OGH 2Ob651/55

OGH2Ob651/5530.11.1955

SZ 28/250

Normen

ABGB §760
AußStrG §9
AußStrG §21
AußStrG §22
AußStrG §130
ABGB §760
AußStrG §9
AußStrG §21
AußStrG §22
AußStrG §130

 

Spruch:

Der Heimfall der erblosen Verlassenschaft eines Ausländers an den österreichischen Staat kommt nur in dem Umfang in Frage, in dem die Abhandlung durch ein österreichisches Gericht geführt wird. Für die während der Abhandlung abreifenden Erträgnisse unbeweglicher Güter ist die österreichische Gerichtsbarkeit gegeben.

Der Fiskus ist hinsichtlich eines erblosen Nachlasses antragsberechtigt, bevor er noch erklärt, ob er den erblosen Nachlaß annehmen will.

Entscheidung vom 30. November 1955, 2 Ob 651/55.

I. Instanz: Bezirksgericht Hernals; II Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Nach erfolgloser Durchführung des Verfahrens nach § 128 AußStrG. hat das Abhandlungsgericht mit einem in Rechtskraft erwachsenen Beschluß den Nachlaß für erblos und die Abhandlung der Verlassenschaft für beendet erklärt. Die Finanzprokuratur hat erklärt, daß sie nicht beabsichtige, die das Nachlaßvermögen darstellenden drei Viertelanteile der Liegenschaft EZ. 643 Grundbuch O. in natura zu übernehmen, vielmehr beabsichtige, den reinen (realisierten) Nachlaß als heimfällig in Empfang zu nehmen, zumal eine Realisierung der Nachlaßliegenschaftsanteile schon zur Berichtigung der Verfahrenskosten notwendig sei.

Das Erstgericht (Abhandlungsgericht) wies die u. a. von der Finanzprokuratur gestellten Anträge, 1.) die Erträgnisse der Nachlaßliegenschaftsanteile festzustellen, 2.) die Verwaltung der Nachlaßliegenschaftsanteile durch den Verlassenschaftskurator zu überprüfen, 3.) dem Verlassenschaftskurator die Erhebung von Verwertungsmöglichkeiten in Ansehung der Nachlaßliegenschaftsanteile aufzutragen, ab, da es nicht Aufgabe des Abhandlungsgerichtes sei, der Finanzprokuratur die Grundlage für die ihr vorbehaltene Entscheidung zu liefern, ob sie das Heimfallsrecht in Anspruch nehme oder nicht.

Über Rekurs der Finanzprokuratur wurde vom Rekursgericht die erstgerichtliche Entscheidung dahin "abgeändert", daß die erwähnten Anträge der Finanzprokuratur zurückgewiesen wurden. In Ansehung der Liegenschaftserträgnisse könne der Finanzprokuratur ein Antragsrecht nicht zugebilligt werden, da der Erblasser tschechoslowakischer Staatsbürger gewesen sei, so daß in Ansehung dieses beweglichen Vermögens eine Einziehung nicht in Frage käme. Auch sonst habe die Finanzprokuratur kein Antragsrecht, bevor nicht auf ihren Antrag ein Kaduzitätsverfahren eingeleitet worden sei.

Der Oberste Gerichtshof gab dem von der Finanzprokuratur wegen offenbarer Gesetzwidrigkeit der Rekursentscheidung erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs Folge, hob die Entscheidungen der Untergerichte auf und beauftragte das Erstgericht, neuerlich Beschluß zu fassen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Zunächst ist festzustellen, daß die angefochtene zweitinstanzliche Entscheidung eine Bestätigung der erstgerichtlichen Entscheidung in dem Sinne darstellt, daß schon aus verfahrensrechtlichen Erwägungen den Anträgen der Finanzprokuratur ein Erfolg versagt werden müsse. Es ist daher auch die erstgerichtliche Entscheidung, wenn sie auch die Abweisung dieser Anträge ausspricht, richtig als Zurückweisung dieser Anträge anzusehen. Denn das Erstgericht hat seine Ablehnung damit begrundet, daß die Finanzprokuratur von ihm eine Leistung verlange, deren Erbringung von ihm nach den geltenden öffentlichrechtlichen verfahrensrechtlichen Vorschriften nicht verlangt werden könne und deren Erbringung nicht in seine Zuständigkeit, ja überhaupt nicht in die erichtliche Zuständigkeit falle. Das Zweitgericht hat die Zurückweisung der Anträge nicht so weitgehend wie das Erstgericht, nämlich nicht mit dem Fehlen der gerichtlichen Zuständigkeit überhaupt, sondern mit dem Fehlen eines Rechtsschutzinteresses und sohin mit dem Fehlen der Stellung eines Beteiligten, einer Partei, auf Seite der antragstellenden Finanzprokuratur begrundet.

Das Rekursgericht geht zwar richtig davon aus, daß der Heimfall einer erblosen Verlassenschaft nach einem verstorbenen Ausländer an den österreichischen Staat nur in dem Umfang in Frage kommt, in dem die Abhandlung durch ein österreichisches Gericht geführt wird (Klang 2. Aufl. I 262 f. zu §§ 33 bis 37 ABGB.), und daß demnach, wenn, wie im vorliegenden Fall, die inländische Abhandlung gemäß § 22 AußStrG. auf die innerhalb des österreichischen Staates liegenden unbeweglichen Güter beschränkt ist, der Heimfall des im Inlande befindlichen beweglichen Nachlasses nicht statthat. Dennoch verstößt es gegen die ausdrückliche, klare und zweifelsfreie Gesetzesbestimmung des § 22 AußStrG., daß über die innerhalb des österreichischen Staates liegenden unbeweglichen Güter dem österreichischen Gericht die Abhandlung im vollen Umfange zukommt, wenn es meint, daß das österreichische Gericht keine Verfügung über die nach dem Todfall und nach Begründung seiner Zuständigkeit während der Abhandlung abreifenden Erträgnisse dieser unbeweglichen Güter treffen dürfe, begeht also in dieser Hinsicht eine offenbare Gesetzwidrigkeit.

Ebenso offenbar gesetzwidrig erscheint aber die Meinung des Rekursgerichtes (das andernorts in der Begründung des angefochtenen Beschlusses selbst erklärt, die Rekurslegitimation und Beteiligtenstellung der Finanzprokuratur zu bejahen, und über Rekurs der Finanzprokuratur die Schätzung der Nachlaßliegenschaftsanteile angeordnet hat), daß nach der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 760 ABGB. und 130 AußStrG. dem Staate vor seiner Erklärung der Annahme des erblosen Nachlasses, "vor Stellung eines Antrages auf Einleitung des Kaduzitätsverfahrens", nicht die Stellung eines Beteiligten und sohin keine Antragsberechtigung zukomme. Aus dem Wortlaut des § 760 ABGB., daß "die Verlassenschaft als ein erbloses Gut dem Staate anheimfällt", und aus dem Wortlaute des § 130 AußStrG., daß "die Abhandlungsbehörde den Nachlaß als erblos dem Fiskus zu übergeben und zu diesem Ende der zuständigen Behörde die Anzeige davon zu machen hat", geht nämlich das Gegenteil klar und zweifelsfrei hervor (vgl. hiezu auch SZ. XXII 165, den JM.- Erl. vom 7. Juli 1851, Z. 7628, abgedruckt bei Hellwich - Preissecker, das Verfahren außer Streitsachen, 2. Aufl., Anm. 4 zu § 133 AußStrG., und Boschan, zum Verfahren in Kaduzitätsfällen, ZBl. 1887 S. 331 ff).

In der Sache selbst ist zu bemerken, daß der nach §§ 78, 128 AußStrG. bestellte Verlassenschaftskurator gemäß § 129 AußStrG. die Verwaltung des Nachlasses zu besorgen und die Kosten des Verlassenschaftsverfahrens aus dem Nachlasse zu berichtigen hat, das Verlassenschaftsgericht ihm gegenüber von Amts wegen auf Rechnungslegung dringen muß (§ 238 ABGB.) und eine Veräußerung unbeweglichen Gutes durch den Verlassenschaftskurator nach §§ 232, 282 ABGB. zu beurteilen ist. Nur nach abgewickelter Verwaltung ist unter Umständen die Feststellung möglich, ob überhaupt ein reiner Nachlaß vorhanden ist, der gemäß § 130 AußStrG. von der Abhandlungsbehörde dem Fiskus zur Übernahme angeboten werden kann (vgl. hiezu die in den Mitteilungen für den Finanzprokuraturdienst, IV. Jahrgang, unter Nr. 115 abgedruckte Entscheidung des Landesgerichtes Innsbruck vom 3. Jänner 1902).

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