OGH 4Ob61/55

OGH4Ob61/5510.5.1955

SZ 28/126

Normen

Arbeitsgerichtsgesetz §17
JN §30
JN §31
Arbeitsgerichtsgesetz §17
JN §30
JN §31

 

Spruch:

Zulässigkeit von Delegierungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren.

Entscheidung vom 10. Mai 1955, 4 Ob 61/55.

I. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

In der beim Arbeitsgericht Spittal a. d. Drau anhängigen Rechtssache stellte der Kläger bei der Streitverhandlung den Antrag, aus Gründen der Zweckmäßigkeit das Arbeitsgericht Hermagor zu delegieren. Das Oberlandesgericht Graz, an das die Akten zur Entscheidung nach § 31 JN. vorgelegt wurden, wies den Delegierungsantrag als unzulässig zurück. Der Wirkungskreis, die Organisation und das Verfahren der Arbeitsgerichte seien in einem besonderen Gesetz geregelt, das zwar die Anwendbarkeit der Zivilprozeßordnung, nicht aber die der Jurisdiktionsnorm vorsehe. Nur Einzelbestimmungen dieses Gesetzes seien für anwendbar erklärt worden. Dazu gehörten die Vorschriften über die Delegierung nach den §§ 30, 31 JN. nicht. Außerdem sei die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte eine ausschließliche, die nicht verändert werden solle.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers Folge, hob den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz auf und trug diesem die sachliche Entscheidung über den Delegierungsantrag auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Dem Erstgericht ist zuzugeben, daß die Arbeitsgerichte nicht zu den ordentlichen Gerichten zu zählen sind und daß die Bestimmungen der Jurisdiktionsnorm und der Zivilprozeßordnung auf sie an sich nicht Anwendung zu finden haben. Maßgebend ist vielmehr in erster Linie das Arbeitsgerichtsgesetz. Ein Blick auf dieses Gesetz mit seinen insgesamt 38 Paragraphen lehrt jedoch, daß der Gesetzgeber nicht beabsichtigt haben kann, die prozessuale Materie insoweit erschöpfend zu regeln, als sie das arbeitsrechtliche Verfahren betrifft. Der Umstand, daß im § 17 Abs. 1 auf die subsidiäre Geltung der Zivilprozeßordnung, nicht aber auch der Jurisdiktionsnorm, verwiesen wird, läßt den Schluß, daß dieses Gesetz unberücksichtigt zu bleiben habe, nicht zu. Auch aus der Verweisung auf einige wenige Vorschriften der Jurisdiktionsnorm (z. B. § 66 im § 3 ArbGerG., Bestimmungen über die Ablehnung von Richtern im § 15 Abs. 1 ArbGerG., § 9-14 im § 22 Abs. 3 ArbGerG.) kann nicht gefolgert werden, daß gerade nur diese Bestimmungen anzuwenden wären. Denn die Tatsache, daß im Arbeitsgerichtsgesetz auch unter Berücksichtigung der Verweisungen grundlegende prozessuale Normen fehlen, wird dadurch nicht beseitigt und muß dahin führen, daß die Lücken des Gesetzes auf dem Wege analoger Anwendung auch weiterer Vorschriften der Jurisdiktionsnorm ausgefüllt werden, soweit sie für das Verfahren der Arbeitsgerichte notwendig sind. Dieser Standpunkt, der auch von Stanzl, Arbeitsgerichtliches Verfahren, S. 33 und 35, vertreten wird, muß dazu führen, die Bestimmungen der §§ 30, 31 JN. über die Delegierung als analog anwendbar anzusehen. Denn im Arbeitsgerichtsgesetz fehlen einschlägige Vorschriften, und auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren können sich Behinderungs- oder Zweckmäßigkeitsgrunde ergeben, die die Betrauung eines anderen Arbeitsgerichtes mit der Verhandlung und Entscheidung einer Streitsache erheischen. Der Hinweis des Erstgerichtes auf die Unverzichtbarkeit der Gerichtsstände des Arbeitsgerichtsgesetzes ist nicht berechtigt. Denn die Bestimmungen der §§ 30, 31 JN. schließen derartige Gerichtsstände von der Delegierung nicht aus. Dementsprechend hat der Oberste Gerichtshof schon in seiner Entscheidung 4 Ob 188/53 die Möglichkeit der Delegierung im arbeitsgerichtlichen Verfahren angenommen. Der Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ. XXI 169 ist gleichfalls unbegrundet. Denn dort handelte es sich um die Delegierung eines Schiedsgerichtes der Sozialversicherung, bei dem die Lösung von Zuständigkeitsfragen nicht den ordentlichen Gerichten, sondern dem Bundesministerium für soziale Verwaltung zusteht (vgl. § 9 Abs. 2 der Verordnung BGBl. Nr. 18/1948).

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