OGH 1Ob121/57

OGH1Ob121/572.5.1957

SZ 30/27

Normen

AO §8 Abs1
AO §10 Abs2
RAO §19
AO §8 Abs1
AO §10 Abs2
RAO §19

 

Spruch:

Nach der Eröffnung des Ausgleichsverfahrens kann ein anwaltliches Zurückbehaltungs- oder Pfandrecht an den für den Ausgleichsschuldner eingehenden Barschaften nicht mehr entstehen.

Entscheidung vom 2. Mai 1957, 1 Ob 121/57.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Die klagende Partei verlangt, den Beklagten zur Zahlung von 20.000 S zu verurteilen, weil er diesen von einem Prozeßgegner bezahlten Betrag als Vertreter des Gemeinschuldners erhalten habe. Der Beklagte beantragt Abweisung des Klagebegehrens, weil ihm ein Pfandrecht gemäß § 19 RAO. zustehe.

Ohne daß die zeitliche Reihenfolge der Eröffnung des Ausgleichsverfahrens gegen Josef K. und der Zahlungseingänge deutlich würde, stellte das Erstgericht fest, daß 20.000 S beim Beklagten auf Grund eines Vergleiches vor dem Arbeitsgericht Wien vom 5. April 1955 von L. & Co. für Josef K. gezahlt worden seien und daß der Beklagte aus diesem Prozeß eine Kostenforderung von 18.530 S 83 g gegen seinen Klienten Josef K. habe. Der Erstrichter verurteilte den Beklagten zur Zahlung von 1469 S 17 g und wies das Mehrbegehren von 18.530 S 83 g ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es den Beklagten zur Zahlung auch des vom Erstrichter abgewiesenen Betrages verurteilte.

Es stellte fest:

Am 11. Februar 1955 wurde auf Antrag des Josef K. das Ausgleichsverfahren eröffnet. Am 5. April 1955 wurde zwischen Josef K., vertreten durch den Beklagten, und L. & Co. zu 7 Cr 562/54 des Arbeitsgerichtes Wien ein Vergleich geschlossen, wonach L. & Co. an Josef K. zu Handen des Beklagten 30.000 S, und zwar in drei gleichen Raten am 31. Mai, 30. Juni und 31. Juli 1955, zahlen sollten. Am 2. Juni und 4. Juli 1955 zahlten L. & Co. an den Beklagten je 10.000 S. Am 24. Juni 1955 wurde gegen Josef K. der Anschlußkonkurs eröffnet. Josef K. hat die Kostenforderung des Beklagten nicht anerkannt. Die Behauptung des Beklagten, mit Josef K. am 5. April 1955 vereinbart zu haben, daß ihm von den Eingängen per 30.000 S der Betrag von 15.000 S bei Annahme des Ausgleiches, dagegen 20.000 S bei Nichtannahme, als Kosten zukommen sollten, ist nicht erwiesen.

Zur Verurteilung gelangte das Berufungsgericht, weil ein Absonderungsrecht des Klägers nach der Eröffnung des Ausgleichsverfahrens an dem Betrag von 20.000 S nicht mehr rechtswirksam habe entstehen können. Überdies habe der Beklagte die Beträge eigenmächtig zurückbehalten, weil ein Anerkenntnis des Schuldners fehlte (§ 19 RAO.).

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Rechtsanwälte sind nach § 19 RAO. berechtigt, von den bei ihnen für die vertretenen Parteien eingegangenen Barschaften die Summe ihrer Auslagen und ihres Verdienstes abzuziehen. Das Recht dazu haben sie aber nur für unbestrittene Forderungen. Sie haben insoweit ein Zurückbehaltungsrecht. Ist die Honorarforderung bestritten, so kann der Anwalt die eingegangene Barschaft zu Gericht erlegen und hat dann an ihr - den Rechtsbestand seiner Forderung vorausgesetzt - ein gesetzliches Pfandrecht. Im vorliegenden Falle sind nun die ersten 10.000 S dem beklagten Anwalt am 2. Juni 1955 zugekommen, während gegen den Klienten bereits am 11. Februar 1955 das Ausgleichsverfahren eröffnet war. Das Zurückbehaltungsrecht hätte daher hinsichtlich der ersten 10.000 S frühestens am 2. Juni 1955, hinsichtlich der zweiten 10.000 S frühestens am 4. Juli 1955 entstehen können. Bevor der Beklagte das Geld übergeben erhalten hatte, konnte ein Zurückbehaltungsrecht nicht entstehen. Wohl zu beachten ist aber, daß nach der Ausgleichseröffnung das Zurückbehaltungsrecht nicht mehr entstehen konnte (§§ 8 Abs. 1, 10 Abs. 2 AO.). Daraus folgt, daß schon aus diesem Gründe ein Zurückbehaltungsrecht des Beklagten hinsichtlich des Betrages von 20.000 S nicht besteht und er daher zur Herausgabe verpflichtet ist (vgl. GlUNF. 2705). Davon abgesehen ist aber dem Berufungsgericht auch zuzustimmen, wenn es meint, daß wegen Bestrittenheit der Honorarforderung ein Zurückbehaltungsrecht ebenfalls nicht entstehen konnte.

Zu den Revisionsausführungen bleibt noch beizufügen:

Aus der Vereinbarung der Zahlung zu Handen des Beklagten kann schon deswegen nichts abgeleitet werden, weil der Vergleich und damit diese Vereinbarung am 5. April 1955 abgeschlossen wurden, das Ausgleichsverfahren aber schon vorher, nämlich am 11. Februar 1955, eröffnet worden war. Daß zur Zeit des Vergleichsabschlusses vom 5. April 1955 das Ausgleichsverfahren, und zwar am 11. Februar 1955, bereits eröffnet war, hat das Berufungsgericht sehr wohl festgestellt. Die Feststellung des Berufungsgerichtes über die Unerweislichkeit einer Vereinbarung hinsichtlich Höhe und Abdeckung der Honorarforderung ist im Revisionsverfahren nicht überprüfbar. Die Ausführungen in der Revision, daß einem Anwalt nicht zugemutet werden könne, daß er in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit eines Klienten für diesen weiter Leistungen erbringe und daß er dadurch einen Erfolg für die Gläubiger herbeiführe, selbst aber nichts bekäme, scheinen die Meinung des Beklagten anzudeuten, daß die Honorarforderung - vom § 19 RAO. abgesehen - vom Ausgleich nicht berührt werden solle. Dem steht aber entgegen, daß schon wegen des vom Beklagten selbst hervorgehobenen, besonders beträchtlichen Streitgegenstandes es sich nicht um ein Geschäft handelt, das zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehört; eine Zustimmung des Ausgleichsverwalters ist aber gar nicht behauptet worden (§ 8 Abs. 2 AO.).

Daß dem Beklagten ein Absonderungsrecht nicht zusteht, ist bereits ausführlich begrundet worden. Aus den Entscheidungen SZ. VIII 278 und ZBl. 1913 Nr. 185 läßt sich für den Standpunkt der Revision nichts gewinnen, weil diese Entscheidungen andere Sachverhalte betreffen; im ersten Fall handelt es sich um ein bevorrechtetes Pfandrecht für eine Gebührenforderung, im zweiten Fall war eine Vereinbarung über die Verwendung eingegangener Barschaften zur Deckung von Kostenforderungen vor der Konkurseröffnung getroffen worden. Soweit schließlich die Revision eine Vereinbarung über die Honorarforderung mit dem Gemeinschuldner annimmt, weicht sie von dem festgestellten Sachverhalt ab und ist daher nicht gesetzmäßig ausgeführt.

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