Normen
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §333 Abs3
Arbeitsgerichtsgesetz §25
ZPO §235
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §333 Abs3
Arbeitsgerichtsgesetz §25
ZPO §235
Spruch:
Eine Klageänderung ist im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren grundsätzlich zulässig.
Bei Ausübung des Dienstes in einem vom Dienstgeber zur Verfügung gestellten nichtöffentlichen Verkehrsmittel greift § 333 Abs. 3 ASVG. nicht ein.
Entscheidung vom 25. November 1958, 4 Ob 108/58.
I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Der Kläger begehrt, den Erst- und den Zweitbeklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 41.347 S 78 g zu verurteilen, und führt hiezu aus:
Er sei seit April 1957 beim Zweitbeklagten als Hilfsarbeiter tätig gewesen. Am 7. Juni 1957 sei er mit den beiden Beklagten und Franz L. zu einer Arbeitsstelle in der F.-Gasse in P. gefahren. Während er und Franz L. auf der Ladefläche des Lastkraftwagens verblieben seien, seien die beiden Beklagten ausgestiegen. Während der Abladearbeiten sei ein von Hermine Li. gelenkter Personenkraftwagen dahergekommen, der jedoch infolge der geringen Breite der Straße - die Straße sei dort nur 4.20 m breit - nicht vorbeifahren habe können. Der Erstbeklagte habe sich daher bereit erklärt, den Lastkraftwagen etwas zurückrollen zu lassen, damit Hermine Li. vorbeifahren könne. Der Erstbeklagte, der seinen Führerschein wegen mehrerer von ihm verursachter Unfälle verloren habe, sei in Gegenwart des Zweitbeklagten, dem die Tatsache des Führerscheinverlustes des Erstbeklagten bekannt gewesen sei, in das Führerhaus gestiegen und habe den Lastkraftwagen, ohne zu starten und ohne eine Geschwindigkeit einzuschalten, auf der abschüssigen Straße zurückrollen lassen. Als der Kläger bemerkt habe, daß der Lastkraftwagen zurückrolle, habe er sich mit den Händen an der Rück- bzw. Seitenbordwand des Lastkraftwagens festgehalten. Als jedoch der Erstbeklagte plötzlich gebremst habe, sei er über die rückwärtige Bordwand des Lastkraftwagens gefallen und unter dem Differentialgehäuse eingeklemmt worden. Dabei habe er sich schwere Verletzungen zugezogen.
Das Erstgericht wies mit Teilurteil (richtig mit Endurteil gegenüber dem Zweitbeklagten) das gegen den Zweitbeklagten - den Dienstgeber - gerichtete Begehren ab, weil ein Arbeitsunfall vorliege, der von ihm nicht vorsätzlich verursacht und auch nicht bei der Teilnahme des Klägers am öffentlichen Verkehr eingetreten sei (§ 333 ASVG.).
In seiner Berufung gegen dieses Urteil brachte der Kläger unter anderem vor, der Zweitbeklagte habe sich verpflichtet, ihm den durch den Unfall entstandenen Schaden zu ersetzen. Darin erblickte das Berufungsgericht eine Klageänderung, die es nicht zuließ. In der Sache selbst billigte das Berufungsgericht die Rechtsauffassung des Erstgerichtes und bestätigte dessen Urteil:
Der Kläger bekämpft die Sachentscheidung des Berufungsgerichtes mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und den Beschluß, mit dem die Klageänderung nicht zugelassen wurde, mit Rekurs.
Der Oberste Gerichtshof ließ die Klageänderung zu, hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
I. Zum Rekurs:
Daß im arbeitsgerichtlichen Verfahren auch noch im Berufungsstadium eine Klageänderung nach herrschender Auffassung grundsätzlich zulässig ist, erkennt das Berufungsgericht selbst und verweist dazu zutreffend auf Schima, Das österreichische Arbeitsgerichtsgesetz, ÖJZ. 1946 S. 373 ff.; Kapfer, Das Arbeitsgerichtsgesetz, S. 54 Anm. 8 zu § 25; Stagel, Die Rechtsmittel des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, ÖJZ. 1952 S. 539 ff.; Novak, Zur Tragweite des § 519 ZPO., JBl. 1953 S. 84 ff., sowie auf SZ. XXIII 85. Beizufügen sind die Hinweise auf Stanzl, Arbeitsgerichtliches Verfahren, S. 137, und auf die Entscheidungen ArbSlg. 5692, ArbSlg. 5886, ArbSlg. 6832, 4 Ob 38/56. Wenn das Berufungsgericht in Anlehnung an ArbSlg. 5692 (ähnlich ArbSlg. 6832) eine Klageänderung nicht zulassen will, durch die "das Verfahren vor dem Berufungsgericht auf ganz neue Grundlagen, völlig losgelöst von jenen der ersten Instanz, gestellt wird", so kann diese Auffassung nicht geteilt werden. Für sie fehlt eine gesetzliche Grundlage. Daraus, daß die Sache vor dem Berufungsgericht in den durch die Anträge bestimmten Grenzen von neuem zu verhandeln ist (§ 25 Abs. 1 Z. 3 ArbGerG.), kann diese Beschränkung nicht abgeleitet werden, weil die Anträge auf Abänderung oder Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils durch die Zulassung einer Klageänderung nicht berührt werden. Gegen diese Beschränkung spricht aber vor allem auch, daß die für die Zulassung einer Klageänderung entscheidende Grenze nach ihr unklar und unbestimmt wäre, so daß dadurch neue Unklarheiten und Zweifel in das arbeitsgerichtliche Verfahren getragen würden. Der Oberste Gerichtshof hält daher mit der weitaus überwiegenden Auffassung von Lehre und Rechtsprechung daran fest, daß Klageänderungen im Rahmen des § 235 ZPO. im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren schlechthin zulässig sind.
Der Rahmen des § 235 ZPO. ist im vorliegenden Fall nicht überschritten. Hiezu hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SZ. XXVII 167 darauf hingewiesen, daß es im Sinne der Zivilprozeßordnung liegt, Klageänderungen, wenn tunlich, zuzulassen, weil sie den Parteien und dem Gerichte den zweiten Prozeß ersparen. Aussichtslosigkeit des ersten Begehrens oder selbst die Notwendigkeit einer Vertagung sind keineswegs stets ein Grund, die Klageänderung zu versagen (ähnlich ÖRiStA. 1954 S. 19, 2 Ob 561/55, 4 Ob 38/56, 3 Ob 224/56). Gerade für das arbeitsgerichtliche Verfahren muß dieser Gedankengang ganz besonders gelten, weil hier ein schleuniges Verfahren den Gerichten im besonderen Maße zur Pflicht gemacht ist. Dies folgt schon aus Natur und Zweck des arbeitsgerichtlichen Verfahrens und ist auch im Gesetz dadurch zum Ausdruck gekommen, daß die erste Tagsatzung in der Regel auf einen der nächsten Tage nach Anbringung der Klage (§ 19 ArbGerG.) und daß auf tunlichst kurze Zeit eine Tagsatzung zur Streitverhandlung vor dem Senat des Arbeitsgerichtes (§ 21 Abs. 2 ArbGerG.) anzuordnen ist (Stanzl a. a. O. S. 130). Im vorliegenden Fall wäre voraussichtlich überhaupt durch die Klageänderung keine weitere Verhandlung verursacht worden, wenn der Vorsitzende die in der Berufung angeführten Zeugen zur Berufungsverhandlung geladen hätte (§ 183 Abs. 1 Z. 4 ZPO.). Wenn nun schon dies nicht geschehen ist und insbesondere das Erstgericht den Prozeß dadurch verzögert hat, daß es zunächst sein Verfahren nur auf den gegen den Zweitbeklagten erhobenen Anspruch erstreckte, was dazu führt, daß praktisch nacheinander, also mit erheblicher Verzögerung für den Kläger, zwei Prozesse durchgeführt werden, so würde die Zurückweisung der Klageänderung den Kläger zwingen, gegen den Zweitbeklagten einen weiteren Prozeß anzustrengen, was alles dem Gebot der besonders schleunigen Erledigung arbeitsrechtlicher Ansprüche zuwiderlaufen würde.
Da nach der Auffassung des Obersten Gerichtshofes auf das weitere Vorbringen des Klägers jedenfalls - auch dann, wenn es eine Klageänderung enthält - sachlich einzugehen ist, kann die Frage, ob überhaupt eine Klageänderung und nicht bloß das Vorbringen eines Anerkenntnisses ohne Änderung des Rechtsgrundes vorliegt (Ehrenzweig
2. Aufl. I/1 S. 343; vgl. Pollak, System des österreichischen Zivilprozeßrechtes, 2. Aufl. S. 401), auf sich beruhen.
Der Vollständigkeit halber muß auch noch darauf hingewiesen werden, daß der Beschluß, mit dem das Berufungsgericht über die Zulassung einer Klageänderung entscheidet, mit Rekurs an den Obersten Gerichtshof anfechtbar ist (Stanzl a. a. O. S. 137 mit weiteren Zitaten und die späteren Entscheidungen 4 Ob 192/54 und ArbSlg. 6832).
Dem Rekurs war daher Folge zu geben und der bekämpfte Beschluß des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß die Klageänderung zugelassen wurde.
II. Zur Revision:
Die Rechtsmeinung der Untergerichte, daß bei Ausübung des Dienstes in einem vom Dienstgeber zur Verfügung gestellten nichtöffentlichen Verkehrsmittel § 333 Abs. 3 ASVG. nicht eingreift, ist zu billigen. Dies hat der Oberste Gerichtshof zu der entsprechenden Vorschrift des § 1 Abs. 2 DienstArbUnfG. vom 7. Dezember 1943, DRGBl. I S. 674, insbesondere in der vom Berufungsgericht bezogenen Entscheidung SZ. XXV 129, ausführlich begrundet. Im gleichen Sinn sind die Entscheidungen 2 Ob 308/55 und 2 Ob 98, 99/58 ergangen. Dazu kommt, daß der Wortlaut des nunmehr geltenden § 333 Abs. 3 ASVG. die von der Rechtsprechung bereits zu § 1 Abs. 2 DienstArbUnfG. vom 7. Dezember 1943, DRGBl. I S. 674, vertretene Auffassung noch weitergehend deckt, als es dieses Gesetz getan hat. Während nämlich das angeführte Gesetz bloß von einem "Arbeitsunfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr" gesprochen hat, stellt das ASVG. auf einen "Arbeitsunfall bei der Teilnahme des Versicherten am allgemeinen Verkehr durch ein Verkehrsmittel" ab. Der Unfall ist aber hier nicht durch ein Verkehrsmittel, wie das etwa eine Straßenbahn oder ein Autobus sind, sondern durch ein vom Dienstgeber bereitgestelltes Privatfahrzeug verursacht worden. Gegen die von den Untergerichten in dieser Beziehung vertretene Rechtsauffassung vermag der Zweitbeklagte nichts Stichhältiges vorzubringen. Ob sich der Unfall gerade in einem Augenblick ereignete, als der Kläger mit Ladearbeiten beschäftigt war, oder ob er gerade mit der Arbeit innegehalten hat, ist gleichgültig. Nach dem Gesetz kommt es nur darauf an, daß es sich um einen Arbeitsunfall handelt, was aber vom Kläger gar nicht in Zweifel gezogen wird.
Der Revision wäre daher - sofern die Sache spruchreif wäre- nicht Folge zu geben. Da aber das Berufungsgericht über das weitere Vorbringen in der Berufung, das es rechtsirrigerweise als unzulässige Klageänderung auffaßte, nicht verhandelt und entschieden hat, mußte seine Sachentscheidung, mit der der Berufung nicht Folge gegeben wurde, aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
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