Spruch:
Zum Begriff der Ortsüblichkeit von Teppichklopflärm.
Entscheidung vom 12. Oktober 1955, 2 Ob 576/55.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Kläger begehren als Miteigentümer der Liegenschaft EZ. 544 Grundbuch A. (R.-Platz 16) vom Beklagten als Mieter einer Wohnung im Hause R.-Platz 15 das Klopfen von Teppichen und anderen Fahrnissen in der Zeit von 7 bis 9 Uhr im Hofe des Hauses W., R.-Platz 15, zu unterlassen oder eine ebenso wirksame, zur Verhinderung des Lärmeingriffes in diesem Zeitraum auf das Grundstück EZ. 544 geeignete Maßnahme zu treffen. Auf dem Grundstück EZ. 544 werde ein Hotel betrieben. Durch die Lärmeinwirkung des Klopfens zu dieser Zeit, in welcher die Hotelgäste Ruhe beanspruchen, trete eine Schädigung des Hotelbetriebes ein. Die Klage ist auf §§ 364 und 1295 Abs. 2 ABGB. gestützt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging von folgendem Sachverhalte aus: Die Kläger sind Miteigentümer der Liegenschaft EZ. 544 Grundbuch A. In dem auf der Liegenschaft befindlichen Gebäude R.-Platz 16, betreibt die Firma Hotel und Restaurant "R." Brüder K. oHG. als Bestandnehmerin ihr Hotel- und Gastgewerbe. Der Hof des Hauses R.-Platz 16, in welchen auch die Fenster eines Teiles der Hotelzimmer munden, grenzt an den Hof des Hauses R.-Platz 15. Der Erstkläger ist Alleineigentümer des Hauses R.-Platz 15 und auch Gesellschafter der oHG. Der Beklagte hat im Hause R.-Platz 15 eine Wohnung gemietet. Die Häuser R.-Platz 16, 15, 14 sowie W.-Straße 1 und 3 haben einen gemeinsamen Hof. Die Klopfstange befindet sich an jener Stelle, die in Beilage H bezeichnet ist. Der Geschäftsdiener des Beklagten klopft drei- bis viermal im Jahre in der Zeit von 1/4 8 bis 8 Uhr auf der Klopfstange 10 bis 14 kleinere Teppiche. In der Hausordnung des Hauses R.-Platz Nr. 15 stand als Klopfzeit Dienstag und Freitag von 7 bis 11 Uhr. Nachdem das Klopfen des Beklagten Anstoß erregt hatte, wurde die Hausordnung eigenmächtig dahin abgeändert, daß die Klopfzeit nun ab acht Uhr festgesetzt ist. In den Zimmern des Hotels, die in den gegenständlichen Hof hinausgehen, ist das Klopfen, wenn ein Fensterflügel offen gehalten wird, deutlich, aber nicht sehr stark zu hören. Wenn alle Fenster geschlossen sind, ist das Klopfgeräusch nur gedämpft hörbar. Ende 1953 oder Anfang 1954 haben sich einmal einige Gäste über eine Lärmentwicklung, die durch das Teppichklopfen verursacht wurde, beschwert. Die ortsübliche Klopfzeit in Wien ist von 7 bis 11 Uhr. In Häusern, die an ein Hotel, eine Schule oder ein Spital angrenzen, ist keine andere Klopfzeit üblich.
Dieser Sachverhalt wurde vom Erstgerichte dahin gewürdigt, daß sich das Teppichklopfen, wie es vom Beklagten gemäß dem Inhalte seines Bestandvertrages ausgeübt wird, im Rahmen der Ortsüblichkeit halte und die Benützung des Nachbargrundstückes für Hotelzwecke nicht erheblich beeinträchtige. Ein allgemeines Schikaneverbot sei dem österreichischen Recht fremd. Die Kläger hätten keinen Schadenersatz begehrt, auch sei das Teppichklopfen ab 7 Uhr früh innerhalb der ortsüblichen Zeit nicht sittenwidrig.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil in der Hauptsache und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteige. Es übernahm die tatsächlichen Feststellungen als unbedenklich und erkannte, daß die gerügten Verfahrensmängel nicht vorlägen. Die durch das Klopfen in der ortsüblichen Zeit von 7 bis 11 Uhr hervorgerufene Lärmentwicklung bedeute nur eine ortsübliche Störung, die auch dann nicht verboten werden dürfe, wenn sie die ortsübliche Benützung des Nachbargrundstückes wesentlich beeinträchtige. Das Klagebegehren könne aber auch nicht auf § 1295 Abs. 2 ABGB. gestützt werden. Die Bestimmung enthalte eine Verpflichtung zum Schadenersatz, und Schadenersatz sei nicht begehrt worden. Aber auch ein konkreter Schaden sei nicht geltend gemacht worden. Darüber hinaus müßte die Schädigungsabsicht des Beklagten nachgewiesen werden. Eine solche könne aber nicht angenommen werden.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Parteien nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wird ausgeführt, aus § 364 Abs. 1 ABGB. gehe hervor, daß durch die Ausübung des Eigentumsrechtes weder in Rechte Dritter eingegriffen noch die in den Gesetzen zur Erhaltung und Beförderung des Allgemeinwohles vorgeschriebenen Einschränkungen übertreten werden dürften. Durch das Verhalten des Beklagten werde in die Rechte und Pflichten der Kläger als Hoteleigentümer eingegriffen und andererseits auf das öffentliche Wohl nicht Rücksicht genommen. Unter den örtlichen Verhältnissen seien jene an dem Orte zu berücksichtigen, an welchem sich der zu beurteilende Sachverhalt ergeben habe. Die besonderen Verhältnisse des Ortes erforderten hier eine Ruhe bis 9 Uhr. Es bestehe auch kein schutzwürdiges Interesse des Beklagten, gerade um 7 Uhr zu klopfen. Es sei aktenwidrig, daß die Kläger keinen konkreten Schaden nachgewiesen hätten. Durch das Verhalten des Beklagten werde der Ruf des Hotels geschädigt, und Fremde würden abgehalten, im Hotel zu nächtigen. Das sei ein konkreter Schaden. Aus dem ganzen dargelegten Verhalten des Beklagten ergebe sich, daß er in Schädigungsabsicht handle. Der Schadenersatz werde in Form der Genugtuung durch Unterlassung des Klopfens gefordert.
Auch in dieser Richtung ist die Revision unbegrundet.
Zu Unrecht berufen sich die Kläger auf § 364 Abs. 1 ABGB. Diese Gesetzesstelle schränkt die nach § 354 ABGB. unbeschränkte Sachherrschaft des Eigentümers auf jenen Umfang ein, welcher der den Eigentümern durch die Rechtsordnung tatsächlich gewährten Macht entspricht. Hier wird aber keine gewillkürte oder gesetzliche Eigentumsbeschränkung geltend gemacht, sondern eine nachbarrechtliche, die im § 364 Abs. 2 ABGB. ihre ausschließliche Regelung erfahren hat. Nach § 364 Abs. 2 ABGB. kann der Eigentümer dem Nachbarn von dessen Grund ausgehende Einwirkungen, die im Gesetz beispielsweise aufgezählt sind, insoweit untersagen, als sie das nach den Ortsverhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benützung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigen. Richtig hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß unter den Ortsverhältnissen nicht die Verhältnisse einer bestimmten politischen Gemeinde zu verstehen sind, sondern vielmehr je nach Lage des Falles auch jene bestimmter Bezirke. Das können auch einzelne Teile eines Ortes sein, die ein ganz bestimmtes Gepräge haben. Das störende Grundstück befindet sich nun durchaus nicht in einem Viertel, welches durch das gestörte Grundstück ein besonderes Gepräge erhielte, sondern in einem Wohnviertel. In einem solchen ist es üblich, daß während der Zeit von 7 bis 11 Uhr die Teppiche geklopft werden. Mit derartigen Störungen hat jeder Bewohner eines solchen Viertels zu rechnen. Daß im vorliegenden Falle das Teppichklopfen auf eine solche Art vorgenommen worden wäre, daß der dadurch verursachte Lärm das in einem Wohnviertel übliche Maß überstiege, wurde gar nicht behauptet, keinesfalls aber erwiesen. Es sei diesbezüglich nur auf das Ergebnis der Hörprobe hingewiesen.
Es mag zugegeben werden, daß durch das Teppichklopfen der Hotelbetrieb beeinträchtigt wird, da sich einzelne Hotelgäste dadurch gestört erachten und Beschwerde führen können. Dies ist aber hier nur in einem einzigen Fall erwiesen. Wenn sich aber einmal einige Gäste beschweren, ist dies noch keine wesentliche Beeinträchtigung des Hotelbetriebes. Es liegen somit die Voraussetzungen für eine Untersagung nach § 364 Abs. 2 ABGB. in beiden Richtungen nicht vor, wie die Untergerichte richtig erkannt haben. Es kann daher auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils verwiesen werden. Aus diesen Darlegungen folgt aber weiters, daß dem Urteil Feststellungsmängel nicht anhaften.
Auch aus § 1295 Abs. 2 ABGB. kann der geltend gemachte Anspruch nicht abgeleitet werden.
Es ist allerdings nicht richtig, wie das Berufungsgericht meint, daß nach österreichischem Recht Schikane nur so weit verboten wäre, als Schadenersatzpflicht daran geknüpft ist, weil sich eben ihre Rechtswidrigkeit, abgesehen davon, daß Schadenersatzpflicht kein Erkenntnisgrund der Rechtswidrigkeit ist, aus rechtslogischen Gründen ergibt. Auch jede sonst sittenwidrige Rechtsausübung ist unzulässig, weil dann stets eine Scheinrechtsausübung gegeben ist (1 Ob 342/54; entgegengesetzt allerdings SZ. XXIV 278). Eine Schikane ist aber im vorliegenden Fall nicht erwiesen. Der Beklagte war nach der für ihn geltenden Hausordnung berechtigt, in der Zeit von 7 bis 11 Uhr seine Teppiche zu klopfen; er handelte also in Ausübung des ihm durch Bestandvertrag eingeräumten Rechtes. Daß er von diesem Rechte nur in der in § 1295 Abs. 2 ABGB. vorausgesetzten schikanösen Absicht Gebrauch gemacht hat, hätten die Kläger zu beweisen gehabt. Ein solcher Beweis ist nicht gelungen. Es ist nicht hervorgekommen, daß der Beklagte seine Rechtsausübung nur zu dem Zwecke gesetzt hätte, um die Interessen der Kläger in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen. Mit Recht hat daher das Erstgericht in dem dreibis viermaligen Teppichklopfen im Jahre innerhalb der ortsüblichen Zeit und ohne unnötige Lärmentwicklung eine Sittenwidrigkeit nicht erblickt. Das Klagebegehren war daher auch aus diesem Gründe abzuweisen, wobei auf die Frage, ob ein konkreter Schaden geltend gemacht und in Form der Unterlassungsklage eine Genugtuung und damit ein Schadenersatz begehrt wurde, nicht weiter einzugehen war.
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