OGH 1Ob457/55

OGH1Ob457/5524.8.1955

SZ 28/184

Normen

EO §1
EO §3
EO §55
ZPO §477
EO §1
EO §3
EO §55
ZPO §477

 

Spruch:

Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Exekutionsbewilligung ist der Zeitpunkt der Entscheidung maßgebend.

Wird die Exekution irrtümlich ohne Vorhandensein eines Exekutionstitels bewilligt, ist das Verfahren mangelhaft, aber nicht nichtig.

Entscheidung vom 24. August 1955, 1 Ob 457/55.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Erstgericht bewilligte mit dem Beschluß vom 16. Februar 1955 der betreibenden Partei auf Grund der noch nicht rechtskräftigen einstweiligen Verfügung vom 11. Jänner 1955 gegen den Verpflichteten zur Hereinbringung eines Unterhaltsrückstandes von 583 S und der ab 1. März 1955 fällig werdenden monatlichen Unterhaltsbeträge von 250 S die Lohnexekution.

Infolge Rekurses des Verpflichteten änderte das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß die Exekution nur zur Hereinbringung eines Unterhaltsrückstandes von 532 S und der monatlichen Unterhaltsbeträge von 228 S bewilligt und das Mehrbegehren von 51 S und monatlich 22 S abgewiesen wurde. Zur Zeit der Erlassung des erstgerichtlichen Exekutionsbewilligungsbeschlusses sei die einstweilige Verfügung vom 11. Jänner 1955 durch die Entscheidung des Rekursgerichtes vom 31. Jänner 1955 bereits dahin abgeändert gewesen, daß der dem Verpflichteten auferlegte einstweilige Unterhalt auf 228 S herabgesetzt worden sei. Die Exekution habe deshalb nur mehr im Rahmen des aufrecht gebliebenen Exekutionstitels bewilligt werden dürfen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem von der betreibenden Partei gegen den abweisenden Teil der Rekursentscheidung erhobenen Revisionsrekurs nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Oberste Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung (SZ. XXIII 106, RiZ. 1935 S. 195, RiZ. 1932 S. 88, JBl. 1933 S. 131) den Standpunkt, daß für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Exekutionsbewilligung der Zeitpunkt der Antragstellung maßgebend ist. Der Oberste Gerichtshof macht jedoch entgegen der Meinung des Rechtsmittelwerbers zwischen dem Zeitpunkt des Einlangens des Exekutionsantrages bei Gericht und dem der Entscheidung des Gerichtes keinen Unterschied, sondern zählt beide zum Zeitpunkt der Antragstellung im weiteren Sinn. Dies geht mit einiger Deutlichkeit aus SZ. XXIII 106 und besonders aus RiZ. 1935 S. 195 hervor. Der Grundsatz des Prozeßverfahrens, daß Entscheidungen zu fällen sind, die der jeweiligen Rechtslage entsprechen sollen, erfordert, daß der Richter im allgemeinen befugt ist, bei seiner Beschlußfassung alle Umstände zu berücksichtigen, die bis dahin eingetreten sind. Ausnahmen normieren die Gesetze ausdrücklich (z. B. Schluß der Verhandlung im streitigen Verfahren: § 193 ZPO.; Einlangen von Grundbuchsgesuchen: § 93 GBG. 1955, und andere). Der im § 3 Abs. 2 EO. enthaltene Grundsatz der Einseitigkeit der Exekutionsbewilligung (ohne vorhergehende mündliche Verhandlung und ohne Einvernehmung des Verpflichteten) besagt nur, daß auf Einwendungen der Gegenpartei keine Rücksicht zu nehmen ist, nicht aber, daß die Entscheidungsgrundlage auf einen vom Zeitpunkt der Beschlußfassung abweichenden Termin abgestellt werden müßte.

Im vorliegenden Fall mußte die betreibende Gläubigerin, die den Exekutionsantrag noch vor dem Eintritt der Rechtskraft der einstweiligen Verfügung gestellt hatte, damit rechnen, daß diese im Instanzenzug abgeändert werden könnte. Dies ist mit der Rekursentscheidung vom 31. Jänner 1955 auch geschehen. Mit dieser Entscheidung wurde die Rechtslage, auf den Zeitpunkt der vom Erstgericht erlassenen einstweiligen Verfügung zurückbezogen, dahin geändert, daß die betreibende Gläubigerin nur mehr auf einen Teil des Unterhalts Anspruch hatte. An die Rekursentscheidung, die am 12. Februar 1955, also vor der Erlassung der erstgerichtlichen Exekutionsbewilligung vom 16. Februar 1955, beim Erstgericht eingelangt war, war dieses sogleich gebunden, und es mußte sie bei seiner Entscheidung berücksichtigen. Es hätte also die Exekution nur im eingeschränkten Ausmaß, wie dies dann vom Rekursgericht in der jetzt angefochtenen Entscheidung geschehen ist, bewilligt werden dürfen. Der von der Rechtsmittelwerberin erhobene Einwand, die Rekursentscheidung vom 31. Jänner 1955 sei ihr erst am 17. Februar 1955, also nach der Exekutionsbewilligung vom 16. Februar 1955, zugestellt worden, weshalb sie ihr gegenüber erst am 17. Februar 1955 wirksam geworden sei (vgl. § 416 ZPO.), ist nicht berechtigt. Denn auf die Wirksamkeit gegenüber den Parteien und deren Kenntnis von der Rekursentscheidung (vgl. RiZ. 1935 S. 195) kam es bei dieser Entscheidung nicht an. Übrigens ist die erstgerichtliche Exekutionsbewilligung der betreibenden Gläubigerin erst zu einem Zeitpunkt zugestellt worden (21. Februar 1955), als sie die Rekursentscheidung bereits in Händen hatte (17. Februar 1955).

Den Ausführungen des Revisionsrekurses kann auch darin nicht beigepflichtet werden, daß das Rekursgericht die zum Teil ohne Exekutionstitel erlassene Exekutionsbewilligung des Erstgerichtes in diesem Umfang hätte für nichtig erklären und aussprechen sollen, daß die verpflichtete Partei nach § 51 Abs. 3 ZPO., 78 EO. die Rekurskosten selbst tragen müsse. Der Oberste Gerichtshof hat allerdings in seinen Entscheidungen ZBl. 1928 Nr. 23 und SZ. XXIII 106 entgegen der im SpR. 185 = GlUNF. 3061 implicite geäußerten Stellungnahme die Meinung vertreten, daß Nichtigkeit vorliege, wenn die Exekution trotz Fehlens eines Exekutionstitels bewilligt werde. Diese Ansicht, die freilich ohne nähere Begründung und gewissermaßen nebenbei dargelegt wurde, kann bei genauerer Prüfung nicht aufrecht erhalten werden. Im Exekutionsverfahren gibt es nämlich keine anderen Nichtigkeitsgrunde, als sie für das Prozeßverfahren überhaupt bestehen, und es muß in jedem Falle geprüft werden, ob der aufgetretene Verfahrensmangel so schwerwiegend ist, daß er einer der im § 477 ZPO. angeführten Nichtigkeiten zugezählt werden kann. Das Vorhandensein eines Exekutionstitels ist eine Voraussetzung des Vollstreckungsanspruchs der betreibenden Partei. Dabei kommt es nicht auf den materiellrechtlichen Bestand des zugrunde liegenden Anspruchs, sondern nur darauf an, daß über den Anspruch eine Entscheidung ergangen ist, die den Anspruch als bestehend erkennt. Das Fehlen dieser prozessualen Voraussetzung kann jedoch - so schwerwiegend es auch sein mag - zu keinem der im §§ 477 ZPO. angeführten Nichtigkeitsgrunde gezählt und auch nicht als besonderer, über diese Gesetzesstelle hinausgehender Nichtigkeitsgrund angesehen werden. So wie ein Urteil nicht deshalb nichtig ist, weil der zugrunde liegenden Anspruch vom Richter zu Unrecht als bestehend angesehen wurde, ist auch eine Exekutionsbewilligung nicht mit Nichtigkeit behaftet, weil der Richter irrtümlich angenommen hat, es liege ein Exekutionstitel vor. Gewiß ist das Argument Petscheks in ZBl. 1928 S. 68, daß mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 39 Abs. 2 EO. die Einstellung der Exekution nach § 39 Abs. 1 Z. 1 EO. (Aufhebung des Exekutionstitels) nur auf Antrag möglich sei und daher keine von Amts wegen aufgreifbare Nichtigkeit vorliege, nicht überzeugend, denn § 39 Abs. 1 Z. 1 EO. hat ja nur den Fall im Auge, daß es nach der Exekutionsbewilligung zur Aufhebung des Exekutionstitels kommt. Diese Regelung besagt nichts zur Frage, wie es steht, wenn der Exekutionstitel schon zur Zeit der Exekutionsbewilligung gefehlt hat.

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