OGH 1Ob607/54

OGH1Ob607/5422.6.1955

SZ 28/164

Normen

ABGB §830
ABGB §830

 

Spruch:

Zur Frage der Unzeit (§ 830 ABGB.) bei Bestehen von Ausgedingsrechten.

Entscheidung vom 22. Juni 1955, 1 Ob 607/54.

I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Die Streitteile sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ. 177 Grundbuch N. (Steiningergut zu P. Nr. 1), und zwar die Klägerin auf Grund des Übergabsvertrages vom 7. September 1950, der Beklagte auf Grund des Übergabsvertrages vom 10. Jänner 1941.

Die Streitteile haben am 18. September 1950 miteinander die Ehe geschlossen und sind im Jahre 1953 rechtskräftig geschieden worden. Eine Gütergemeinschaft wurde zwischen ihnen niemals gegrundet. Beide Streitteile haften persönlich für die Ausgedingsleistungen auf Grund des Übergabsvertrages vom 10. Jänner 1941, die derzeit noch zugunsten der im Jahre 1877 geborenen Mutter des Beklagten und für den Fall ihres Todes zugunsten seines im Jahre 1920 geborenen körperbehinderten Bruders zu leisten sind. Eine Einverleibung dieser Ausgedingsrechte, die bereits im Übergabsvertrag vom 10. Jänner 1941 mit dem Beklagten vereinbart worden waren, ist allerdings erst im Jahre 1954, also während dieses Rechtsstreites, und zwar nur auf der dem Beklagten zugeschriebenen Hälfte der Liegenschaft, erfolgt, nachdem vorher von einer Einverleibung abgesehen worden war.

Eine Naturalteilung des Gutes wurde von beiden Streitteilen als undurchführbar bezeichnet.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren deshalb abgewiesen, weil das Teilungsbegehren zur Unzeit gestellt worden sei. Eine solche Unzeit sei deshalb als gegeben anzunehmen, weil die auf der Liegenschaft haftenden Ausgedingsrechte im Falle einer Versteigerung den Preis der Liegenschaft wesentlich herabmindern würden, ferner weil beide Streitteile mangels Angebotes an verkäuflichen Bauerngütern praktisch keine Aussicht hätten, sich um den Erlös eine dem Hälftebestand annähernd entsprechende neue Liegenschaft zu erwerben, und schließlich, weil die unsicheren allgemeinen Verhältnisse gegen den Verkauf von wertbeständigem Vermögen sprechen.

Das Berufungsgericht hat in Stattgebung der klägerischen Berufung das erstgerichtliche Urteil dahin abgeändert, daß dem Teilungsbegehren aus folgenden Gründen stattgegeben wurde:

Beim Begriffe der "Unzeit" im Sinne des § 830 ABGB. könne nur an solche Umstände gedacht werden, die die Aufhebung der Eigentumsgemeinschaft als derzeit schädlich erscheinen lassen. Es müsse sich hiebei um Umstände handeln, die objektiv und nicht bloß subjektiv beim einzelnen Teilhaber gegen die Feilbietung sprechen und die bloß vorübergehender Natur seien. Das letztere ergebe sich aus dem Schlußsatze des § 830 ABGB., wonach sich der die Aufhebung der Eigentumsgemeinschaft begehrende Teilhaber "daher" (also wegen der Unzeit) einen den Umständen angemessenen, nicht wohl vermeidlichen Aufschub gefallen lassen müsse.

Teilungshindernisse, die sich überhaupt nicht beseitigen lassen, könnten die Unzeit daher nicht begrunden, da sie die Aufhebung nicht aufschieben, sondern ausschließen würden. Ungünstige Verhältnisse, deren Dauer nicht abzusehen sei, kämen als Begründung der Unzeit gleichfalls nicht in Betracht.

Im vorliegenden Falle sei nun die Dauer der auf der Liegenschaft haftenden Ausgedingsrechte nicht abzusehen. Würde es sich um die Mutter des Beklagten allein handeln, dann könnte wohl mit Rücksicht auf ihr hohes Alter in absehbarer Zeit mit einem Erlöschen dieser Last gerechnet werden. Die Dauer der Rechte des erst im Jahre 1920 geborenen Bruders des Beklagten sei aber heute überhaupt noch nicht abzusehen; es müsse eher angenommen werden, daß die heute 48 Jahre alte Klägerin das Erlöschen dieser Last gar nicht mehr erleben werde.

Mit den auf der Liegenschaft haftenden Ausgedingsrechten sei somit ein nicht abzusehender Dauerzustand geschaffen. Der Bestand dieser Rechte könne daher eine Unzeit im Sinne des § 830 ABGB. nicht begrunden.

Was aber den Mangel an verkäuflichen Landgütern und die unsicheren allgemeinen Verhältnisse betreffe, so würden die Streitteile in absehbarer Zeit immer auf gewisse Schwierigkeiten stoßen, wenn sie ein neues Landgut oder sonst einen wertbeständigen Ersatz für ihren derzeitigen Besitz finden wollen.

Die besonderen Schwierigkeiten und ungünstigen Verhältnisse, die während des letzten Krieges und in den ersten Jahren nachher in dieser Beziehung bestanden haben, hätten jedoch heute aufgehört. Eine Konsolidierung der wirtschaftlichen Verhältnisse und eine Stabilisierung auf dem Liegenschaftsmarkt im besonderen sei nicht zu leugnen.

Von diesen Gesichtspunkten aus könne dem Klagebegehren daher nicht entgegengesetzt werden, daß es zur Unzeit gestellt worden sei. Die im übrigen gar nicht mehr eingewendete Unzeit, die infolge der bestandenen Preisregelung für landwirtschaftliche Güter seit dem letzten Kriege bestanden habe, sei mit Aufhebung der diesbezüglichen Preisregelungsvorschriften (1. Juli 1953) weggefallen.

Auch die übrigen Voraussetzungen für die gegenständliche Klage seien gegeben. Die Naturalteilung nach § 843 ABGB. als vom Gesetze in erster Linie vorgesehene Form der Aufhebung des gemeinsamen Eigentums komme hier nach dem ausdrücklichen Vorbringen beider Teile nicht in Betracht. Die Möglichkeit daß die Klägerin statt der Aufhebung der Gemeinschaft vom Beklagten ihren Anteil am Ertrage der von ihm derzeit allein bewirtschafteten Liegenschaft verlangen könne, stehe einer Klage nach § 830 ABGB. überhaupt nicht entgegen, weil der Teilungsanspruch ein unbedingter Anspruch jedes Miteigentümers sei.

Der Einwand der beklagten Partei, daß sie sich eine Klage auf Aufhebung des Übergabsvertrages vom 7. September 1950 mangels Bestandes einer tadellosen Ehe vorbehalte, sei vom Erstgericht mit Recht für unbeachtlich erklärt worden, denn Absichten, die noch der Verwirklichung bedürfen, seien im Prozesse nicht geeignet, einen Anspruch zu entkräften.

Bedenken, welche gegen die Gültigkeit dieses Übergabsvertrages aus dem Gründe auftauchen könnten, weil er als Ehepakt aufgefaßt werden könnte und als solcher der Notariatsform bedurft hätte, seien von den Parteien nicht geltend gemacht worden.

Dem Teilungsbegehren der klagenden Partei sei daher stattzugeben gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge und stellte in Abänderung der zweitinstanzlichen Entscheidung das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Rechtsrüge der Revision kommt insofern Berechtigung zu, als sie sich dagegen wendet, daß das Berufungsgericht trotz des derzeit noch auf der Liegenschaft haftenden Auszuges für die 1877 geborene Mutter des Beklagten die Unzeit verneint hat.

Das Berufungsgericht hat allerdings zutreffend in Übereinstimmung mit der nunmehrigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes darauf hingewiesen, daß bei der heute immerhin bereit eingetretenen Konsolidierung der wirtschaftlichen Verhältnisse und mit Rücksicht auf die Aufhebung der Preisregelungsvorschriften aus diesen Gründen von einer Unzeit auch bei landwirtschaftlichen Gütern nicht mehr gesprochen werden könne.

Das Berufungsgericht hat auch zutreffend darauf hingewiesen, daß Teilungshindernisse, die sich in absehbarer Zeit nicht beseitigen lassen, die Unzeit nicht begrunden können.

Wenn das Berufungsgericht aber aus den von ihm übernommenen erstgerichtlichen Feststellungen schließt, daß die Dauer der auf der Liegenschaft haftenden Auszugsrechte nicht abzusehen sei, so kann dieser Ansicht vom Obersten Gerichtshof nicht beigepflichtet werden.

Auf Grund des von den Unterinstanzen zur Grundlage ihrer Feststellungen herangezogenen Übergabsvertrages vom 10. Jänner 1941 haftet derzeit ein Auszugsrecht für die Mutter der beklagten Partei auf der Liegenschaft. Diese Mutter ist im Jahre 1877 geboren, sie ist also in einem Alter, bei welchem nach dem natürlichen Ablauf der Dinge in absehbarer Zeit mit einem Erlöschen des für sie auf der Liegenschaft haftenden Auszugsrechtes gerechnet werden muß.

Es kann nun nicht gesagt werden, daß sich die Verhältnisse im Falle eines Erlöschens des für die Mutter haftenden Auszuges deshalb nicht ändern würden, weil der Auszug nach dem Übergabsvertrage vom 10. Jänner 1941 dann für den Bruder des Beklagten zu leisten sein werde.

Denn aus dem von den Unterinstanzen zur Grundlage ihrer Feststellungen gemachten Übergabsvertrag vom 10. Jänner 1941 geht hervor, daß der dem Bruder des Beklagten zu leistende Auszug wesentlich weniger hoch sein wird als der derzeit für die Mutter des Beklagten zu leistende Auszug.

Die Klägerin selbst führt in ihrer Revisionsbeantwortung an, daß der dem Bruder des Beklagten zu leistende Auszug mit jährlich etwa 3000 S zu veranschlagen sein werde, während der derzeit für die Mutter des Beklagten geleistete Auszug mit zirka 6000 S pro Jahr zu bewerten sei.

Wenn aber nach dem in absehbarer Zeit immerhin zu erwartenden Wegfalle des Auszuges für die Mutter des Beklagten die Belastung der Liegenschaft mit dem nunmehr für den Bruder des Beklagten zu leistenden Auszug nach dem eigenen Vorbringen der klagenden Partei um die Hälfte vermindert würde, so wäre es bei dieser, auch von der klagenden Partei nicht bestrittenen und daher der Entscheidung zugrunde zu legenden Sachlage nach der Ansicht des Obersten Gerichtshofes unangebracht, die Liegenschaft bereits jetzt zu versteigern.

Die Entscheidung Amtl. Slg. 3568 führt aus, daß bei einem auf einer Liegenschaft haftenden Fruchtgenußrechte für eine 68jährige Frau die Unzeit gegeben sei; denn bei der sofortigen Feilbietung würde der Preis gedrückt und es könnte daher nur ein viel geringerer Erlös erzielt werden als nach dem Wegfalle der Last, mit der bei einem Alter der Berechtigten von 68 Jahren in absehbarer Zeit gerechnet werden müsse.

Was für eine 68jährige Frau gilt, muß noch viel mehr bei der im Jahre 1877 geborenen, also noch bedeutend älteren Mutter des Beklagten in Erwägung gezogen werden.

Es bedarf keines weiteren Beweises dafür, daß bei einer von der klagenden Partei selbst zugegebenen Bewertung des für die Mutter des Beklagten zu leistenden Auszuges mit 6000 S pro Jahr, das sind für zehn Jahre kapitalisiert 60.000 S, der derzeit für die Liegenschaft zu erzielende Erlös offenbar wesentlich geringer sein müßte als dann, wenn der gleichfalls nach den eigenen Angaben der Klägerin in der Revisionsbeantwortung nur mit 3000 S pro Jahr zu bewertende Auszug für den Bruder des Beklagten zu leisten sein wird.

Bei dieser Sachlage kann also der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes, das die Unzeit verneint, nicht beigepflichtet werden, sondern muß diese vielmehr, zumindest solange der für die Mutter des Beklagten zu leistende Auszug noch besteht, bejaht werden. Die klagende Partei muß sich daher jedenfalls für diese Zeit diesen nicht vermeidlichen Aufschub gefallen lassen, zumal sie ja ohnehin ihr auf Grund ihres Eigentums an der Hälfte der Liegenschaft beruhendes Recht auf die Erträge des Anwesens geltend machen kann.

Dies führt zur Abänderung des berufungsgerichtlichen Urteiles und Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung.

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