 1 Ob 318/53), sondern die klagende Partei konnte auch vor Ablauf der dem Beklagten zugestandenen Zahlungsfrist von 60 Tagen von der Nichterfüllung des Vertrages durch den Beklagten ausgehen und ihr Verhalten danach einrichten (EvBl. 1958 Nr. 246). Sie konnte ohne Einhaltung der Formvorschrift des § 373 HGB. die Ware verkaufen und diesen Verkauf als Deckungsverkauf zur Grundlage eines Schadenersatzanspruches nach § 921 ABGB. nehmen (Reichsgerichtsräte-Kommentar zum HGB., 2. Aufl. IV S. 244 Anm. 14 zu § 373 HGB.). Daran ändert der Umstand, daß der Verkauf im Schreiben der klagenden Partei vom 21. November 1957 als für Rechnung des Beklagten vorgenommener Selbsthilfeverkauf bezeichnet wurde, nichts. Denn der vertragstreue Teil verliert sein Rücktrittsrecht nicht dadurch, daß er zunächst Erfüllung verlangt (Gschnitzer a. a. O. 460); auch einen zunächst als Selbsthilfeverkauf bezeichneten Verkauf kann er nachträglich als Deckungsverkauf behandeln, wenn die Voraussetzungen des § 918 ABGB. gegeben sind (Reichsgerichtsräte-Kommentar a. a. O.; Schlegelberger, HGB., 3. Aufl. III S. 1695 Anm. 30 zu § 373 HGB.). Übrigens trifft es nicht zu, daß das Schreiben vom 21. November 1957 hinsichtlich der sieben Waggons eindeutig das Begehren auf Erfüllung beinhaltet. Zwar wird dort von einem "Selbsthilfeverkauf" für Rechnung des Beklagten gesprochen, es wird aber nicht etwa die vertragsgemäße Zahlung des Kaufpreises innerhalb der vereinbarten Zahlungsfrist von 60 Tagen abzüglich des beim Selbsthilfeverkauf erzielten Erlöses begehrt, sondern es wird die kurzfristige Zahlung des ausdrücklich als Schadenersatz begehrten Differenzbetrages von 31.472 S 46 g begehrt. Trotz der Bezeichnung des Verkaufes als Selbsthilfeverkauf kann in diesem Begehren hinsichtlich der Teilleistung von sieben Waggons die Rücktrittserklärung und die Stellung des aus dieser Rücktrittserklärung im Sinne des § 921 ABGB. abgeleiteten Schadenersatzanspruches gesehen werden (Gschnitzer a. a. O. 457).
Die vom Berufungsgericht vorgenommene abstrakte Berechnung des Schadens wird in der Revision mit der Begründung bekämpft, die klagende Partei schreibe der einzelnen liefernden Genossenschaft (Lagerhaus) den gesamten erzielten, allenfalls auch vereinbarten Preis, abzüglich der eigenen Spanne, nämlich 1 S für 100 kg, gut, sie verdiene also keinesfalls mehr als 1 S pro 100 kg Kartoffeln; wenn sie das Geschäft nicht mache, so entgehe ihr 1 S pro 100 kg, einen darüber hinausgehenden Schaden habe nicht sie, sondern die liefernden Genossenschaften. Diese Ausführungen der Revision werden dem Wesen der abstrakten Schadensberechnung nicht gerecht. Es ist in der Rechtslehre nahezu unbestritten (Gschnitzer a. a. O. 495 und die dort angegebene Literatur), daß in dem Falle, als beide Leistungen einen Marktpreis haben oder aber eine der Leistungen einen Marktpreis hat und die andere in Geld besteht, der infolge der Nichterfüllung des Vertrages durch den Vertragspartner Zurücktretende an Stelle des Nachweises des konkreten Schadens den Differenzbetrag zwischen dem gemeinen Wert beider Leistungen, im Falle des Rücktrittes des Verkäufers vom Kaufvertrag dieser somit die Differenz zwischen dem Marktpreis der von ihm zu erbringenden Leistung und dem Kaufpreis verlangen kann. Darauf, ob ihm im Falle der Erfüllung des Vertrages dieser Differenzbetrag wirklich zugekommen wäre oder ob er wegen besonderer Umstände, insbesondere wegen der zwischen ihm und anderen Personen bestehenden Verträge, selbst über dem Marktpreis hätte einkaufen müssen, kommt es dabei gar nicht an. Es ist eben das Wesen der abstrakten Schadensberechnung, daß der geschädigte dabei nicht verhalten werden kann, den wirklichen Schaden nachzuweisen.
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