OGH 2Ob378/55

OGH2Ob378/5527.7.1955

SZ 28/181

Normen

ABGB §1438
ZPO §391 Abs3
ZPO §411
ABGB §1438
ZPO §391 Abs3
ZPO §411

 

Spruch:

Wenn ein Aufrechnungsvertrag behauptet wird, finden die Vorschriften der §§ 1438 ff. ABGB. keine Anwendung.

Keine unterschiedliche Behandlung der vorprozessualen und der prozessualen Aufrechnung.

Entscheidung vom 27. Juli 1955, 2 Ob 378/55.

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Der Kläger hat vom Beklagten die Rückzahlung eines Betrages von 50.000 S begehrt, den er ihm in verschiedenen Teilbeträgen gegeben haben will. Der Beklagte hat in der Klagebeantwortung wohl zugegeben, insgesamt 45.000 S vom Kläger zur Verfügung gestellt erhalten zu haben, er hat aber zugleich eingewendet, daß der Kläger keine Forderungen zu stellen habe. Beklagter habe dem Kläger Holz verkauft. Der Kläger habe seine Forderungen gegen den Beklagten im Verrechnungswege gedeckt. Es sei noch ein bedeutendes Guthaben des Beklagten verblieben. Seiner Einwendung ließ der Beklagte in der Klagebeantwortung eine Aufstellung der beiderseitigen Leistungen folgen. Er behauptete, daß er aus den Holzlieferungen, für Heulieferungen und für Traktorenarbeiten insgesamt 128.660 S zu fordern habe, während der Kläger die 45.000 S, die er dem Beklagten zur Verfügung gestellt habe, und zwei Akontozahlungen im Betrage von zusammen 76.000 S, die er für das Holz gegeben habe, zu fordern hätte.

In der Verhandlung vom 19. November 1954 beantragte der Kläger die Erlassung eines Teilurteiles "bezüglich des vom Beklagten anerkannten Betrages von 45.000 S". Der Beklagte beantragte Abweisung dieses Antrages, weil er "Gegenforderungen geltend gemacht habe und diese den Klagsbetrag überschreiten".

Das Erstgericht hat - nicht in der Verhandlung vom 19. November 1954 und ohne die Verhandlung bezüglich des Teilbetrages von 45.000 S geschlossen zu haben - das Teilurteil vom 25. November 1954 erlassen, mit welchem der Beklagte zur Zahlung des Betrages von 45.000 S samt 4% Zinsen seit 30. August 1954 verurteilt, die Kostenentscheidung aber dem Endurteile vorbehalten wurde. Es nahm Bezug auf die Erklärungen der Parteien in der Verhandlung vom 19. November 1954, erblickte in der Erklärung des Beklagten, wie sie in der Klagebeantwortung abgegeben worden war, das Zugeständnis, die Darlehensvaluta empfangen zu haben, und darin die ausreichende Grundlage für die Annahme des aufrechten Bestandes der Klagsforderung, fand die beiderseitigen Ansprüche nicht konnex und daher die Voraussetzungen des § 391 Abs. 3 ZPO. für die Erlassung eines Teilurteils gegeben.

Das Berufungsgericht hat das Teilurteil bestätigt und die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens der Endentscheidung vorbehalten. Den Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs. 1 Z. 9 ZPO. fand es nicht gegeben. Das erstgerichtliche Urteil sei hinlänglich begrundet. Daß das Erstgericht das Teilurteil nicht in der Verhandlung, ja auch ohne die Verhandlung diesbezüglich zu schließen, gefällt habe, bedeute wohl einen Verfahrensverstoß, der aber nicht wesentlich und nicht unter dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht worden sei. Im übrigen sei das Erstgericht richtig davon ausgegangen, daß der Beklagte nicht Schuldtilgung durch Aufrechnung vor der Streitanhängigkeit eingewendet, sondern die Einrede der Kompensation erhoben, also prozessuale Aufrechnung geltend gemacht habe. Das ergebe sich schon aus der Gegenüberstellung der beiderseitigen Leistungen in der Klagebeantwortung, stehe aber außer Zweifel, wenn die Erklärungen in der Verhandlung vom 19. November 1954 beachtet würden.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge, hob die Urteile beider Unterinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rechtsrüge ist begrundet. Für die Entscheidung ist zunächst davon auszugehen, daß in den Erklärungen des Beklagten kein Anerkenntnis gelegen ist. Tatsächlich stützen weder das Erstgericht noch das Berufungsgericht darauf ihre Entscheidung. Beide Gerichte meinen, daß sich der Bestand der Klagsforderung aus dem Zugeständnisse des Beklagten ergebe, 45.000 S als Darlehen zugezählt erhalten zu haben. Da er der Klagsforderung erst im Prozesse Gegenforderungen aufrechnungsweise entgegensetze, könne gemäß der ausdrücklichen Bestimmung des Gesetzes (§ 391 Abs. 3 ZPO.) über den Bestand der Klagsforderung und über die Verpflichtung des Beklagten zur Rückzahlung abgesprochen werden, ohne daß es vorerst der Feststellung des Bestandes der Gegenforderungen bedürfe. Das Berufungsgericht läßt allerdings auch erkennen, daß es der Auffassung ist, es mache einen Unterschied aus, ob der Beklagte Tilgung der Schuld durch Kompensation vor Streitanhängigkeit behaupte oder erst im Prozesse den Bestand von Gegenforderungen aufrechnungsweise einwende.

Dieser Auffassung vermag der Oberste Gerichtshof nicht beizutreten. Durch das Zusammentreffen von Schuld und Gegenforderung wird die Schuld ipso iure getilgt (3 Ob 782/54), doch bedarf es einer Berufung auf die erfolgte Tilgung. Hier kann es nun nicht darauf ankommen, ob die Berufung auf die Aufrechnung vor Streitanhängigkeit oder erst nachher erfolgte. Die Aufrechnung wirkt auf den Zeitpunkt zurück, in welchem sich die Forderungen aufrechenbar gegenüberstanden. Immer ist Gegenstand der Prüfung nur, ob die Gegenforderung je bestanden hat oder spätestens im Zeitpunkte der Entscheidung über die Einrede besteht, und ob so die Klagsforderung durch Aufrechnung getilgt ist. Die Frage nach dem Bestande der Gegenforderung ist die Vorfrage für die Lösung der Hauptfrage, ob die Schuld durch Aufrechnung getilgt ist (3 Ob 782/54). Aus § 411 Abs. 1 Satz 2 ZPO. kann gleichfalls nichts für die unterschiedliche Behandlung der vorprozessualen und der prozessualen Aufrechnung gewonnen werden. Wenn im Prozesse behauptet wird, daß vor der Streitanhängigkeit bereits die Aufrechnung erfolgt, die Schuld also durch Aufrechnung getilgt sei, bedeutet dies nichts anderes als die Geltendmachung des Rechtsschutzanspruches, daß das Gericht prüfe und gemäß § 411 ZPO. mit Rechtskraftwirkung entscheide, ob und bis zu welcher Höhe die Gegenforderung zu Recht bestand und die Tilgung der Schuld herbeiführte. Darin liegt nur die Wiederholung der Geltendmachung der Aufrechnung im Prozesse, somit nichts anderes als die Erhebung der prozessualen Aufrechnungseinrede. Es kann nicht darauf ankommen, in welcher Form sie erhoben wird (2 Ob 69/55). Auch wenn also der Beklagte mit seinem Vorbringen im ersten Rechtsgange behauptet hätte, daß er vor Streitanhängigkeit sich auf die Aufrechnung berufen habe, wäre von den Gerichten erster und zweiter Instanz gemäß § 391 Abs. 3 ZPO. vorzugehen gewesen. Eine Unbilligkeit liegt darin nicht. Das Gesetz will den Fortgang des über die Klage eingeleiteten Prozesses durch die Verhandlung über die Gegenforderung nicht aufgehalten wissen, und zwar gleichgültig ob es sich um eine strittige Gegenforderung handelt, deren Aufrechenbarkeit schon vor dem Prozesse oder erst im Prozesse geltend gemacht worden ist.

Anders liegt die Sache aber dann, wenn, wie im Gegenstande, behauptet wird, daß die Streitteile gegenseitig verrechnet hätten, sich also vertraglich über Bestand und Nichtbestand der gegenseitigen Forderungen geeinigt hätten. Hier wird nicht eine Kompensationseinrede erhoben, sondern behauptet, daß durch einen Vertrag (Aufrechnungsvertrag) die Klagsforderung zum Erlöschen gebracht wurde. Bei einem solchen Vertrage finden die Bestimmungen der §§ 1438 ff. ABGB. über die Aufrechnung keine Anwendung; das Gericht hat grundsätzlich zu prüfen, ob und inwieweit durch den Aufrechnungsvertrag die Klagsforderung getilgt wurde. Mit dieser Frage haben sich die Untergerichte, ausgehend von einer unrichtigen Auslegung der Erklärungen des Beklagten in der Klagebeantwortung - und nur diese kommen in Betracht, nicht die Erklärungen in der Verhandlung vom 19. November 1954, die nur auf frühere Einwendungen verweisen -, bisher nicht befaßt.

Das Verfahren ist infolge der unrichtigen Rechtsansicht der Untergerichte mangelhaft geblieben. Der Revision war aus diesen Gründen Folge zu geben und die Sache unter Aufhebung der beiden untergerichtlichen Urteile an das Prozeßgericht erster Instanz zurückzuverweisen (§ 510 Abs. 1 ZPO.).

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