OGH 2Ob518/55

OGH2Ob518/5512.10.1955

SZ 28/219

Normen

ABGB §1295
Bundesstraßengesetz §11
Straßenpolizeigesetz §43
Straßenpolizeiordnung §45
ABGB §1295
Bundesstraßengesetz §11
Straßenpolizeigesetz §43
Straßenpolizeiordnung §45

 

Spruch:

Zur Instandhaltung der Straße gehört auch die nach den Straßenpolizeivorschriften vorgeschriebene Kennzeichnung und Beleuchtung von Verkehrshindernissen.

Entscheidung vom 12. Oktober 1955, 2 Ob 518/55.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Am 8. Oktober 1952 fuhr bei einbrechender Dämmerung Simon K. mit seinem Einspännerwagen in Begleitung des Anton L. auf der Bundesstraße von G. gegen L. Bei der Begegnung mit einem Lastkraftwagen fuhr er auf einen Schotterhaufen auf, der Wagen kippte um und beide Insassen wurden auf die Straße geschleudert. Während Anton L. unverletzt blieb, erlitt Simon K. einen tödlichen Schädelbasisbruch.

Die Klägerin begehrt als Witwe des Verunglückten Aufwandersatz für die Begräbniskosten und eine monatliche Rente von 300 S für 15 Jahre mit der Begründung, daß der Unfall auf die vorschriftswidrige Lagerung und mangelnde Kennzeichnung des Schotterhaufens durch die Bundesstraßenverwaltung zurückzuführen wäre.

Das Erstgericht sprach, nachdem es das Verfahren auf den Grund des Anspruches eingeschränkt hatte, mit Zwischenurteil aus daß der Anspruch der Klägerin dem Gründe nach zu Recht bestehe. Es stellte fest, daß die Bundesstraße an der Unfallstelle eine Breite von 5.20 m hat, daß der Schotterhaufen bei einer Länge von 5 m und einer Höhe von 1 m etwa 1 1/2 m weit in die Fahrbahn hineinragte und der Wagen mit seinen Hinterrädern auf die Mitte des Schotterhaufens auffuhr und dabei umfiel. Es stellte weiters fest, daß der Verunglückte nicht schnell gefahren war, daß er den Schotterhaufen infolge seiner einheitlichen Färbung mit der Straßendecke nicht sehen konnte, daß der Schotterhaufen zur Unfallszeit in keiner Weise abgesichert war und die Kennzeichen hiefür (Absperrlampen, Warntafeln und Beleuchtungsvorrichtungen) erst nach dem Unfall angeliefert wurden. Es kommt zu dem Schluß, daß der Unfall nur durch das vorschriftswidrige Ablagern und die unterbliebene Kennzeichnung des Schotterhaufens verursacht worden sei. Die beklagte Partei hatte Selbstverschulden des Verunglückten eingewendet, weil er zur Unfallszeit alkoholisiert gewesen sein solle. Das Erstgericht erklärte, keine Feststellung treffen zu können, daß Simon K. zur Unfallzeit betrunken war. Er sei den ganzen Tag unterwegs gewesen und habe dabei, verteilt auf den ganzen Tag, etwa 1 bis 1 1/2 Liter Wein getrunken. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß sich die Bundesstraßenverwaltung untüchtiger Personen zur Besorgung ihrer Angelegenheiten bedient hätte und daß sie deshalb das Verschulden ihrer Organe zu verantworten habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge und sprach aus, daß die Schadenersatzansprüche der Klägerin nur mit 3/4 zu Recht bestunden. Das Berufungsgericht lehnte die Ansicht des Erstgerichtes, daß die Beklagte nach § 1315 ABGB. für das Verschulden ihrer Organe an dem gegenständlichen Unfall einstehen müsse, ab, weil die Klägerin eine Untüchtigkeit dieser Organe gar nicht behauptet hätte und aus einem einmaligen Versagen einer Person nicht auf ihre Untüchtigkeit geschlossen werden könne. Es käme aber die Haftung der beklagten Partei nach § 11 des Bundesstraßengesetzes BGBl. Nr. 59/1948 in Betracht. Nach dieser Gesetzesstelle sei der Bund zum Schadenersatz verpflichtet, wenn Organe des Bundes die Instandhaltung der Straße grob fahrlässig vernachlässigt haben. Durch die Ablagerung des Schotterhaufens sei nicht nur die Vorschrift des § 43 Abs. 1 StPolG. verletzt worden, sondern es handle sich mit Rücksicht auf den Verkehr auf der Bundesstraße um eine grobe Fahrlässigkeit der für die Ablagerung des Schotters verantwortlichen Organe, die auch für eine entsprechende Beleuchtung bei Dunkelheit Vorsorge hätten treffen müssen. Das Berufungsgericht nahm aber auch ein Mitverschulden des Verunglückten an, der Wein getrunken hatte und daher nach allgemeiner Lebenserfahrung eine herabgesetzte Beobachtungs- und Reaktionsfähigkeit besaß, so daß zumindest die Unfallsfolgen geringer gewesen waren, wenn er im nüchternen Zustand gewesen wäre. Auch der Lenker eines Pferdefuhrwerkes müsse mit Rücksicht auf die erhöhten Gefahren des Straßenverkehres während der Fahrt nüchtern sein. Dieses Mitverschulden wurde mit 1/4 als gegeben angenommen.

Die beklagte Partei hatte im Berufungsverfahren als Mangelhaftigkeit noch geltend gemacht, daß das Erstgericht es unterlassen habe, den erhobenen Rentenanspruch der Klägerin bereits im Zwischenurteil zu behandeln. Dieser Anspruch sei nicht schlüssig begrundet worden und wäre daher abzuweisen gewesen. Das Berufungsgericht verwies demgegenüber darauf, daß sich dieser Rentenanspruch zwanglos aus der Verpflichtung des Simon K. gegenüber seiner Gattin nach § 91 ABGB. ergebe, so daß er durchaus schlüssig seine rechtliche Begründung in der Bestimmung des § 1327 ABGB. fände.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge. Er gab dagegen der Revision der Klägerin Folge und änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Als mangelhaft wird das Berufungsverfahren von der Klägerin gerügt, weil ohne Wiederholung der Beweisaufnahmen angenommen wurde, daß der Verunglückte im Zeitpunkt des Unfalles unter Alkoholeinwirkung stand, obwohl das Erstgericht eine solche Feststellung nicht getroffen habe.

Das Berufungsgericht nahm auf Grund allgemeiner Lebenserfahrung an, daß mit Rücksicht auf die vom Erstrichter festgestellte Menge des genossenen Alkohols die Beobachtungs- und Reaktionsfähigkeit des Verunglückten im Zeitpunkt des Unfalles weitestgehend herabgesetzt war. Damit hat das Berufungsgericht aber keine von den erstrichterlichen Feststellungen abweichende Feststellung getroffen. Der Schluß von der genossenen Alkoholmenge auf die mangelnde Reaktionsfähigkeit im Zeitpunkte des Unfalles auf Grund allgemeiner Lebenserfahrung gehört in das Gebiet der rechtlichen Beurteilung (vgl. SZ. VI 43). Die Mängelrüge erscheint daher unbegrundet; berechtigt ist allerdings die damit verbundene Rechtsrüge. Es entspricht keineswegs der allgemeinen Lebenserfahrung, daß nach dem Genuß von 1 bis 11/2 Liter Wein im Laufe eines ganzen Tages schon eine solche Herabsetzung der Reaktionsfähigkeit erfolgt, daß die Lenkung eines Pferdefuhrwerkes dadurch beeinträchtigt wäre. Um einen solchen Schluß gerechtfertigt erscheinen zu lassen, müßten im einzelnen Fall noch besondere Umstände hinzukommen. Im gegebenen Fall konnten Feststellungen darüber, daß der Verunglückte tatsächlich unter Alkoholeinwirkung stand, nicht getroffen werden. Es wurde weder die Qualität (Alkoholgehalt) des genossenen Weins festgestellt, noch die Zeiten, zu denen der Wein getrunken worden war. Der Zeuge L., der den ganzen Tag den Verunglückten begleitete und die gleiche Menge Wein genoß, konnte nichts über die Wirkung des genossenen Weins berichten, und es ist nach allgemeiner Lebenserfahrung eher anzunehmen, daß der Bewohner einer Weingegend, der den Genuß von Wein sein Leben lang gewöhnt ist, ein solches Quantum ohne weiteres verträgt. Aber auch eine leichte Alkoholeinwirkung würde nicht bedeuten, daß dadurch die Lenkung eines Pferdefuhrwerkes, das nicht mit großer Geschwindigkeit fährt, beeinträchtigt wird. Irgend ein fahrtechnischer Fehler konnte nicht festgestellt werden. Es geht aber nicht an, eine bloß mögliche oder auch im Bereich der Wahrscheinlichkeit liegende Alkoholeinwirkung ohne entsprechende Feststellungen tatsächlicher Art als unfallskausal anzusehen, wenn sonst keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen. Die Revision der Klägerin erwies sich daher als begrundet, so daß in Stattgebung derselben das erstrichterliche Zwischenurteil wiederherzustellen war.

Die Rechtsrüge der beklagten Partei wendet sich vor allem gegen die Unterstellung des Sachverhaltes unter die Bestimmung des § 11 des Bundesstraßengesetzes.

Der Oberste Gerichtshof stimmt aber mit dem Berufungsgericht in der Ansicht überein, daß gegebenenfalls ein Haftungsfall nach § 11 des Bundesstraßengesetzes vorliegt. Danach ist der Bund zum Schadenersatz verpflichtet, wenn bei der Tötung einer Person, die infolge des Zustandes einer Bundesstraße oder einer dazu gehörigen Anlage eingetreten ist, Organe des Bundes erwiesenermaßen die Instandhaltung der Straße vorsätzlich oder in grob fahrlässiger Weise vernachlässigt haben. Zur Instandhaltung der Straße gehört aber auch, im Gegensatz zur Ansicht der Revision, die nach den Straßenpolizeivorschriften vorgeschriebene Kennzeichnung und Beleuchtung von Verkehrshindernissen (§ 45 StPolO.). Erfahrungsgemäß ist sehr oft ein Teil der Straße in Arbeit, und es sind daher bei solchen Baustellen besondere Gefahren für den Verkehr vorhanden, weshalb auch besondere Vorschriften zur Sicherung und Kennzeichnung der Baustellen erlassen worden sind. Die Nichteinhaltung dieser Vorschriften ist eine Vernachlässigung der Instandhaltung der Straße im Sinne des § 11 des Bundesstraßengesetzes, weil es zur Instandhaltung gehört, die Straße mit allen den Vorschriften entsprechenden Einrichtungen zur Sicherung des Verkehrs zu versehen. Darin, daß der 1 1/2 m in die Fahrbahn ragende Schotterhaufen, der in der Mitte eine Höhe von 1 m hatte, überhaupt nicht gesichert und beleuchtet wurde, erblickte das Berufungsgericht mit Recht eine grob fahrlässige Handlung der mit der Durchführung dieser Arbeiten betrauten Organe der Bundesstraßenverwaltung. Die Rechtsrüge erscheint daher in dieser Hinsicht unbegrundet, die beklagte Partei hat entsprechend der Bestimmung des § 11 des Bundesstraßengesetzes für die Unfallsfolgen zu haften.

Die Rechtsrüge wendet sich auch gegen die Annahme des Berufungsgerichtes, daß der Rentenanspruch der Klägerin begrundet wäre. Der Verunglückte habe seiner Gattin bei der Bedienung der Gäste geholfen und dafür freie Verpflegung im Gasthaus der Klägerin erhalten. Es habe sich daher nicht um eine aus der Unterhaltspflicht erfließende Hilfe, sondern um einen Dienstvertrag mit Leistung und Gegenleistung gehandelt.

Grundsätzlich ist es wohl richtig, daß in einem Urteil, in dem über den Grund eines Anspruches entschieden wird, dem Gründe nach auch zu prüfen war, ob der erhobene Rentenanspruch nach § 1327 ABGB. der Klägerin zustehe, weil ein Zwischenurteil erst dann zu fällen ist, wenn alle dem Gründe des Anspruches entgegenstehenden Einwendungen erledigt worden sind (vgl. SZ. XIX 331). In der Klage wurde vorgebracht, daß der Verunglückte gemeinsam mit seiner Stieftochter in der Gastwirtschaft der Klägerin die Gäste bedient und dafür freie Verpflegung erhalten habe; weiters, daß nach seinem Tode und der Verehelichung der Stieftochter ein Kellner angestellt werden mußte, für den ein Lohnaufwand von 1300 S monatlich erforderlich sei. Für den Entgang der Mithilfe des Verunglückten in der Gastwirtschaft wurde deshalb eine Monatsrente von 300 S begehrt. Die beklagte Partei hat den Anspruch dem Gründe und der Höhe nach bestritten, ohne gegen dieses Vorbringen im einzelnen Stellung zu nehmen. Das Erstgericht hat sich mit der Frage der grundsätzlichen Berechtigung des Rentenanspruches nicht ausdrücklich auseinandergesetzt. Das Berufungsgericht hielt den Anspruch für gegeben, weil sich die Mithilfe im Gasthausbetrieb schon auf Grund der Verpflichtung des Ehegatten zur Unterhaltsleistung gegenüber der Gattin nach § 91 ABGB. ergebe, so daß der von der Klägerin für den Entgang dieser Mithilfe geltend gemachte Rentenanspruch in der Bestimmung des § 1327 ABGB. begrundet sei.

Der Oberste Gerichtshof stimmt diesen Erwägungen zu. Wenn auch in der Klage angeführt wurde, daß der Verunglückte für seine Hilfeleistung im Betriebe freie Kost bekommen habe, so ergibt sich daraus noch keineswegs, daß er diese Tätigkeit im Rahmen eines Dienstvertrages ausübte. Es muß vielmehr gerade aus der Tatsache, daß er nur die Kost bekommen hat, auf eine familienrechtliche Mitarbeit geschlossen werden, so daß alle Schlußfolgerungen der beklagten Partei, die einen Dienstvertrag im Auge hat, nicht den Grund des Anspruches berühren, sondern höchstens bei der Höhe der zu bemessenden Rente insofern in Betracht gezogen werden müssen, als sich die Klägerin auch anrechnen lassen muß, was sie sich in ihrem Gastwirtschaftsbetrieb dadurch erspart, daß sie ihren Gatten nicht mehr verköstigen muß.

Die Revision der beklagten Partei erwies sich demnach als unbegrundet.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte