OGH 1Ob352/55 (1Ob351/55)

OGH1Ob352/55 (1Ob351/55)22.6.1955

SZ 28/166

Normen

HGB §354
HGB §354

 

Spruch:

Zum Begriff des Vorschusses nach § 354 Abs. 2 HGB.

Entscheidung vom 22. Juni 1955, 1 Ob 351, 352/55.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Die klagende Partei bringt im wesentlichen vor, daß sie im Herbst 1949 mit der Beklagten und der F. und K.-Ges. m. b. H. ein Kompensationsgeschäft abgeschlossen habe, wonach die Klägerin der F. und K.-Ges. m. b. H. 270 t Kaffee, die Beklagte der Klägerin 1800 t Rotationspapier von bestimmter Beschaffenheit zu liefern gehabt habe. Das Geschäft sei von der Außenhandelskommission genehmigt worden; es sei von allen Teilen nur teilweise abgewickelt gewesen, als ein Handelsvertrag zwischen Österreich und Brasilien die Abwicklung derartiger Geschäfte im Kompensationsverkehr unterbunden habe. In diesem Zeitpunkt habe die Klägerin der Firma F. und K.-Ges. m. b. H. mehr Kaffee geliefert gehabt, als den Lieferungen der Beklagten entsprochen habe, und habe eine "Spitze" zugunsten der Klägerin im Betrag von 609.234 S 10 g bestanden. Diesen Betrag habe die Firma F. und K.-Ges. m. b. H. im Auftrag der Klägerin an die Beklagte überwiesen. Die Außenhandelskommission habe nämlich der Beklagten die Genehmigung zum Export einer zur Durchführung des Spitzenausgleiches heranreichenden Menge an Rotationspapier erteilt, so daß es der Beklagten möglich gewesen wäre, ihre Lieferverpflichtung gegenüber der Klägerin zu erfüllen. Die Beklagte habe jedoch diese Exportgenehmigung nicht zu diesem Zwecke, sondern für andere Exporte ausgenützt. Ein neuerliches Ansuchen der Beklagten um Erteilung einer Exportbewilligung zur Durchführung des Spitzenausgleiches sei abgelehnt worden. Die Beklagte habe die Unmöglichkeit der Erfüllung ihrer Lieferverpflichtung gegenüber der Klägerin selbst verschuldet und sei daher schadenersatzpflichtig.

Gestützt auf dieses Vorbringen verlangt die klagende Partei in der Klage insgesamt 744.196 S 76 g, die sich zusammensetzen aus dem der beklagten Partei überwiesenen Betrag von 609.234 S 10 g abzüglich eines hier nicht in Betracht kommenden Betrages von 102.144 S, also 507.090 S 10 g, zuzüglich des Ersatzes eines Schadens von 237.106 S 66 g, der der klagenden Partei durch die Unterlassung der Lieferung entstanden sei. Der Gesamtbetrag von 744.196 S 76 g sei mit 5% seit dem Klagstage (22. August 1953) zu verzinsen.

Bei der Verhandlung vom 10. Dezember 1954 schränkte die klagende Partei infolge Zahlung von 383.745 S 70 g am 3. Dezember 1954 den Betrag von 507.090 S 10 g ein auf 123.344 S 20 g (richtig berechnet 123.344 S 40 g). An Stelle des Betrages von 237.106 S 66 g forderte die klagende Partei nunmehr "5% Zinsen aus 507.090 S 10 g vom 20. Juli 1951 bis 3. Dezember 1954 und aus 123.344 S 20 g seit 4. Dezember 1954". Dies macht bis zum Klagstage 52.810 S. Das eingeschränkte Klagebegehren lautet daher dem begehrten Betrage nach auf 176.154 S 20 g samt 5% Zinsen aus 559.909 S 90 g seit dem Tage der Klagebehändigung, das ist der 27. August 1953, bis 3. Dezember 1954 und aus 176.154 S 20 g seit 4. Dezember 1954.

Die beklagte Partei gibt zu, 609.234 S 10 g erhalten zu haben, wovon sie die von der Klägerin ohnedies bereits abgezogenen 102.144 S weitergegeben habe, so daß 507.090 S 10 g und nach der Zahlung von 383.745 S 70 g am 3. Dezember 1954 123.344 S 20 g offenstehen. Die vollständige Lieferung sei nicht möglich gewesen, weil die Klägerin bis zum Ablauf der Exportgenehmigung nicht voll abgerufen habe. Mit 26. Februar 1954 sei zufolge der Auskunft der Zentralstelle für Aus- und Einfuhr vom 27. Februar 1954 Unmöglichkeit der Leistung eingetreten. Die beklagte Partei anerkenne daher den Zinsenanspruch nur ab diesem Tage. Ferner wendet die beklagte Partei eine Gegenforderung von 123.344 S 20 g zur Aufrechnung ein; hiebei handle es sich um ein "Zahlungsversprechen bzw. eine Haftungserklärung", welche die Klägerin der Beklagten gegenüber für einen allfälligen Ausfall aus einem mit einem Kunden der klagenden Partei, der unbestrittenermaßen in Konkurs verfallenen Firma P. & Co., getätigten Geschäft abgegeben habe.

Das Erstgericht erkannte gemäß dem eingeschränkten und abgeänderten Klagebegehren und sprach aus, daß die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe. In den Gründen ist im wesentlichen ausgeführt:

Es könne bei der Kaufmannsqualität der Beklagten, die nach § 353 HGB. zur Verrechnung von Zinsen verpflichtet sei, als ungeprüft hingenommen werden, daß sie aus der Vorleistung der klagenden Partei Nutzen gezogen habe und den Kapitalswert der Vorleistung der Klägerin nicht ungenützt habe liegen lassen. Da andererseits die Klägerin durch die Vorleistung um die Möglichkeit gekommen sei, den Gegenwert hiefür fruchtbringend zu verwerten, würde der Klägerin ein Schaden entstehen, der der Beklagten als Nutzen in Händen verbliebe. Nach § 1447 ABGB. habe auch der Schuldner, der einem redlichen Besitzer gleicht, das, was er zur Erfüllung der Verbindlichkeit erhalten hat, so zu vergüten, daß er aus dem Schaden des anderen keinen Gewinn zieht. Es brauche daher nicht die Frage des Verschuldens der Beklagten an der Nichterfüllung ihrer Lieferverpflichtungen geprüft zu werden. Der Berechtigung und Höhe nach seien die verlangten Zinsen unbestritten.

Hinsichtlich der Gegenforderung sei die von der beklagten Partei behauptete Übernahme der Haftung für einen Ausfall bei der Firma P. & Co. nicht erweislich.

Der Berufung der beklagten Partei gab das Berufungsgericht teilweise Folge und entschied, "das angefochtene Urteil a) bleibt, soweit es die beklagte Partei zur Zahlung von 5% Zinsen aus 383.745 S 70 g vom 26. Februar 1954 bis 3. Dezember 1954 an die klagende Partei schuldig erkennt, als nicht in Beschwerde gezogen unberührt; b) wird, soweit es die beklagte Partei zur Zahlung von 123.344 S 20 g samt 5% Zinsen seit 22. August 1953 und von 5% Zinsen aus 383.745 S 70 g vom 22. August1953 bis 25. Februar 1954 an die Klägerin verpflichtet, bestätigt; c) wird, soweit es außerdem die beklagte Partei zur Zahlung von 52.810 S samt 5% Zinsen seit 27. August 1954 abzüglich von 5% Zinsen aus 559.909 S 90 g vom 22. August 1953 bis 26. August 1953 schuldig erkennt, aufgehoben: in diesem Umfang wird die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht zurückverwiesen, welches das Verfahren erst nach Eintritt der Rechtskraft der Aufhebungsentscheidung fortzusetzen haben wird; d) das Ersturteil wird, soweit es die aufrechnungsweise geltend gemachte Gegenforderung von 123.344 S 20 g als nicht zu Recht bestehend erkennt, bestätigt."

Hinsichtlich des Zinsenbegehrens sei die Frage strittig geblieben, wer an der Unmöglichkeit der Leistung der Beklagten das Verschulden trage. Diese Frage habe das Erstgericht mit Recht ungeprüft gelassen; es habe auch nicht zu untersuchen gebraucht, wie hoch der Vorteil der Beklagten oder der Nachteil der Klägerin infolge Unterbleibens der Erfüllung der Lieferungsverpflichtung gewesen sei. Es könne auch auf sich beruhen, wann die Unmöglichkeit der Leistung eingetreten und ob § 1447 ABGB. hier anzuwenden sei. Das Berufungsgericht teile die Ansicht der Klägerin, daß jedenfalls die Bestimmung des § 354 HGB. den geltend gemachten Zinsenanspruch dem Gründe nach rechtfertige: diese Vorschrift sei nicht eng auszulegen. Dies gelte besonders dann, wenn gegebenenfalls der aus § 354 HGB. Leistungspflichtige selbst Kaufmann sei. Nach dem Wortlaut des Gesetzes habe nicht der Kaufmann schlechthin Anspruch auf Verzinsung der im § 354 Abs. 2 HGB. erwähnten Aufwendungen, sondern nur der Kaufmann, der einem anderen Geschäfte besorge oder Dienste leiste. Nun könnte es fraglich sein, ob der Käufer, der den Kaufpreis vorleistet, einem anderen Geschäfte besorgt oder Dienste leistet; denn er erfülle ja seine eigene Verpflichtung. Der Zweck der Bestimmung erfordere jedoch die Anwendung der zitierten Vorschrift auch auf Fälle dieser Art. Ob die Gegenleistung etwa infolge Verschuldens des Käufers nicht erbracht werde und der Lieferant den "Vorschuß" nicht behalten könnte, sei belanglos, selbst wenn die die Auflösung des Vertrages bewirkende Unmöglichkeit der Erfüllung seitens des Lieferanten durch den Abnahmeverzug des Käufers verschuldet verursacht worden sei. Die Beklagte hätte die ihr gemäß § 373 HGB. zustehenden Befugnisse ausüben können. Sie habe aber nicht das Recht, die Kaufpreisanzahlung zu behalten, und zwar lege non distinguente auch dann, wenn das Geschäft schließlich durch das Verhalten der Gegenseite vereitelt worden sei, und ohne Rücksicht darauf, was der Anlaß zur Vorleistung des Kaufpreises gewesen sei.

Hinsichtlich der Gegenforderung sei die Beweiswürdigung des Erstgerichtes durch die Berufungsausführungen nicht erschüttert. Ein Rechtsgrund dafür, daß die Klägerin für Verbindlichkeiten der Firma P. & Co. hafte, sei nicht erweislich. Die Ausführungen der Berufung über den Nachlaß von 4000 Dollar, welchen die Beklagte der Firma H., K. B. Co., gewährt habe, seien durch Parteienvorbringen in erster Instanz nicht gedeckt und als Neuerungen unbeachtlich.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision und dem Rekurse der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zum Rekurs:

Im Rahmen des Zinsenbegehrens hat das Berufungsgericht das Ersturteil bloß deswegen aufgehoben, damit der Anfangstermin des Zinsenlaufes festgestellt werde. Die beklagte Partei will aber, von der Rechtsmeinung ausgehend, daß sie nur bei Verschulden zur Zinsenzahlung verpflichtet sei, erreichen, daß festgestellt werden soll, daß sie kein Verschulden an dem Unterbleiben der Lieferung treffe.

Gegen die Zulässigkeit des Rekurses bestehen keine Bedenken, weil im Falle der Aufhebung eines Urteils unter Rechtskraftvorbehalt den Parteien der Rekurs an den Obersten Gerichtshof auch dann zusteht, wenn sie die Aufhebung selbst nicht bekämpfen, wohl aber die dem Erstgericht erteilten Aufträge und Bedingungen, obwohl diese sich nur aus der Begründung ergeben (DREvBl. 1941 Nr. 143).

Daß dem Berufungsgericht eine wesentliche Mangelhaftigkeit unterlaufen wäre, weil die klagende Partei in erster Instanz bloß den Titel des Schadenersatzes geltend gemacht und nicht vorgebracht habe, daß sie Verwendungszinsen begehre, was die beklagte Partei gehindert habe, Abwehrbehauptungen insbesondere in der Richtung aufzustellen, daß es handelsüblich sei, Vorauszahlungen nicht zu verzinsen, trifft nicht zu. Die klagende Partei hat, wie ihr geändertes Begehren ergibt, Zinsen schlechthin verlangt, und bloß die Beklagte hat dem entgegengesetzt, daß sie kein Verschulden treffe, und sich damit auf das Gebiet des Schadenersatzes beschränkt. Wenn diese von der beklagten Partei erhobene Einwendung unzureichend ist, so muß dies zu ihrer Verurteilung führen und wäre es ihre Sache gewesen, ausreichende Einwendungen auch in der Richtung zu erheben, daß die begehrten Zinsen als Verwendungszinsen nicht zustehen.

Zu der in materiellrechtlicher Beziehung entscheidenden Frage, ob sich der Zinsenanspruch ohne weiteres aus § 354 Abs. 2 HGB. ergebe, hat der Oberste Gerichtshof folgendes erwogen:

§ 354 Abs. 2 HGB. bestimmt, wie schon früher Artikel 290 Abs. 2 AHGB., daß der Kaufmann "für Darlehen, Vorschüsse, Auslagen und andere Verwendungen" vom Tage der Leistung an Zinsen berechnen kann. Daß die Vorschrift des § 354 Abs. 2 HGB. von jener des Abs. 1 unabhängig ist, sich also auf alle Kaufleute bezieht und nicht nur auf solche, die Geschäfte besorgen oder Dienste leisten, ist herrschende Auffassung (Düringer - Hachenburg - Werner, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. IV S. 622 Anm. 10 Z. 1; Baumbach - Duden, HGB., 10. Aufl. S. 577 Anm. 3; Schumann, Handelsrecht, II S. 39). Dagegen ist die Frage bestritten, was unter Vorschuß im Sinne dieser Bestimmung zu verstehen sei. In Österreich liegt hiezu bisher eine Rechtsprechung nicht vor. Die deutsche Rechtsprechung - insbesondere jene des Reichsgerichtes - geht dahin, daß unter Vorschuß auch Vorauszahlungen jeder Art begriffen werden (JW. 1886 S. 249; JW. 1912 S. 685; OLG. Hamburg in der Hanseatischen Rechts- und Gerichtszeitschrift 1930 S. 259 f. und S. 266). Im Schrifttum kann nach Pollitzer, Österreichisches Handelsrecht, S. 473, Vorschuß zum Beispiel den Vorschuß des Verkaufskommissärs, überhaupt eine antizipierte Erfüllung, bedeuten. Die Bearbeiter des Staubschen Kommentars zum Handelsgesetzbuch, u. zw. Könige (9. Aufl. § 354 Anm. 10), Gadow (14. Aufl. § 354 Anm. 10) und Pisko (2. Aufl. für Österreich, Art 290 Anm. 4) verstehen unter Vorschüssen auch Vorausleistungen auf zu erfüllende Verträge, z. B. dann, wenn der Besteller dem Lieferanten den Preis ganz oder teilweise zahlt. Hievon weicht allerdings Löbl in der 3. Aufl. für Österreich (Art. 290 § 4) dahin ab, daß unter Vorschüssen "wohl richtigerweise nicht Vorausleistungen auf zu erfüllende Verträge zu verstehen (seien), sondern Geldaufwendungen, für die der Leistende dadurch gedeckt ist, daß er später Forderungen des Empfängers für dessen Rechnung von einem Dritten einziehen und sich aus ihnen bezahlt machen soll". Eine eigene Begründung wird hiezu nicht gegeben, sondern auf Schey, die Obligationsverhältnisse, S. 49, verwiesen, der sich zwar mit dem Begriff des Vorschusses auseinandersetzt, nicht aber dazu äußert, in welchem Sinne er Art. 290 AHGB. verstehe. Des weiteren werden Düringer - Machenburg - Werner, HGB. 3. Aufl. IV S. 622 Anm. 10, zitiert, die in der Tat den Begriff des Vorschusses "enger" fassen, an §§ 410, 440 HGB. anknüpfen und darunter nur die Vorleistung verstehen wollen, aber nicht die Erfüllung einer Verbindlichkeit des Zahlenden selbst, sondern eines Dritten, der dem Empfänger schulden wird oder schuldet. Neuestens treten für eine weitere Fassung des Vorschußbegriffes unter Einbeziehung von Vorauszahlungen des Käufers Würdinger im Reichsgerichtsrätekommentar zum HGB., 2. Aufl. III § 354 Anm. 10, und auch Baumbach - Duden, HGB., 10. Aufl. S. 577 Anm. 3, ein, während Gessler - Hefermehl, HGB., 2. Aufl. II S. 1102 Anm. 17, ihn auf "Vorschüsse darlehensähnlichen Charakters" (ähnlich auch schon Ritter, Kommentar zum HGB., 2. Aufl. § 354 Anm. 4 b) beschränken wollen.

Dem Handelsgesetzbuch selbst läßt sich eine Umschreibung des in § 354 verwendeten Begriffes "Vorschuß" nicht entnehmen; es muß vielmehr auch hier auf den allgemeinen Sprachgebrauch zurückgegriffen werden. Nach diesem können unter Vorschuß zwanglos alle Vorausleistungen, auch Vorauszahlungen bei Verträgen, verstanden werden (vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch: Ein Vorschuß ist ein Geldbetrag, der jemandem vorausbezahlt wird, obgleich er erst später einen Anspruch darauf hat, oder ein Darlehen). Aus den Sonderbestimmungen der §§ 410, 440 HGB. kann eine Einschränkung des in § 354 verwendeten Vorschußbegriffes nicht entnommen werden, weil diese Bestimmung über das Speditions- und Frachtrecht hinausgreift. Für eine weitere Auslegung spricht auch, daß die Vorschrift des § 354 HGB. den Ausfluß eines allgemeinen Grundsatzes, nämlich des das Handelsrecht überhaupt beherrschenden Entgeltlichkeitsgedankens, darstellt. Schon diese Überlegungen führen dazu, der Auffassung der Rechtsprechung und des älteren Schrifttums, die von Würdinger und Baumbach - Duden festgehalten werden, den Vorzug zu geben und auch Kaufpreisvorauszahlungen als Vorschüsse im Sinne des § 354 HGB. aufzufassen. Dabei darf nicht das Mißverständnis unterlaufen, daß solche Vorauszahlungen unter allen Umständen, insbesondere auch dann, wenn es zur normalen Abwicklung des Kaufvertrages kommt, zu verzinsen seien. Es mag durchaus sein, daß die Absicht der Kaufvertragsparteien und der Sinn und Zweck des Geschäftes dahin gehen, die Ware um den vorausbezahlten Kaufpreis zu liefern, wie etwa umgekehrt in anderen Fällen die Ware nach Stundung des Kaufpreises geliefert wird, ohne daß Zinsen verlangt werden. Hier wird alles auf die Umstände des einzelnen Falles und die Verkehrssitte ankommen. Ganz anders liegt aber der Fall, wenn nicht geliefert wird, weil hier die Kapitalnutzung vom Verkäufer für die Zeit, in der er über die Vorauszahlung verfügte, dann durch die Warenlieferung nicht mit abgegolten werden kann. Hier greift der Zinsenanspruch nach § 354 Abs. 2 HGB. ein. Der Zinsenanspruch des Käufers ergibt sich in diesem Falle aber auch schon aus einer sinngemäßen Auslegung des § 353 HGB. Die Rechtsgrundlage für die Rückforderung der Vorauszahlung bei unterbliebener Lieferung liegt darin, daß der Rechtsgrund, die Vorauszahlung zu behalten, weggefallen ist (§ 1435 ABGB.). Mit diesem Wegfall des Rechtsgrundes ist aber auch nachträglich klar geworden, daß während der Zeit, in der der Verkäufer die Vorauszahlung in Händen hatte, ein rechtlicher und vor allem auch ein wirtschaftlicher Grund für diese Kapitalnutzung nicht bestand. Wäre dieser Sachverhalt - das Unterbleiben der Lieferung - von Anfang an klar gewesen, so hätte der Käufer die Vorauszahlung nicht geleistet oder sofort zurückverlangt, so daß, weil dies eben nicht geschehen konnte, Zinsen schon seit der Leistung der Vorauszahlung auch unter diesem Gesichtspunkt gebühren. Ob den Käufer ein Verschulden an dem Unterbleiben der Lieferung durch den Verkäufer - wie hier behauptet, infolge Unterlassung der Spezifikation - trifft, ist unerheblich. Für diesen Fall steht es dem Verkäufer frei, die aus Verzug und Verschulden des Käufers entspringenden Rechte geltend zu machen, nicht aber ist eine Rechtsgrundlage dafür erkennbar, daß der Verkäufer über diese Rechte hinaus auch eine allenfalls gegebene Vorauszahlung kostenlos, das heißt ohne Zinsenzahlung, bis zur Rückzahlung benützen dürfte. Es mag sein, daß dem Verkäufer die Möglichkeit zustunde, gegen den Zinsenanspruch des Käufers hinsichtlich des Vorschusses Schadenersatzforderungen aufzurechnen. Dies ist aber im vorliegenden Fall nicht geschehen, vielmehr ist nur das Bestehen des Zinsenanspruches bestritten worden.

Da somit dem Käufer bei unterbliebener Lieferung die Verzinsung der ihm zurückzugewährenden Vorauszahlungen gemäß §§ 353, 354 HGB. seit ihrer Leistung gebührt, ist die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteiles durch das Berufungsgericht zwecks Feststellung des Zeitpunktes dieser Leistung gerechtfertigt.

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