OGH 2Ob29/55

OGH2Ob29/553.2.1955

SZ 28/33

Normen

ABGB §154
Fürsorgepflichtverordnung §21a
ZPO §502
ABGB §154
Fürsorgepflichtverordnung §21a
ZPO §502

 

Spruch:

Der Unterhaltsanspruch verliert durch seinen Übergang auf den Fürsorgeverband den Unterhaltscharakter.

Eine geschiedene Frau ist dem Fürsorgeverband (für Leistungen an ihre Eltern) nur insoweit ersatzpflichtig, als der ihr von ihrem geschiedenen Gatten zugewendete Betrag das Erfordernis für eine standesgemäße Lebensführung überschreitet.

Entscheidung vom 3. Februar 1955, 2 Ob 29/55.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Eltern der Beklagten beziehen seit 1. Februar 1954 von der Klägerin (Stadt W.) als Fürsorgeverband einen Erhaltungsbeitrag von derzeit 597 S monatlich. Die Beklagte bekommt gemeinsam mit ihrer Tochter von ihrem geschiedenen Ehegatten einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 1300 S.

Die Klägerin beantragt unter Berufung auf § 21a der Fürsorgepflichtverordnung (Legalzession) die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Betrages von 320 S als teilweisen Ersatz für die von der Klägerin an die Eltern der Beklagten für die Zeit vom 1. April 1954 bis 31. Juli 1954 geleisteten Erhaltungsbeiträge und zur Zahlung eines Betrages von 80 S monatlich ab 1. August 1954 als Beitragsleistung für die Dauer der den Eltern der Beklagten von der Klägerin gewährten Unterstützung nach der Fürsorgepflichtverordnung. Die Klägerin hat die im § 21a dieser Verordnung vorgesehene Wahrungsmitteilung an die beklagte Partei ergehen lassen.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren mit der Begründung abgewiesen, daß die Beklagte, die als einziges Einkommen nur einen Unterhaltsanspruch habe, zu einem teilweisen Ersatz der von der Klägerin den Eltern der Beklagten geleisteten Erhaltungsbeiträge nicht verpflichtet sei.

Auf die Berufung der klagenden Partei hat das Berufungsgericht das erstrichterliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben.

Der Oberste Gerichtshof gab dem gegen den Aufhebungsbeschluß gerichteten Rekurs der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Zunächst war die Frage der Zulässigkeit des Rekurses im Hinblick auf das Judikat 60 neu zu prüfen. Diese Prüfung führt zu dem Ergebnis, den Rekurs als formell zulässig zuerachten. Allerdings berührt die streitentscheidende Frage die Leistungsfähigkeit der Beklagten und damit eine die Höhe der Alimentation bedingende Komponente der Leistungspflicht, während diese selbst, da ja die Verwandtschaft gegeben ist, feststeht. Dies würde allerdings nicht ausschließen, daß die Berücksichtigung der die Höhe des Anspruches bedingenden Komponente zu seiner Negation, zu seiner Bemessung mit Null, führen könnte. Trotzdem war aber das Rechtsmittel als zulässig zubehandeln, weil dadurch, daß gemäß § 21a der Fürsorgepflichtverordnung der Anspruch der Eltern der Beklagten auf dem Fürsorgeverband übergegangen ist, dieser Anspruch den Charakter eines gesetzlichen Unterhaltsanspruches verloren hat, ebenso wie der im § 71 Abs. 2 Satz 2 EheG. normierte Übergang diese Folge und damit auch den Verlust des Pfändungsvorrechtes nach sich zieht (vgl. Volkmar - Antoni, Kommentar, S. 274; Soergel, Kommentar zum DBGB., B. Aufl. zu § 1607). Der Oberste Gerichtshof hat überdies die Anwendung der im § 502 Abs. 2 ZPO. statuierten Rechtsmittelbeschränkung auf Klagen gegen den Übernehmer einer Unterhaltsverpflichtung im Judikat 60 neu abgelehnt; dasselbe muß daher für den Übernehmer des Unterhaltsanspruches gelten.

In der Sache selbst hält der Oberste Gerichtshof den gegen den Aufhebungsbeschluß gerichteten Rekurs nicht für begrundet.

Die beklagte Partei ist mit der Behauptung im Recht, daß ihr geschiedener Gatte nicht zur Alimentation seiner ehemaligen Schwiegereltern herangezogen werden könne; er konnte dies bei Bestand der Ehe nicht werden, noch viel weniger nach der Eheauflösung. Das aber ist nicht die entscheidende Frage; entscheidend ist vielmehr, ob die Beklagte aus den auf einem Rechtsgrund beruhenden Leistungen ihres geschiedenen Gatten - andere Einkommensquellen sind im bisherigen Verfahren nicht behauptet worden - Mittel hat, um ihre in Dürftigkeit verfallenen Eltern ganz oder zum Teil zu alimentieren. Auf ihre Alimentations-, nicht auf die Alimentationsverpflichtung ihres geschiedenen Gatten kommt es an. "Der sittlichen Verpflichtung zur Unterstützung der nächsten Familienangehörigen braucht nur genügt zu werden, wenn die näherliegende Pflicht zur Selbsterhaltung dies gestattet, und in dem Maß, in welchem sie es gestattet." (Vgl. Hussarek, die familienrechtliche Alimentation, in Grünhuts Zeitschrift 20. Band S.

551.)

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, daß die Beklagte von dem Betrag, der ihren anständigen Unterhalt deckt, nichts für den Unterhalt der in Notstand geratenen Eltern zu verwenden braucht. Dem österreichischen Recht ist eine dem § 1603 DBGB.

("Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines standesmäßigen Unterhaltes den Unterhalt zu gewähren") analoge Norm fremd. Für das österreichische Recht muß daher die Frage, ob auch hier die Verpflichtung des § 154 ABGB. davon abhängt, daß der standesgemäße Unterhalt des Alimentationspflichtigen gedeckt ist, von der Lehre und Rechtsprechung gelöst werden. Im Schrifttum wird eine dem § 1603 DBGB. entsprechende Auslegung des § 154 ABGB. von Krasnopolski - Kafka, Lehrbuch des österreichischen privatrechtes,

4. Band S. 249 vertreten, während Bartsch in Klang 1. Aufl. I/1 S. 883 eine weitergehende, die Gefahr der Beeinträchtigung des eigenen Unterhaltes umfassende Alimentationspflicht annimmt. Die Judikatur des Obersten Gerichtshofes geht dahin, daß Kinder gegenüber ihren in Dürftigkeit verfallenen Eltern insoweit unterhaltspflichtig sind, als sie nicht dadurch selbst in Dürftigkeit verfallen (vgl. GlUNF. 2971; ebenso Stubenrauch 8. Aufl. 1 S. 231). Da aber Dürftigkeit im Sinne des § 154 ABGB. nach der mit dem Schrifttum (Anders, Familienrecht, S. 189 Note 36; Ehrenzweig 2. Aufl. II/2 S. 249; Stubenrauch 8. Aufl. I S. 231) übereinstimmenden Judikatur des Obersten Gerichtshofes (vgl. SZ. VIII 193), wenn es sich um die Voraussetzung des Alimentationsrechtes auf Seite der Eltern handelt, im Mangel des anständigen Unterhaltes besteht, so muß, wenn von der Judikatur derselbe Begriff als Voraussetzung der Alimentationspflicht auf Seite des Kindes verwendet wird, auch vom gleichen Begriffsinhalt ausgegangen werden. Die Entscheidung GlU. 6778 stellt übrigens ausdrücklich darauf ab, ob das Kind zum Unterhalt der Eltern beitragen kann, "ohne des anständigen Unterhaltes zu entbehren".

Der Oberste Gerichtshof tritt daher der Auffassung des Berufungsgerichtes bei, daß die Beklagte nur insoweit dem Fürsorgeverband ersatzpflichtig ist, als der ihr von ihrem geschiedenen Gatten zugewendete Betrag das Erfordernis für eine standesgemäße Lebensführung überschreitet (vgl. SZ. VII 343). Dabei muß aber eine Einschränkung insoferne gemacht werden, als auf solche Zuwendungen als Grundlage für künftige Ersatzansprüche nur gegriffen werden kann, wenn eine vertragsmäßige Verpflichtung des geschiedenen Gatten zur Leistung einer den standesgemäßen Unterhalt übersteigenden Rente besteht. Würde es an einem Anspruch der Beklagten fehlen, dann könnte auf solche Zuwendungen immer erst nach ihrem Eingang gegriffen werden, sie könnten aber nicht die Basis für eine fortlaufende Verpflichtung der Beklagten bilden.

Soweit eine der Beklagten von ihrem Gatten versprochene Rente über das zur anständigen Lebensführung Erforderliche hinausginge, könnte sie mangels der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Z. 2 der Lohnpfändungsverordung ohne weiteres in Exekution gezogen werden (vgl. SZ. VII 343). Der Oberste Gerichtshof teilt auch insoweit die Rechtsansichten, von denen das Berufungsgericht bei seinem Aufhebungsbeschluß ausgegangen ist.

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