OGH 2Ob224/56

OGH2Ob224/5618.4.1956

SZ 29/34

Normen

ABGB §1295
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §7 Abs2
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §8
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §16
ABGB §1295
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §7 Abs2
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §8
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §16

 

Spruch:

Die Haftung des Halters nach Verschuldensgrundsätzen für etwaige, schon bei der Zulassung vorhandene Mängel des Kraftfahrzeuges wird durch die behördliche Zulassung insolange ausgeschlossen, als ihm solche Mängel nicht bekannt geworden sind.

Die Verkehrssicherheit umfaßt nicht nur die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer, sondern im Rahmen des § 8 Abs. 2 KraftfVerkG. auch die Sicherheit der Insassen.

Entscheidung vom 18. April 1956, 2 Ob 224/56.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Klägerin ist als Fahrgast in einem der erstbeklagten Partei gehörigen Autobus dadurch zu Schaden gekommen, daß sie bei einer Notbremsung von ihrem Sitz aufgehoben und mit dem Kopf gegen eine dort befindliche Metallstange geschleudert wurde. Die Klägerin begehrt ein Schmerzengeld, ferner den Ersatz von Heilungskosten, des Verdienstentganges und der Kosten für eine Haushaltshilfe.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, daß der Anspruch der Klägerin gegen die erstbeklagte Partei als Halterin, soweit er in den Bestimmungen des KraftfVerkG. über die Gefährdungshaftung seine Begründung finde, dem Gründe nach zu Recht bestehe. Soweit jedoch der Anspruch gegen die erstbeklagte Partei nur auf die weitergehenden Bestimmungen der §§ 1295 ff. ABGB. über die Verschuldenshaftung gestützt werde, bestehe der Anspruch nicht zu Recht. Gegenüber dem Zweitbeklagten als Fahrer bestehe der Anspruch überhaupt nicht zu Recht.

Das Berufungsgericht gab weder der Berufung der Klägerin noch der der erstbeklagten Partei in der Hauptsache Folge.

Auch der Oberste Gerichtshof gab weder der Revision der klagenden Partei noch der Revision der erstbeklagten Partei Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Oberste Gerichtshof muß von der Feststellung des Berufungsgerichtes ausgehen, daß der Kraftstellwagen vor der Notbremsung eine Geschwindigkeit von höchstens 25 km/h hatte.

Zur Frage der Fahrgeschwindigkeit führt die Klägerin in rechtlicher Beziehung aus, daß auch eine Geschwindigkeit von 25 km/h als überhöht anzusehen sei, wenn sie eine Notbremsung notwendig mache. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Unter Umständen wird auch bei einer noch geringeren Geschwindigkeit eine Notbremsung unvermeidbar, wenn nämlich ein Hindernis für die Weiterfahrt so plötzlich auftritt, daß es einen sofortigen Stillstand des sich bewegenden Fahrzeuges zur Vermeidung eines Verkehrsunfalles erfordert.

Im vorliegenden Fall hat aber nach der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Feststellung der Vorinstanzen eine Fußgängerin unmittelbar vor dem herannahenden Omnibus noch die Fahrbahn zu überqueren versucht, so daß dem Zweitbeklagten nichts anderes übrig blieb, als scharf abzubremsen, was ihm auch noch vor Erreichung der den Schutzstreifen abgrenzenden Metallknöpfe gelang. Wird diese Feststellung zugrunde gelegt, so muß die Ansicht der Vorinstanzen insofern als zutreffend angesehen werden, als sie das verkehrswidrige Verhalten der Fußgängerin als unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 KraftfVerkG. qualifizierten und demnach insoweit ein Verschulden des Zweitbeklagten als Führers und der erstbeklagten Partei als Halterin des Kraftstellwagens verneinten.

Neben dem verkehrswidrigen Verhalten der Fußgängerin und der dadurch bedingten Notbremsung kommt aber als weitere Unfallsursache in Betracht, daß durch diese Notbremsung die Klägerin von ihrem Sitz im Omnibus heruntergeschleudert wurde und dabei mit dem Kopf an eine Metallstange stieß, die vor dem das Fahrerabteil gegen den Innenraum des Wagens abschließenden Fenster angebracht ist. Beide Vorinstanzen haben das Vorhandensein dieser Stange an dieser Stelle für einen Mangel der Beschaffenheit des Fahrzeuges erachtet und aus diesem Grund einen Fall der Rückausnahme im Sinne des § 7 Abs. 2 KraftfVerkG. angenommen. Dagegen waren beide Vorinstanzen der Ansicht, daß aus dieser angeblich fehlerhaften Beschaffenheit des Wagens eine Haftung des Halters für verschuldeten Schaden nicht abgeleitet werden könne. Die vom Berufungsgericht getroffene Feststellung über eine behördliche Zulassung des Wagens mit der Einrichtung, wie sie zur Zeit des Unfalles bestanden hat, wird nicht bekämpft.

In rechtlicher Beziehung muß der vom Berufungsgericht in Übereinstimmung mit Müller, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl. S. 227, geäußerten Ansicht beigepflichtet werden, daß für etwaige schon bei der Zulassung vorhandene Mängel des Kraftfahrzeuges durch die behördliche Zulassung eine Haftung des Halters nach Verschuldensgrundsätzen insolange ausgeschlossen wird, als ihm solche Mängel nicht bekannt geworden sind. Man kann sich im allgemeinen darauf verlassen, daß die für die Teilnahme am öffentlichen Verkehr erlassenen Vorschriften genügen, um Schäden hintanzuhalten. Da ein Verschulden nicht vorliegt, ist die Haftung des Zweitbeklagten gemäß § 18 KraftfVerkG. überhaupt ausgeschlossen.

Der Oberste Gerichtshof folgt aber auch der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß für einen ursächlichen Mangel des Kraftfahrzeuges trotz der behördlichen Zulassung vom Halter, aber nur im Rahmen der Gefährdungshaftung, zu haften ist, daher insoweit die Rückausnahme des § 7 Abs. 2 KraftfVerkG. (Fehler der Beschaffenheit oder Versagen der Verrichtungen) Platz greift.

Die erstbeklagte Partei vertritt hiezu in ihrer Revision die Meinung, daß die Rückausnahme nur Mängel betriebstechnischer Art betreffe, nicht aber etwaige Mängel der Inneneinrichtung, und daß es daher selbst bei Annahme eines Mangels der Inneneinrichtung grundsätzlich bei der Haftungsbefreiung wegen Unabwendbarkeit des Ereignisses auch für die Gefährdungshaftung bleibe.

Dem vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu folgen. Allerdings kommen für die Rückausnahme unter dem Gesichtspunkt eines Mangels der Beschaffenheit und eines Versagens von Verrichtungen Fehler nur solcher Teile des Kraftfahrzeuges in Betracht, die auf die Verkehrssicherheit von Einfluß sind (vgl. Müller a. a. O. S. 221). Die Verkehrssicherheit umfaßt aber nicht nur die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer, sondern im Rahmen des § 8 Abs. 2 KraftfVerkG. auch die Sicherheit der Insassen (vgl. Müller a. a. O. S. 580, "Verkehrssicher" bedeutet jetzt: "niemand schädigend").

Die Entscheidung hängt also, soweit es sich um das Vorliegen eines Anspruches der Verletzten gegen den Halter aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung handelt, davon ab, ob die Metallstange vor dem vorerwähnten Fenster als eine "ungeschickte", also die Sicherheit der Fahrgäste gefährdende, Einrichtung aufgefaßt werden kann. Der Oberste Gerichtshof hat keine Bedenken, in dieser Richtung die Auffassung der Vorinstanzen zu teilen. Das Erstgericht war der Meinung, daß diese Stange den Zweck habe, dem Fahrgast das Hochziehen zu erleichtern, wenn er von seinem Sitz aufstehen wolle, sowie daß sie dem Schutz der Glasscheibe diene, die das Abteil des Fahrers vom Innenraum abschließt. Eine andere Funktion wird dieser Stange auch von der erstbeklagten Partei nicht beigelegt.

Wie die im Laufe des Verfahrens vorgenommene Probebremsung des mit dem Sachverständigen besetzten Kraftstellwagens ergeben hat, wäre auch der Sachverständige infolge der Probebremsung mit dem Kopf gegen die Metallstange gefallen, wenn er sich nicht rechtzeitig gebückt hätte. Nun ist aber zu bedenken, daß der Sachverständige auf die Notbremsung gefaßt war; es ist also der Schluß gerechtfertigt, daß ein nicht von vorneherein mit einer Notbremsung rechnender Fahrgast durch das Vorhandensein der Stange bei einer Notbremsung gefährdet wird.

Wenn die Glaswand an der Seite des Fahrerabteils geschützt werden muß, dann wäre es zweckmäßig gewesen, dies durch mehrere nebeneinander angebrachte Stäbe zu bewirken, damit ein dagegen geschleuderter Fahrgast wie auf eine Fläche, nicht aber wie auf eine Kante auffällt.

Die erstbeklagte Partei wendet gegen die Annahme einer Kausalität zwischen dem Vorhandensein der Metallstange und den von der Klägerin behaupteten Verletzungen ein, daß das Auffallen auf eine nicht durch eine Metallstange gesicherte Glasscheibe noch viel schwerere Folgen hätte nach sich ziehen können. Dieser Einwand erscheint dem Revisionsgericht nicht stichhältig, weil nach § 15 Abs. 1 der Anlage 1 a zur KfV. 1947 (BGBl. Nr. 79/1952) sämtliche Scheiben im Kraftstellwagen aus Sicherheitsglas bestehen müssen und damit schwerere Verletzungen infolge Bruches einer Scheibe als ausgeschlossen gelten können.

Aus diesen Erwägungen kommt der Oberste Gerichtshof gleich den Vorinstanzen zu dem Ergebnis, daß der Klagsanspruch nur im Rahmen der Gefährdungshaftung dem Gründe nach zu Recht besteht. Es erweist sich daher sowohl die Revision der Klägerin, die darüber hinaus ihren Anspruch auf ein Verschulden der zweitbeklagten Partei grunden will, wie auch die Revision der erstbeklagten Partei, die die Voraussetzungen für die Gefährdungshaftung bestreitet, als unbegrundet.

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