Spruch:
Trotz Rechtsmittelverzichtes namens der Republik Österreich kann die Finanzprokuratur innerhalb der Rekursfrist gemäß § 1 Abs. 3 ProkuraturG. zum Schutze öffentlicher Interessen einschreiten.
Entscheidung vom 13. November 1957, 7 Ob 380/57.
I. Instanz: Bezirksgericht Gänserndorf; II. Instanz: Kreisgericht Korneuburg.
Text
Das Erstgericht bewilligte als Grundbuchsgericht auf Grund des Vergleiches der Rückstellungskommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien vom 18. Juli 1956, 6 Rk 407/56, und der Unbedenklichkeitsbescheinigung vom 22. August 1956 im Grundbuch der Katastralgemeinde L. nachstehende Eintragungen:
1.) die Einverleibung des Eigentumsrechtes für Leopold Z., Alois Z. und Gottfried Z. je zu einem Drittel ob den Liegenschaften EZ. 39 mit dem Grundstück Nr. 807 Acker u. a., EZ. 750 mit dem Grundstück Nr. 214 Wald u. a., EZ. 127 mit dem Grundstück Nr. 583/1 Garten u. a.,
2.) die Einverleibung der Löschung des ob der EZ. 39 als Haupteinlage und den EZ. 750 und 127 als Nebeneinlagen haftenden Pfandrechtes von restlichen 718.000 RM s. A. (ursprünglich 1.000.000 RM) der D.-Bank, ferner die Löschung der Anmerkungen der Vollstreckbarkeit, der Löschungsverpflichtung und der Rückstellung bei dem oben genannten Pfandrechte,
3.) die Löschung der Anmerkung der Einleitung des Rückstellungsverfahrens in den Eigentumsblättern der oben genannten Einlagen. Dieser Beschluß wurde dem Dr. Josef S. als Vertreter der Antragsteller Leopold, Alois und Gottfried Z. und der Finanzprokuratur am 30. August 1956 zugestellt. Sowohl Dr. S. als auch die Finanzprokuratur, und zwar diese namens der Republik Österreich, erklärten noch am Tage der Zustellung des Beschlusses, auf ein Rechtsmittel gegen den erwähnten Beschluß des Grundbuchsgerichtes zu verzichten.
Am 29. September 1956 erhob die Finanzprokuratur in Vertretung öffentlicher Interessen gemäß § 1 Abs. 3 ProkuraturG. Rekurs gegen den genannten Beschluß des Erstgerichtes mit dem Antrag, das Gesuch um Eigentumseinverleibung abzuweisen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs statt und wies den aus dem Bewilligungsbeschluß des Erstgerichtes ersichtlichen Antrag zur Gänze ab. Es vertrat die Ansicht, daß der Verzicht der Prokuratur nur namens der Republik Österreich als einer am Grundbuchsverfahren beteiligten Partei, nicht aber in ihrer Eigenschaft als Behörde zur Vertretung öffentlicher Interessen gemäß § 1 Abs. 3 ProkuraturG. abgegeben worden sei und sonach dieser Verzicht dem innerhalb der noch offenen Rechtsmittelfrist des § 123 GBG. 1955 eingebrachten Rekurs der Finanzprokuratur, in dem sie als Behörde gemäß § 1 Abs. 3 ProkuraturG. auftrete, nicht entgegenstehe. Der Antrag sei abzuweisen gewesen, weil die nach dem niederösterreichischen Grundverkehrsgesetz erforderliche Zustimmung der Grundverkehrskommission zu der Eigentumsübertragung an die Antragsteller fehle. Es werde auf Grund des Rückstellungsvergleiches nicht an die ursprünglichen Eigentümer oder deren Erben, sondern an Zessionare derselben zurückgestellt. Darin liege eine echte Veräußerung. Das Grundbuchsgericht hätte daher den Antrag auf Einverleibung des Eigentumsrechtes mangels Nachweisung der Zustimmung der Grundverkehrskommission abweisen müssen.
Der Oberste Gerichtshof bestätigte den Beschluß des Rekursgerichtes.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Rekurs der Finanzprokuratur wurde innerhalb der Rechtsmittelfrist des § 123 GBG. 1955 eingebracht. Die Meinung, die Rekursfrist sei nicht mehr offengestanden, weil die Finanzprokuratur einen Rechtsmittelverzicht abgegeben habe, ist nicht vertretbar. Der Oberste Gerichtshof hat allerdings den vor allem in Grundbuchssachen eingenommenen Standpunkt verlassen, daß sich die Rekursfrist für die Finanzprokuratur, wenn sie zum Schutze öffentlicher Interessen einschreitet, nach der Zustellung des Beschlusses an die Finanzprokuratur richtet (SZ. XI 96, SZ. XXI 50); er hat ausgesprochen, das es auf die Zustellung des Beschlusses an die am Verfahren Beteiligten ankomme (2 Ob 285/55). Der Oberste Gerichtshof hat ferner den Rechtssatz geprägt, daß das Einschreiten der Finanzprokuratur die bereits eingetretene Rechtskraft nicht aufzuheben vermöge (3 Ob 415/54), und in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß das Prokuraturgesetz in keiner Weise eine Einschränkung der Rechtskraft gerichtlicher Verfügungen zugunsten eines Einschreitens der Finanzprokuratur verfüge (7 Ob 375/56). Ausgehend von dieser Auffassung muß aber auch gesagt werden, daß ein Rechtsmittelverzicht der am Verfahren Beteiligten nicht zu einem Verlust des der Finanzprokuratur nach § 1 Abs. 3 ProkuraturG. zustehenden Rechtes zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen durch Einschreiten gegen ungesetzliche Beschlüsse führen kann. Dies wäre aber fast immer dann der Fall, wenn die Parteien unmittelbar nach Erlassung oder Zustellung der Entscheidung auf Rechtsmittel verzichten und so die Rechtskraft der Entscheidung auch gegenüber der Finanzprokuratur herbeiführen könnten. Der Rechtsmittelverzicht der Beteiligten bewirkt jedoch zunächst nur, daß ein von ihnen erhobenes Rechtsmittel mit Rücksicht auf den von ihnen erhobenen Verzicht zurückzuweisen wäre. Die Rechtskraft der Entscheidung tritt aber erst ein, wenn es die Finanzprokuratur unterläßt, innerhalb der den Parteien ohne Rücksicht auf den Rechtsmittelverzicht offengestandenen Rechtsmittelfrist den Rekurs zu erheben. Mit anderen Worten: der Rechtsmittelverzicht der Beteiligten bewirkt Rechtskraft nur für den Fall der Unterlassung der Rechtsmittelerhebung durch die Finanzprokuratur innerhalb der Frist des § 123 GBG. 1955, die auch für die Prokuratur vom Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses an die Beteiligten läuft.
Der Beschluß des Erstrichters wurde der Finanzprokuratur als Vertreterin der am Rückstellungsverfahren beteiligten und im Rückstellungsvergleich als Antragstellerin genannten Republik Österreich zugestellt. Sie hat den Rechtsmittelverzicht unmittelbar nach dieser Zustellung gleichzeitig mit den Gesuchstellern abgegeben. Verzichtet die Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, als Partei auf ein Rechtsmittel, ist dadurch § 1 Abs. 3 ProkuraturG. nicht unanwendbar geworden. Die Finanzprokuratur kann dennoch innerhalb der Rechtsmittelfrist zum Schutze öffentlicher Interessen einschreiten. Daß die Finanzprokuratur den Rechtsmittelverzicht nach der Zustellung des Verbücherungsbeschlusses am 30. August 1956 in ihrer Eigenschaft als Behörde zur Wahrung öffentlicher Interessen (§ 1 Abs. 3 ProkuraturG.) abgegeben habe, ist ihrer im Akt festgehaltenen Erklärung nicht zu entnehmen.
Daß es sich um Grundstücke handelt, für deren Übertragung ins Eigentum die Zustimmung der Grundverkehrskommission sowohl nach § 1 des Grundverkehrslandesgesetzes für Niederösterreich vom 24. Juni 1954, LGBl. Nr. 61, das zur Zeit der Erlassung des erstrichterlichen Beschlusses in Geltung stand, wie auch nach § 1 des vierzehn Tage nach seiner Kundmachung in Kraft getretenen, also derzeit geltenden, Grundverkehrsgesetzes für Niederösterreich, LGBl Nr. 79/1956, erforderlich ist, läßt sich schon aus ihrer Bezeichnung im Grundbuch und dem Antrag entnehmen, der einzelne Grundstücke mit dieser Bezeichnung anführt. Ein Nachweis, daß es sich etwa um Grundstücke der im § 2 oder 3 des erstgenannten Gesetzes angeführten Art handle oder daß die Grundstücke nicht einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb gewidmet seien (s. auch Abs. 2 des § 1 l. c.), wurde nicht beigebracht. Es wäre daher schon aus diesem Gründe das Grundbuchsgesuch durch den Erstrichter abzuweisen gewesen. Eine dem § 15 des durch den Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Bundesgesetzes über den Grundverkehr entsprechende Vorschrift, die die Einholung der Entscheidung der Grundverkehrskommission durch das Gericht vorsieht, wurde in die oben zitierten Landesgesetze nicht aufgenommen.
Es ist richtig, daß ein vor der Rückstellungkommission abgeschlossener Vergleich gemäß § 26 Abs. 1 und 2 des dritten Rückstellungsgesetzes vom 6. Februar 1947, BGBl. Nr. 54, eine öffentliche Urkunde und ein Exekutionstitel ist und daß daher auch an Stelle eines Grundbuchsgesuches ein Exekutionsgesuch hätte eingebracht werden können, um die vereinbarten Eigentumsübertragungen zu erwirken (§ 350 EO.). Die Frage, ob der Exekutionsrichter die Exekution nur bei Beibringung der Zustimmung der Grundverkehrskommission hätte bewilligen dürfen, ist im Rahmen dieses Verfahrens nicht zu lösen. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß der vor Gericht oder der Rückstellungskommission abgeschlossene Vergleich ein Rechtsgeschäft über die Übertragung des Eigentums an dem landwirtschaftlichen Betrieb gewidmeten Grundstücken zum Gegenstand hat und daher als Rechtsgeschäft dieser Art der Zustimmung der Grundverkehrskommission bedarf. Was die Rekurswerber vorbringen, um darzutun, daß das Geschäft seitens der Grundverkehrskommission zu genehmigen wäre, ist für die hier zu treffende Entscheidung ohne Belang. Es war insbesondere nicht zu prüfen, ob die Einschreiter Leopold, Alois und Gottfried Z. nunmehr Großbauern sind und ob das auch schon die Rückstellungsberechtigten seinerzeit gewesen sind.
Schon aus dem Grundbuchsstande ergibt sich, daß nicht die Antragsteller im Grundbuchsverfahren, sondern die Antragsteller im Rückstellungsverfahren, nämlich Matthias, Alice und Richard L. sowie Klementine W., rückstellungberechtigt nach den Rückstellungsgesetzen waren. Nur die Rückstellung selbst, die auf Grund eines nichtigen Entziehungsaktes erfolgt und daher grundbücherlich nur das entzogene Eigentum wiederherstellt, unterliegt nicht der Zustimmung der Grundverkehrskommission. Der begehrten Eigentumseinverleibung liegt jedoch ein weiteres, auf Eigentumsübertragung gerichtetes Rechtsgeschäft zugrunde, das allerdings im Vergleich nicht genannt wird, in dem zu Unrecht von einer Rückstellung an die Antragsteller Leopold, Alois und Gottfried Z. die Rede ist. Dieses nicht genannte, auf Eigentumsübertragung gerichtete Rechtsgeschäft bedarf nach den obigen Darlegungen der Zustimmung der Grundverkehrskommission.
Es war daher allen Rekursen der Erfolg zu versagen.
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