Spruch:
Wurde in dem zwischen dem Beschädigten und einem Solidarschuldner geschlossenen Vergleich die gesamte Schadensziffer festgesetzt und von diesem Schuldner die ganze Summe gezahlt, so ist damit die gesamte Schadenersatzforderung auch gegenüber dem anderen Solidarschuldner getilgt.
Entscheidung vom 30. April 1958, 1 Ob 185/58.
I. Instanz: Bezirksgericht Hall in Tirol; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.
Text
Der Beklagte hat zusammen mit Johann M. den sogenannten E.-Weg, einen Gemeindeweg in der Gemeinde A., eigenmächtig erweitert und dabei die Grundparzellen 292 und 294 der EZ. 22 KG. A., die im Eigentum der Kläger stehen, abgegraben und einen Kirschbaum beschädigt. Die Kläger verlangten ursprünglich von Johann M. und dem Beklagten zur ungeteilten Hand den Ersatz ihres Schadens, den sie für die drei Jahre 1951 bis 1953 mit je 660 S, zusammen mit 1800 S, bezifferten.
Am 22. Juni 1955 schlossen die Kläger mit Johann M. in Gegenwart des Beklagten einen gerichtlichen Vergleich, in welchem sich Johann M. verpflichtete, zur Tilgung sämtlicher Ersatzansprüche einschließlich der Kosten 2000 S zu zahlen, während er das Recht erhielt, bis zur Regelung des Weges durch die Gemeinde A. den bisherigen Weg auch mit Lastkraftwagen zu benützen. Mit dem Beklagten wurde das Verfahren fortgesetzt und das Begehren zunächst auf 1600 S ausgedehnt (für die Jahre 1951 bis 1954 je ein Schadenersatzbetrag von 400 S); am 28. August 1957 wurde das Klagebegehren jedoch auf den Betrag von 1204 S 97 g eingeschränkt, und zwar wurde damals für die sieben Jahre 1951 bis 1957 je ein Nutzungsentgang von 136 S 42 g und ein Betrag von 250 S für den beschädigten Kirschbaum begehrt.
Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen, weil durch die unbestritten erfolgte Bezahlung von 2000 S durch den früher mitbeklagten Johann M. laut Vergleich vom 22. Juni 1955 der gesamte Schaden der Kläger getilgt sei und diesen gegen den Beklagten daher kein weiterer Schadenersatzanspruch zustehe.
Das Berufungsgericht hat in teilweiser Stattgebung der Berufung der Kläger diesen den Betrag von 518 S 90 g samt stufenweisen Zinsen zugesprochen, das Mehrbegehren von 686 S 04 g samt stufenweisen Zinsen abgewiesen und die Kosten beider Instanzen gegenseitig aufgehoben. Durch den Vergleich vom 22. Juni 1955 sei Johann M. aus dem Gesamtschuldverhältnis entlassen worden. Der Vergleich wirke aber nur subjektiv. Der Beklagte selbst bleibe weiterhin Schuldner des gesamten Anspruches, soweit er nicht durch Erfüllung seines Mitschuldners Johann M. erloschen sei. Für die Zeit nach dem Vergleiche könnten aber die Kläger keinen Schadenersatz mehr begehren, weil sie Johann M. die Benützung des Weges vertraglich zugestanden hätten und daher der Kausalzusammenhang zwischen der Beschädigung durch den Beklagten und dem Nutzungsentgang unterbrochen worden sei. Unter Zugrundelegung des Umstandes, daß bis zum Vergleichsabschluß vom 22. Juni 1955 nur drei Vegetationsperioden verflossen seien, daß die Kläger pro Jahr einen Nutzungsentgang von 136 S 42 g und für den beschädigten Kirschbaum 250 S gemäß dem Gutachten des Sachverständigen Ing. M. forderten, und unter Berücksichtigung dessen, daß die Kläger zugäben, aus dem Vergleich vom 22. Juni 1955 einen Betrag von 170 S 66 g auf die Schadenersatzforderung erhalten zu haben, sprach das Berufungsgericht dem Klägern den Betrag von 518 S 90 g zu (wobei ihm offenbar ein Rechenfehler unterlaufen ist) und wies das Mehrbegehren ab.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge, hob die Urteile der Untergerichte im angefochtenen Teile auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Gemäß § 1302 ABGB. haften mehrere Personen, die einen Schaden vorsätzlich zugefügt haben, oder wenn die Anteile der einzelnen an der Beschädigung sich nicht bestimmen lassen, zur ungeteilten Hand. Von einer solchen Solidarhaftung gehen auch die Untergerichte und die Streitteile selbst aus. Strittig ist nur, welchen Einfluß der Vergleich vom 22. Juni 1955, den Johann M. und die Kläger abgeschlossen haben, auf die Verpflichtung des Beklagten zum Schadenersatz hat. Nach § 894 ABGB. kommt die Nachsicht oder Befreiung, welche ein Mitschuldner für seine Person erhält, den übrigen nicht zustatten. Nach § 893 ABGB. darf aber ein Gläubiger, der von einem Mitschuldner befriedigt wurde, auch von den übrigen Mitschuldnern nichts mehr fordern. Erfüllung, sei es eine Teilerfüllung oder gänzliche Erfüllung, wirkt also objektiv, befreit daher alle Mitschuldner im Umfange der Erfüllung (Gschnitzer in Klang 2. Aufl. IV 301). Urteil und Vergleich wirken in der Regel jedoch nur subjektiv (Gschnitzer a. a. O. 305). Streitentscheidend wird daher sein, inwiefern der Vergleich vom 22. Juni 1955 zwischen Johann M. und den Klägern nach dem Willen der Vergleichschließenden eine Tilgung der Schadenersatzforderung der Kläger herbeigeführt hat.
Der Beklagte hat in der Streitverhandlung vom 28. August 1957 behauptet, daß mit der Zahlung von 2000 S, die unbestritten bereits erfolgt ist, nach dem Wortlaut des Vergleiches die gesamte Schadenersatzforderung der Kläger getilgt sein sollte. Beweise für seine Behauptung hat er nicht angeboten. Die Kläger haben dies bestritten und zunächst gleichfalls keine Beweise angeboten. In der mündlichen Streitverhandlung vom 12. Oktober 1957 haben die Kläger behauptet, daß der Betrag von 2000 S so verrechnet worden sei, daß ein Teilbetrag von 1829 S 34 g als Hälfteanteil des Johann M. auf die bis dahin entstandenen Kosten und der Rest von 170 S 66 g auf Schadensgutmachung gutgeschrieben worden sei. Der Beklagte hat zu dieser Behauptung überhaupt nicht Stellung genommen. Beweise wurden über diese entscheidende Frage nicht aufgenommen, so daß Feststellungsmängel vorliegen, die eine abschließende Sachentscheidung noch nicht zulassen.
Zuzugeben ist dem Beklagten, daß der Wortlaut des Vergleiches "zur Behebung sämtlicher Schadenersatzansprüche" dafür spricht, daß mit dem Betrag von 2000 S sämtliche Schadenersatzansprüche, die den Klägern gegen Johann M. zustanden, abgegolten sein sollten. Die Schadenersatzansprüche, die den Klägern gegen Johann M. zustanden, sind aber gemäß dem Vorbringen in der Klage und gemäß der Bestimmung des § 1302 ABGB. ident mit den Schadenersatzansprüchen gegen den Beklagten. Sind daher die Schadenersatzansprüche gegen Johann M. zur Gänze getilgt, so sind sie auch gegen den Beklagten zufolge der bestehenden Solidarhaftung getilgt und können gemäß § 893 ABGB. nicht ein zweites Mal vom Beklagten gefordert werden. Haben also die Vergleichschließenden das gewollt, was sie im Vergleich vom 22. Juni 1955 erklärt haben, wird die Klage gegen den Beklagten zur Gänze abzuweisen sein.
In der Berufungsschrift haben die Kläger allerdings ausgeführt, daß nach dem Willen der Vergleichschließenden dem Klagevertreter die Verrechnung der Vergleichssumme auf den von Johann M. "zu verantwortenden Schaden und auf seine Kosten" überlassen wurde. Sollte dies der Wille der Kläger und des Johann M. gewesen sein, so wäre die Schadenersatzforderung der Kläger gleichfalls zur Gänze getilgt, weil Johann M. den gleichen Schaden zu verantworten hat wie der Beklagte. Wäre daher "der von Johann M. zu verantwortende Schaden" getilgt, so wäre damit auch im Sinne der §§ 893 und 1302 ABGB. der vom Beklagten zu verantwortende Schaden getilgt und die Klage abzuweisen.
Die Kläger haben aber noch weitere Varianten vorgebracht. In der Streitverhandlung vom 12. Oktober 1957 haben sie behauptet, daß die Verrechnung (ob einverständlich oder einseitig durch den Klagevertreter vorgenommen, blieb offen) so erfolgt sei, daß 170 S 66 g auf die Schadensgutmachung und der Rest auf die Kosten anzurechnen seien. In der Berufung wurde schließlich behauptet, daß diese Verrechnung einvernehmlich erfolgt sei.
Erfolgte die vorerwähnte Verrechnung tatsächlich einvernehmlich und spätestens bei Zahlung des Betrages von 2000 S, so müßte sie der Beklagte gegen sich gelten lassen. Es stand im freien Belieben des Johann M., wieviel an Kosten er den Klägern bezahlte. Sollte der Wille der Vergleichschließenden also dahin gegangen sein, daß Johann M. auf die Schadenersatzforderung der Kläger nur 170 S 66 g bezahle, so wäre diese nur mit diesem Betrage getilgt worden und könnten die Kläger den Rest ihres Schadens gemäß § 891 ABGB. vom Beklagten fordern, weil es ihnen freistand, die Schadenersatzforderung zur Gänze allein gegen den Beklagten zu richten. Eine Befreiung des Johann M. vom Rest der Schadenersatzforderung würde in einem solchen Falle gemäß § 894 ABGB. nicht auch für den Beklagten wirken. Auf die Bestimmung des § 1416 ABGB. könnte sich der Beklagte in diesem Fall nicht berufen, weil ja zwischen Gläubiger und Schuldner (zwischen den Klägern und Johann M.) die Art der Verrechnung einvernehmlich festgesetzt worden wäre.
Sollte schließlich eine derartige Verrechnung vom Klagevertreter einseitig oder erst nach Zahlung des Betrages von 2000 S einvernehmlich zwischen den Klägern und Johann M. erfolgt sein, so könnte dies nicht zu Lasten des Beklagten gehen. In beiden Fällen müßte bei der rechtlichen Beurteilung davon ausgegangen werden, daß "der von Johann M. zu verantwortende Schaden" bzw. "sämtliche Schadenersatzansprüche gegen Johann M." durch die Zahlung der 2000 S getilgt wurden. Dadurch wäre aber auch gemäß § 893 ABGB. die Schadenersatzforderung der Kläger gegen den Beklagten erloschen. Eine einseitige oder erst nach der Zahlung erfolgte einvernehmliche Aufteilung des Betrages von 2000 S derart, daß von der Hauptforderung samt Zinsen nur 170 S 66 g getilgt sein sollen, könnte die schon erloschene Schadenersatzforderung gegen den Beklagten nicht wieder aufleben lassen.
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