OGH 3Ob204/58

OGH3Ob204/583.7.1958

SZ 31/95

Normen

ABGB §511
Mietengesetz §19
ABGB §511
Mietengesetz §19

 

Spruch:

Zur Kündigung von Bestandverträgen über eine mit Fruchtgenuß belastete Liegenschaft oder von Teilen hievon ist ausschließlich der Fruchtnießer befugt.

Entscheidung vom 3. Juli 1958, 3 Ob 204/58.

I. Instanz: Bezirksgericht Fünfhaus; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Erstklägerin ist Eigentümerin, die Zweit- und Drittkläger sind Fruchtnießer des Hauses Wien XII., S.-Gasse Nr. 29. Dort hatte der mit Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 8. Mai 1957, 48 T 1457/56-17, für tot erklärte Josef P. eine Mietwohnung inne.

Die Kläger kundigten das Mietverhältnis unter Berufung auf § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG. auf und brachten vor, daß keine Angehörigen, bei denen die Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle gegeben wären, vorhanden seien. Die Beklagte wendete dagegen ein, daß die Erstklägerin als Eigentümerin im Hinblick auf das Vorhandensein der Fruchtgenußrechte überhaupt nicht zur Kündigung befugt sei. Die Kläger hätten auf ihr Kündigungsrecht dadurch verzichtet, daß sie die Todeserklärung des Josef P. erst verspätet beantragt hätten. Der Erblasser habe bis zu seinem Tode mit seiner Schwester Maria S. im gemeinsamen Haushalt gelebt. Er sei zwar zur Wehrmacht eingerückt, doch habe er während seiner Urlaube stets mit seiner Schwester zusammengewohnt. Maria S. sei noch bis zum 2. Dezember 1946 in der Wohnung ihres Bruders verblieben. Derzeit lebe sie mit ihrem Gatten Adolf S. in einer eigenen Wohnung. Es wurde daher auch die Passivlegitimation der Verlassenschaft bestritten.

Das Erstgericht hat die Kündigung für wirksam erklärt. Es vertrat die Ansicht, daß die Aktivlegitimation der Erstklägerin gegeben sei, da sie zusammen mit den Fruchtnießern kundigen könne. Überdies würde auch eine andere Ansicht im Hinblick auf die Legitimation der übrigen Kläger als Fruchtnießer zu keiner anderen Entscheidung führen. Daraus, daß die Kläger nicht schon früher die Todeserklärung des Josef P. beantragt hätten, könne nicht der Schluß abgeleitet werden, daß sie auf eine Kündigung hätten verzichten wollen. Es sei nicht jedermanns Sache, wegen einer Aufkündigung einen Kriegsvermißten für tot erklären zu lassen. Da die Schwester des Verstorbenen mit ihrem Gatten in einer eigenen Wohnung lebe, diene die strittige Wohnung in keiner Weise ihrem dringenden Wohnungsbedürfnis, so daß sie nicht zu den im § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG. genannten Personen zähle, weshalb ihr auch kein Eintrittsrecht zukomme.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es billigte zwar die Ansicht des Erstgerichtes, daß von einem Verzicht der Kläger auf ihr Kündigungsrecht nicht gesprochen werden könne, verwies aber darauf, daß dem Eigentümer kein Recht zur Kündigung zukomme, wenn das Haus mit Fruchtgenußrechten belastet sei. In diesem Fall hätten die Fruchtnießer allein die Befugnis hiezu, weshalb eine Legitimation der Erstklägerin nicht gegeben sei. In der Sache selbst wurde ausgeführt, daß das Erstgericht zu Unrecht nur davon ausgegangen sei, daß die strittige Wohnung zur Zeit der Kündigung nicht dem dringenden Wohnungsbedürfnis der Schwester des Josef P. gedient habe. Vielmehr hätte es feststellen müssen, ob dies auch zur Zeit des Todes des Erblassers der Fall gewesen sei. Das Erstgericht habe daher den Zeitpunkt des fiktiven Todestages und die Benützungsverhältnisse der Wohnung zu dieser Zeit festzustellen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Kläger nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

In Ansehung der Aktivlegitimation der Erstklägerin führen die Kläger aus, daß der Eigentümer eines mit Fruchtgenuß belasteten Hauses zwar allein nicht kundigen könne, wohl aber zusammen mit den Fruchtnießern. Dies ergebe sich aus der vom Erstgericht bezogenen Entscheidung MietSlg. 13.288.

Der Oberste Gerichtshof vermag diesen Ausführungen nicht beizutreten. Durch die Begründung des Fruchtgenusses geht gemäß § 511 ABGB. der gesamte Ertrag der Sache vom Eigentümer auf den Fruchtnießer über. Hiezu gehören auch die Rechte aus Bestandverträgen. Nur der Fruchtnießer hat das Recht, Mietverträge zu lösen, und nur ihm hat der Mieter die Bestandsache zurückzustellen. Solange der Fruchtgenuß dauert, ist der Eigentümer zur Kündigung nicht befugt. Die Erstklägerin war daher nicht befugt, eine Kündigung auszusprechen.

Die Kläger führen weiter aus, es käme bei Kündigungen nach § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG. nicht darauf an, ob das dringende Wohnbedürfnis des Angehörigen zur Zeit des Todes, sondern ob es zur Zeit der Kündigung gegeben sei. Selbst bei Richtigkeit der gegenteiligen Ansicht könne, wenn der Mieter für tot erklärt worden sei, nur der Zeitpunkt der Rechtskraft des bezüglichen Beschlusses und nicht der des fiktiven Todestages maßgebend sein. Denn die genannte Bestimmung regle das Kündigungsrecht des Vermieters, von dem dieser erst nach Rechtskraft der Todeserklärung Gebrauch machen könne. Die eintrittsberechtigten Angehörigen könnten ja die im § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG. vorgesehene und binnen 14 Tagen nach dem Tode des Mieters abzugebende Erklärung nicht aussprechen, bevor die Todeserklärung erfolgt sei.

Das Revisionsgericht schließt sich auch in dieser Frage der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes an. § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG. regelt nicht nur das Kündigungsrecht des Vermieters, sondern auch das Eintrittsrecht der Angehörigen. Ob die Bedingungen hiefür vorhanden sind, kann nur nach dem Zeitpunkt des Todes beurteilt werden. Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für den Übergang in diesem Zeitpunkte gegeben sind, so tritt er ein. Ist der mitwohnende Angehörige einmal Mieter geworden, so kann daran der Umstand nichts ändern, daß er die Wohnung später einmal nicht mehr benötigt. Hiedurch können die Mietrechte nicht mehr an den Nachlaß oder die Erben fallen. Wäre man anderer Ansicht, so könnte ein Vermieter noch nach Jahren unter Berufung auf § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG. kundigen, wenn sich die Verhältnisse bei dem im Sinne dieser Gesetzesstelle eingetretenen Mieter ändern. Dasselbe gilt auch für den umgekehrten Fall. Wenn die Voraussetzungen für den Rechtsübergang an einen Angehörigen zur Zeit des Todes des Mieters nicht vorliegen, etwa weil er die Wohnung nicht benötigt, so wird nicht er, sondern der Nachlaß oder der Erbe Mieter, woran der Umstand nichts ändern kann, daß bei ihm zur Zeit der Kündigung ein Wohnbedürfnis eingetreten ist.

Unzutreffend ist die Berufung der Kläger auf die Entscheidung SZ. VI

33. Dort wird allerdings darauf verwiesen, daß zur Zeit der Kündigung das Wohnbedürfnis vorhanden gewesen sei, doch hätte schon das Erstgericht festgestellt, daß dies auch zur Zeit des Todes des Mieters der Fall war. Hingegen wurde in der Entscheidung EvBl. 1952 Nr. 178 ausgesprochen, daß es nur darauf ankomme, ob die Voraussetzungen, die das Gesetz für den Übergang der Mietrechte an den Angehörigen aufstellt, schon zur Zeit des Todes des Mieters gegeben waren. Es besteht kein Grund, von dieser Ansicht abzugehen.

Dem Umstand, daß der Tod des Mieters Josef P. nicht sogleich bekannt war, sondern daß er erst für tot erklärt wurde, kommt keinerlei rechtliche Bedeutung zu. Gemäß § 9 des Todeserklärungsgesetzes 1950 hatte das Gericht den fiktiven Todestag festzusetzen. Dieser Zeitpunkt ist für den Übergang der Rechte auf die Nachfolger entscheidend, also auch für den Erwerb der Mietrechte gemäß § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG. Im Sinne obiger Ausführungen kann es daher nur darauf ankommen, ob damals die Voraussetzungen des Überganges der Mietrechte nach der genannten Gesetzesstelle gegeben waren, nicht aber, wie die Sachlage zur Zeit der Rechtskraft der Todeserklärung war. Der Hinweis der Revision, daß der eintretende Mieter erst von diesem Zeitpunkt an die Möglichkeit hat, binnen 14 Tagen die Erklärung abzugeben, daß er in das Mietverhältnis nicht eintreten wolle, ist unzutreffend. Denn derselbe Fall kann sich ereignen, wenn der Tod des Mieters durch öffentliche Urkunden oder vom Gericht festgestellt, aber erst nach Jahren bekannt wird, wenn etwa der Mieter auf längere Zeit verreist ist. Auch in diesen Fällen kann der Angehörige, bei dem die Voraussetzungen zum Eintritt vorliegen, nicht binnen 14 Tagen nach dem Tode des Mieters die Erklärung abgeben, daß er den Rechtserwerb ablehne. Der Gesetzgeber hat hier offenbar nur an den häufigsten Fall gedacht, daß nämlich der im gemeinsamen Haushalt mit dem Bestandnehmer lebende Angehörige von dessen Tod sofort erfährt. Es ist nicht erforderlich, zu erörtern, ob in dem Falle, daß der eintrittsberechtigte Angehörige vom Tode des Mieters verspätet Kenntnis erlangt, die vierzehntägige Frist von einem anderen Zeitpunkte als vom Tode zu berechnen ist, da dies für die Entscheidung dieser Rechtssache ohne Bedeutung ist.

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