OGH 1Ob197/56

OGH1Ob197/569.5.1956

SZ 29/39

Normen

HGB §145
HGB §146
HGB §149
HGB §145
HGB §146
HGB §149

 

Spruch:

Die Liquidatoren sind während der Abwicklung die einzigen Vertretungsorgane der Abwicklungsgesellschaft.

Ansprüche gegen Abwickler, die nicht Gesellschafter sind, wegen Verletzung ihrer Pflichten als Abwickler können nur namens der Gesellschaft durch einen anderen Abwickler verfolgt werden.

Die formelle Parteifähigkeit der Gesellschaft dauert im Liquidationsstadium fort; Prozesse werden unter ihrem Firmennamen als Abwicklungsfirma geführt.

Entscheidung vom 9. Mai 1956, 1 Ob 197/56.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Rechtsanwalt Dr. Peter H. starb am 30. April 1951. Er war Abwesenheitskurator der drei persönlich haftenden Gesellschafter der klagenden Partei. Am 26. März 1948 wurde er zum Liquidator dieser Firma bestellt. Am 7. November 1951 wurde der derzeitige Liquidator der Klägerin bestellt. Dieser begehrt nunmehr von der Witwe und Erbin nach Dr. Peter H., Frau Gertrude H., den Betrag von 100.000 S auf Grund folgender zwei Tatbestände:

1.) Dr. Peter H. habe als Liquidator der Klägerin aus einem Depot den Betrag von 74.977 S 47 g für sich abdisponiert, diesen Betrag aber nicht der Klägerin abgeführt, auch nicht für sie verwendet, und daher die klagende Partei um diesen Betrag geschädigt.

2.) Ferner habe er für die Klägerin das im Stadium der Rückstellung befindlich gewesene Bauunternehmen H. gepachtet und sich in Baumeistergeschäfte eingelassen. Mangels Kapitals und entsprechender Fähigkeiten habe er hiedurch der Klägerin einen Schaden von mindestens 25.022 S 53 g zugefügt.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren "derzeit" abgewiesen. Der Liquidator habe es unterlassen, eine Gesamtabrechnung (etwa nach § 154 HGB.) zu erstellen, ohne die nicht beurteilt werden könne, ob ein Schaden durch das Verhalten Dris. Peter H. der klagenden Partei entstanden sei, und ob dem Dr. Peter H. ein Verschulden zur Last falle. Solange eine Bilanz nicht vorliege, sei das Klagsvorbringen und somit das Klagebegehren nicht schlüssig.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge, hob das Urteil auf und verwies unter Rechtskraftvorbehalt die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht. Es fand das Klagsvorbringen durchaus schlüssig, das Vorliegen einer Bilanz zwar als empfehlenswert, jedoch nicht als Voraussetzung, um den vorliegenden Rechtsstreit zu führen. Nicht nur die Klage, sondern auch die in weiterer Folge gewechselten Schriftsätze, die in der mündlichen Streitverhandlung vorgetragen worden seien, hätten zur Genüge dargetan, warum die klagende Partei einen Schadenersatz verlange, den zu erweisen ihr allerdings obliege.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten gegen den Aufhebungsbeschluß nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die beklagte Partei geht davon aus, daß die Klage hinsichtlich ihres Tatbestandsvorbringens nicht schlüssig und daß auch im Zuge des Rechtsstreites die Unschlüssigkeit nicht beseitigt worden sei. Der Meinung der Rechtsmittelwerberin kann aber schon deshalb nicht gefolgt werden, weil sie Rechtsansichten aufstellt, die dem Gesetze offenkundig entgegenstehen, wie z. B. es könne vom früheren Liquidator Dr. Peter H. nicht begehrt werden, daß er die behaupteten Eingänge in die Liquidationsmasse per 100.000 S und 30.000 S an den derzeitigen Liquidator zurückstelle, wenn es ihm andererseits gelungen sei, durch die Transaktion mit der Baufirma H. den Wert des Geschäftsanteiles der klagenden Partei an der N.-GesmbH. auf die bedeutende Summe von 200.000 S zu erhöhen. Auch bleibt es völlig unverständlich, warum nach Ansicht der Rechtsmittelwerberin das Klagebegehren auf Herausgabe der eingegangenen Beträge deshalb unschlüssig sein soll, weil auf Grund der bloßen Tatsache, daß beim Liquidator Beträge eingegangen seien, deren Herausgabe nicht verlangt werden könne. Der Oberste Gerichtshof billigt zur Gänze die Ausführungen des Berufungsgerichtes, die den der Klage zugrunde liegenden Sachverhalt und das Klagebegehren eingehend und erschöpfend erörtert und rechtlich richtig beurteilt haben. Diesen Ausführungen ist nichts hinzuzufügen. Es ist daher unverständlich, warum nach Meinung der Rechtsmittelwerberin der Rechtsstreit nicht geführt werden könne und weshalb Klagstatbestand und Klagebegehren nicht schlüssig sein sollen, abgesehen allerdings von den Schwierigkeiten, in denen sich die klagende Partei mangels Buchunterlagen, wie dies die Entscheidung des Berufungsgerichtes aufgezeigt hat, befindet.

Der Vollständigkeit halber sei in rechtlicher Beziehung noch auf folgendes verwiesen: die formelle Parteifähigkeit der Gesellschaft dauert im Liquidationsstadium fort. Die Prozesse werden unter ihrem Firmennamen als Abwicklungsfirma geführt. Ansprüche gegen Abwickler, die nicht Gesellschafter sind, wegen Verletzung ihrer Pflichten als Abwickler können nur namens der Gesellschaft durch einen anderen Abwickler verfolgt werden. Auch bei Schadenersatz wegen unzulässiger Entnahmen wird von einem Anspruch der Gesellschaft gesprochen (Reichsgerichtsräte-Kommentar zum HGB., 2. Aufl. II S. 487, 489, 501; Anm. 12, 14 und 50 zu § 149 HGB.).

Die Liquidatoren vertreten die Gesellschaft während der Abwicklung, sie sind die einzigen Vertretungsorgane der Abwicklungsgesellschaft. Sie vertreten nicht die einzelnen Gesellschafter, sondern die Gesellschaft und damit die Gesellschafter in ihrer Vereinigung; auch können die Liquidatoren gegen einen früheren Abwickler einen Schadenersatzanspruch namens der Gesellschaft geltend machen (Reichsgerichtsräte-Kommentar zum HGB. a. a. O. S. 495 und 501, Anm. 33 und 54 zu § 149 HGB.).

Was die Haftung eines Liquidators anlangt, so vertritt das Schrifttum die Meinung, daß Nichtgesellschafter als Abwickler nach allgemeinen Vorschriften für jedes Verschulden haften.

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