OGH 3Ob181/55

OGH3Ob181/556.4.1955

SZ 28/96

Normen

ZPO §179
ZPO §496 Abs1 Z2
ZPO §496 Abs1 Z3
ZPO §496 Abs2
ZPO §499
ZPO §511
ZPO §179
ZPO §496 Abs1 Z2
ZPO §496 Abs1 Z3
ZPO §496 Abs2
ZPO §499
ZPO §511

 

Spruch:

Unterschied zwischen einer Aufhebung nach § 496 Abs. 1 Z. 2 ZPO. und einer solchen nach § 496 Abs. 1 Z. 3 ZPO.

Zulässigkeit von neuem Vorbringen im neuen Verfahren.

Entscheidung vom 6. April 1955, 3 Ob 181/55.

I. Instanz: Kreisgericht Ried im Innkreis; II. Instanz:

Oberlandesgericht Linz.

Text

Das Erstgericht hat das auf Lieferung von 43 Fleischschweinen Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises gerichtete Klagebegehren abgewiesen, wobei es von der Feststellung ausging, daß der Einkäufer des Klägers, Karl St., sämtliche verkauften Schweine vereinbarungsgemäß am Mittwoch, den 25. Juli 1951, um 13 Uhr von der Beklagten abholen sollte. St. sei aber bereits am Dienstag, den 24. Juli 1951, erschienen und wollte damals nur einen Teil der Schweine übernehmen. Die Beklagte habe an diesem Tag die Übergabe verweigert und sich lediglich bereit erklärt, sämtliche verkauften Schweine zum vereinbarten Zeitpunkt (25. Juli, 13 Uhr) zu übergeben. Zu diesem Zeitpunkt und auch späterhin sei jedoch niemand mehr seitens des Käufers erschienen. Gemäß § 1062 ABGB. habe der Käufer die Ware sogleich oder zum bedungenen Zeitpunkt zu übernehmen. Da dies zur bedungenen Zeit nicht geschehen sei, müßte der Beklagten das Recht zuerkannt werden, die Übergabe der Ware zu verweigern.

Der dagegen seitens des Klägers erhobenen Berufung wurde nicht Folge gegeben. Das Berufungsgericht übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes und gelangte, wenngleich auch aus anderen Gründen, zum gleichen Endergebnis. Ausgehend von der Feststellung, daß der Zeitpunkt der Abholung der Ware für 25. Juli 1951, 13 Uhr, vereinbart war und die Beklagte sich noch bei der am 24. Juli 1951 entstandenen Auseinandersetzung dem Einkäufer St. gegenüber zur termingerechten Lieferung am 25. Juli 1951, 13 Uhr, bereit erklärt hatte, vertrat das Berufungsgericht die Rechtsansicht, daß der Kläger dadurch, daß St. die Abholung der Schweine am 25. Juli 1951 und auch späterhin nicht versucht habe, in Annahmeverzug geraten sei. Da es sich um ein Fixgeschäft handle, sei jedoch die Beklagte zufolge Annahmeverzuges des Klägers gemäß § 376 HGB. zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt. Es habe daher auch keiner ausdrücklichen Rücktrittserklärung der Beklagten und noch weniger der Setzung einer Nachfrist bedurft.

Der dagegen seitens des Klägers erhobenen Revision wurde Folge gegeben; die Urteile der beiden Vorgerichte wurden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen. Nach der dem Aufhebungsbeschluß des Revisionsgerichtes zugrunde liegenden rechtlichen Beurteilung war die Beklagte trotz Annahmeverzuges des Klägers zum Rücktritt vom Vertrag ohne ausdrückliche Rücktrittserklärung unter Setzung einer Nachfrist nicht berechtigt, und es wurde auch die Annahme eines Fixgeschäftes seitens des Berufungsgerichtes abgelehnt.

Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht die Klage neuerlich ab, wobei es zu dem Ergebnis gelangte, daß der Kaufvertrag einverständlich aufgelöst worden sei. Der dagegen seitens des Klägers erhobenen Berufung wurde nicht Folge gegeben. Das Berufungsgericht ging hiebei von folgenden, teilweise ergänzenden Feststellungen aus:

Am 23. Juli 1951 schloß der Einkäufer des Klägers, Karl St., mit der Beklagten einen Kaufvertrag über 43 Fleischschweine zum Preise von 12 S 40 g je Kilogramm ab. Es wurde hiebei vereinbart, daß sämtliche gekauften Schweine vom Kläger am 25. Juli 1951, 13 Uhr, bei der Beklagten abgeholt werden. Die Beklagte verlangte auch eine Angabe, die St. zunächst ablehnte. Nachträglich schickte er der Beklagten jedoch noch am gleichen Tage durch Johann Sch. 500 S als Angabe, wogegen die Beklagte einen Gegenschein, in welchem der Abschluß des Kaufvertrages und der Empfang der Angabe bestätigt wurde, unterschrieb und dem Sch. aushändigte. St. erschien dann schon am 24. Juli 1951 auf dem Hofe der Beklagten, um die Schweine abzuholen, es kam aber zu Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und der Beklagten, weil St. erklärte, er hole jetzt nur die schweren Schweine, die Beklagte aber auf der gleichzeitigen Übernahme sämtlicher Schweine zum vereinbarten Termin bestand. Die Beklagte versuchte nun, dem St. die Angabe zurückzugeben, um vom Vertrag loszukommen, dieser lehnte jedoch die Annahme des Geldes mit der Begründung ab, er habe ihr das Geld nicht übergeben, und äußerte sich schließlich, er bekomme die Schweine schon noch, worauf die Beklagte erwiderte, morgen könne er sie holen. Die Beklagte drängte aber den Betrag von 500 S dem gleichfalls anwesenden Sch. auf, der sich zwar sträubte, ihn anzunehmen, dann aber, als die Beklagte ihm das Geld in die Rocktasche steckte, es nachzählte und bei sich behielt. Kurze Zeit später folgte Sch. diesen Betrag dem St. aus, der nun auch der Meinung war, daß sich das Geschäft zerschlagen habe, und das Geld mit der Erklärung entgegennahm, er "kriege die Schweine so nimmer", sie (die Beklagte) solle sie verkaufen, wem sie wolle. St. brachte dem Kläger, der damals noch sein Dienstgeber war, dann zur Kenntnis, daß die Beklagte das Angeld zurückgegeben habe, der Kläger gab ihm jedoch diesbezüglich keine Weisung und setzte sich auch selbst nicht mit der Beklagten in Verbindung. Die Beklagte verkaufte und übergab die gegenständlichen Schweine, die ein Gewicht von 4960 kg hatten, zum Preise von 58.156 S am 30. Juli 1951 an die Oberösterreichische Viehverwertungsgenossenschaft, nachdem Sch. auf Grund der vorerwähnten Erklärung des St. ihr mitteilen ließ, daß der Handel mit dem Kläger sich zerschlagen habe, und sie überdies vom Kläger bis dahin keine gegenteilige Nachricht erhalten hatte. Auf Grund dieser Feststellungen gelangte das Berufungsgericht zu dem rechtlichen Ergebnis, daß der zwischen den Parteien am 23. Juli 1951 abgeschlossene Kaufvertrag wieder einverständlich aufgelöst worden sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Rechtsansicht der Revision, daß sich schon das Prozeßgericht im zweiten Rechtsgang nicht auf die Erhebung des Sachverhaltes beschränkt hätte, die ihm mit dem Aufhebungsbeschluß des Obersten Gerichtshofes vom 20. Mai 1953 aufgetragen worden war, und daher die Untergerichte der von ihnen zu befolgenden prozessualen Weisung des Revisionsgerichtes zuwidergehandelt hätten, kann nicht geteilt werden. Durch die Aufhebung wird die Sache in die nämliche Lage zurückversetzt, als wenn der Erstrichter oder das gemäß § 496 Abs. 3 ZPO. an seiner Stelle erkennende Berufungsgericht das erste Mal entschieden hätte. Hiebei besteht nur die eine Schranke, daß die dem Aufhebungsbeschluß zugrunde liegende rechtliche Beurteilung auch den künftigen Entscheidungen des Erstgerichtes zugrunde gelegt werden muß. Es kann daher grundsätzlich den Parteien nicht verwehrt werden, neue Tatsachen oder Beweismittel vorzubringen oder früher nicht beantwortete Behauptungen nunmehr zu bestreiten, das Klagebegehren zu ergänzen oder abzuändern. Eine Beschränkung besteht nur insoweit, als die aufhebende Instanz eine bestimmte Frage, z. B. das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Verjährung, auf Grund des gegebenen Sachverhaltes abschließend entschieden hat. Dann darf die Beantwortung dieser Frage auch auf Grund neuer Tatsachen nicht mehr in Zweifel gezogen werden, wenn anders nicht eine unbeschränkte und unabsehbare Erörterung bereits völlig und abschließend erledigter Streitpunkte immer wieder aufgerollt werden soll. In jeder anderen Richtung ist jedoch das Erstgericht bei der Heranziehung des Prozeßmaterials keinen wie immer gearteten Schranken unterworfen. Der Erstrichter, der gemäß § 499 bzw. § 510 Abs. 1 ZPO. neu verhandelt und entscheidet, ist nicht ein Organ des Berufungs- oder Revisionsgerichtes, das seine eigene Entscheidung nur im Rahmen der Rechtsansicht des Gerichtes zweiter oder dritter Instanz überprüft, sondern Vollrichter, der auf Grund des ihm vorgetragenen Sachverhaltes, wenn auch unter Bindung an die rechtliche Beurteilung der aufhebenden höheren Instanz, neuerdings selbständig entscheidet. Er hat daher den Sachverhalt zu beurteilen, wie er sich im Zeitpunkte der Fällung des neuen Urteiles darstellt (vgl. Rspr. 1924 S. 32). Der Unterschied der Aufhebung nach Z. 2 und 3 des ersten Absatzes des § 496 ZPO. im Berufungsverfahren bzw. der Anwendung dieser Vorschriften im Revisionsverfahren (§§ 510 Abs. 1, 513 ZPO.) besteht nur darin, daß bei einer Aufhebung nach Z. 2 vom Mangel überhaupt nicht betroffene Teile des Verfahrens und Erkenntnisses unberührt zu bleiben haben. Kommt aber erst im fortgesetzten Verfahren hervor, was alles vom Mangel berührt wird, dann bestimmt sich der Umfang der neuen Verhandlung danach, wie weit der Mangel reicht (SZ. VIII 126). Nur über die Frage, wie weit der Mangel reicht, bestehen widersprechende Entscheidungen; dagegen ist die Judikatur einhellig der Auffassung, daß neue Tatsachen und neues Beweisvorbringen zulässig sind und daß auch keine Bedenken gegen Klagsänderungen bestehen (GlUNF. 2501; SZ. VIII 126; ZBl. 1936 Nr. 308; RiZ. 1937 S. 299; EvBl. 1951 Nr. 422). Im vorliegenden Fall wurde jedoch im Aufhebungsbeschluß des Obersten Gerichtshofes vom 20. Mai 1953 lediglich über die Frage, ob die Beklagte zufolge Annahmeverzuges des Klägers ohne ausdrückliche Rücktrittserklärung und Setzung einer Nachfrist zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt war, abschließend im verneinenden Sinn entschieden. Bei der Erteilung des Ergänzungsauftrages an das Erstgericht auf Feststellung des Lebendgewichtes der verkauften Schweine, der Höhe des Kaufpreises sowie der vom Kläger vom Kaufpreis in Abzug gebrachten Posten wurde von den bisherigen Feststellungen der Untergerichte ausgegangen, daß St. dem Verhalten der Beklagten, nach welchem durch Rückgabe der Angabe eindeutig der Wille zur Rückgängigmachung des Vertrages zum Ausdruck gebracht wurde, stets opponierte, weiters von dem Vorbringen der Beklagten selbst, wonach diese auch nach dem der Auseinandersetzung vom 24. Juli 1951 folgenden Tag noch den Standpunkt der Vertragszuhaltung einnahm und eine nachträgliche Rücktrittserklärung (vor Klagseinbringung) selbst nicht behauptete. Nun hat jedoch die Beklagte bei der fortgesetzten Streitverhandlung vom 9. Dezember 1953 im zweiten Rechtsgang neu vorgebracht, daß Sch. in gleicher Weise wie St. als Unterhändler aufgetreten sei und nach Rücknahme des Geldes die Erklärung abgegeben habe, daß der Verkauf rückgängig gemacht wurde, wobei er gleichzeitig andere Interessenten, nämlich die Viehverwertungsgenossenschaft, anleitete, als Kaufwerber für die Schweine bei der Beklagten aufzutreten. Die Beklagte habe die Schweine an die Genossenschaft nur mit Rücksicht auf diese Erklärung des Sch. verkauft, habe sich aber trotzdem noch beim Verkaufe ausbedungen, daß die Schweine noch einige Tage bei ihr bleiben sollten, um sie an den Kläger liefern zu können, falls er sie in dieser Zeit abhole. Der Kläger habe aber nach Eintritt der Fälligkeit nichts mehr von sich hören lassen, sondern erst am 18. August 1951 die Klage auf Zuhaltung des Kaufvertrages eingebracht. Die Beklagte behauptete demnach im fortgesetzten Verfahren einverständliche Auflösung des Vertrages. Zu diesem neuen Vorbringen stellte das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung in teilweiser Ergänzung der erstrichterlichen Feststellungen fest - ein Verfahrensmangel in dieser Richtung wurde nicht geltend gemacht -, daß Sch. kurze Zeit nach Rücknahme der Angabe dem St. den Betrag ausfolgte, der das Geld mit der Erklärung in Empfang nahm, er "kriege die Schweine so nimmer", die Beklagte solle sie verkaufen, wem sie wolle. Nachdem Sch. auf Grund dieser Erklärung des St. der Beklagten hatte mitteilen lassen, daß der Handel mit dem Kläger sich zerschlagen habe, verkaufte und übergab die Beklagte die klagsgegenständlichen Schweine am 30. Juli 1951 an die Oberösterreichische Viehverwertungsgenossenschaft. Dieser teilweise abweichend vom ersten Rechtsgang festgestellte Sachverhalt, der somit neu hervorgekommen ist, wird aber in gleicher Weise von dem im Aufhebungsbeschluß aufgezeigten Rechtsmangel berührt, da das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung im ersten Rechtsgang die vom Revisionsgericht abgelehnte Auffassung vertrat, daß die beklagte Partei schon zufolge Annahmeverzuges des Klägers zum Rücktritt vom Vertrag ohne ausdrückliche Rücktrittserklärung berechtigt war. Der den Vorgerichten im ersten Rechtsgang unterlaufene Rechtsmangel reicht demnach so weit, daß der neu hervorgekommene Sachverhalt im Hinblick darauf, daß die Beklagte die Geltendmachung der Verzugsfolgen versäumt hat (§ 918 ABGB.), nach der Richtung einer selbständigen rechtlichen Beurteilung unterzogen werden muß, ob nach dem Inhalt der der Beklagten zugegangenen Erklärung eine Vertragsauflösung einverständlich zustandegekommen ist, welche Frage zu prüfen bei Richtigkeit der vom Revisionsgericht abgelehnten Ansicht der Untergerichte entbehrlich gewesen wäre.

Die rechtliche Beurteilung des neu festgestellten Sachverhaltes durch das Berufungsgericht ist gleichfalls im Ergebnis zutreffend und daher auch die von der Revision erhobene Rechtsrüge nicht begrundet.

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