Spruch:
Der Beschluß über die Bestellung eines Zustellungskurators zwecks Empfangnahme des die Entlassung des Kuranden aus dem Angestelltenverhältnisse betreffenden Schreibens wird erst mit dem Anschlagen des Bestellungsbeschlusses an die Gerichtstafel wirksam. Die Zustellung des Bestellungsbeschlusses an den Kurator ersetzt nicht die Zustellung an den Kuranden.
Entscheidung vom 1. Dezember 1954, 1 Ob 627/54.
I. Instanz: Bezirksgericht Bruck a. d. Mur; II. Instanz:
Kreisgericht Leoben.
Text
Im Jahre 1945 stellte die Firma F. & G. beim Erstgericht den Antrag, für eine Reihe ihrer Angestellten, die unbekannten Aufenthaltes seien, darunter auch für den L. zum Zwecke der Zustellung von Entlassungs- oder Kündigungsschreiben einen Abwesenheitskurator zu bestellen.
Mit dem Beschluß vom 1. Dezember 1945 wurde für eine Anzahl von Personen, darunter auch für den Revisionsrekurswerber L., ein Abwesenheitskurator gemäß § 276 ABGB. bestellt. Das Erstgericht verfügte die Zustellung des Beschlusses an den Abwesenheitskurator X. und an den Vertreter der Antragstellerin.
Am 8. März 1954 stellte L. beim Erstgericht den Antrag, die Bestellung des Abwesenheitskurators für die im Beschlusse genannten Personen als nichtig aufzuheben, da ein Anschlag des Beschlusses an der Gerichtstafel unterblieben sei.
Die vom Erstgerichte durchgeführten Erhebungen ergaben, daß der Anschlag an der Gerichtstafel nicht erfolgt und daß der Beschluß an den Kurator und an den Vertreter der Antragstellerin ohne Rückschein abgefertigt worden ist. Das Erstgericht stellte ferner fest, daß das Entlassungs- oder Kündigungsschreiben der Antragstellerin rücksichtlich des L. dem Abwesenheitskurator ausgefolgt wurde, vermochte jedoch nicht zu klären, ob der Bestellungsbeschluß dem Kurator zugestellt wurde. Der Kurator X. ist 1949 gestorben.
Das Erstgericht hat den Antrag auf Nichtigerklärung des Bestellungsbeschlusses mit der Begründung abgewiesen, daß mangels Bekanntmachung der Kuratorbestellung (durch Anschlag des Ediktes an der Gerichtstafel) der Bestellungsbeschluß noch nicht in Rechtskraft erwachsen sei und daher dem L. noch die Möglichkeit offenstehe, gegen die Kuratorbestellung den Rekurs einzubringen. Aus dieser Sach- und Rechtslage folge, daß der Kuratorbestellungsbeschluß nicht als nichtig aufzuheben sei.
L. hat sohin sowohl gegen diesen Beschluß des Erstgerichtes als auch gegen die Bestellung des Kurators Rekurs erhoben.
Das Rekursgericht hat dem Rekurse gegen die Kuratorbestellung teilweise Folge gegeben und diesen Beschluß dahin abgeändert, daß der Antrag der Firma F. & G., für L. einen Abwesenheitskurator zu bestellen, abgewiesen wurde; soweit jedoch in dem Beschluß für andere Personen ein Abwesenheitskurator bestellt worden war, blieb er unberührt. Den Rekurs des L. - betreffend die Abweisung seines Antrages auf Nichtigerklärung der Kuratorbestellung - hat das Rekursgericht auf den vorgenannten Abänderungsbeschluß verwiesen.
Das Rekursgericht hielt für den Eintritt der Rechtskraft der Kuratorbestellung den Anschlag des Bestellungsbeschlusses an der Gerichtstafel und dessen Einhändigung an den Kurator für unumgänglich erforderlich. Es stützte sich hiebei auf die Entscheidung SZ. XXII/200 und folgte ihr auch insoweit, daß der Rekurs, der - im Zeitpunkt der Anfechtung - nicht mehr abwesenden Partei gegen den Beschluß, womit für sie ein Abwesenheitskurator bestellt wurde, auch dann zulässig sei, wenn seit der Bestellung des Kurators Jahre verflossen sind. L. konnte jedoch - nach der Ansicht des Rekursgerichtes - nur für seine Person die Bestellung des Kurators anfechten, aber nicht zugunsten der übrigen im gleichen Beschlusse angeführten Kuranden.
Die Antragstellerin hat gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes Revisionsrekurs erhoben, im wesentlichen aus zwei Gründen: 1. wäre der Rekurs des L. gegen den Beschluß auf Bestellung eines Kurators wegen rechtskräftig entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen, 2. wäre dem Rekurse des L. gegen den erstrichterlichen Beschluß, mit dem sein Antrag auf Nichtigerklärung der Kuratorbestellung abgewiesen wurde, nicht Folge zu geben gewesen, weil im Zeitpunkte der Erlassung des Beschlusses auf Kuratorbestellung alle Voraussetzungen hiefür gegeben waren, so daß er auch verfassungsrechtlich richtig war.
Der Oberste Gerichtshof erklärte den Revisionsrekurs der Antragstellerin Firma F. & G. für zulässig und rechtzeitig.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Es ist davon auszugehen, daß im vorliegenden Fall eine Kuratorbestellung nach § 276 ABGB. erfolgt ist. Auch der Entscheidung SZ. XXII/200 lag die Bestellung eines Abwesenheitskurators nach § 276 ABGB. aus dem Anlaß zugrunde, weil für eine Person mit unbekanntem Aufenthalte eine Teilungsurkunde zu errichten war. Es handelte sich somit nicht um die Vornahme einer prozessualen Handlung. Für das Verfahren über die Bestellung eines Kurators nach § 276 ABGB. gilt die Bestimmung des § 6 AußstrG. Nach dieser haben Zustellungen im Verfahren außer Streitsachen in gleicher Weise wie Zustellungen im Streitverfahren von Amts wegen zu erfolgen. Diese Bestimmung des § 6 AußstrG. fußt auf dem § 6 der ZustellV. vom 9. Oktober 1940, DRGBl. I S. 1340, in der Fassung der Verordnung vom 24. Mai 1946, BGBl. Nr. 113. Die Zustellung im Streitverfahren regeln die §§ 87 bis 122 ZPO., im einzelnen handeln hierüber die §§ 116 bis 118 ZPO. Der § 116 ZPO. ordnet an, daß für Personen, an welche die Zustellung wegen unbekannten Aufenthaltes - ein solcher Fall ist der des Kuranden L. im Jahre 1945 gewesen - nicht geschehen kann, das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen einen Kurator nach § 9 ZPO. zu bestellen hat. § 116 ZPO. nimmt Bezug auf § 115 ZPO., das ist auf die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung, wenn glaubhaft gemacht wird, daß der Aufenthalt einer Person, an welche eine Zustellung erfolgen soll, unbekannt ist. § 117 ZPO. verfügt, daß die Bestellung des Kurators durch Edikt bekanntgemacht wird; Lehre und Rechtsprechung sind sich darüber einig, daß im Falle der Bestellung eines Kurators für eine prozeßunfähige Partei, die eines gesetzlichen Vertreters entbehrt (§ 8 ZPO.), keine "Bekanntmachung" zu erfolgen habe.
Nach der vorerwähnten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes ist der Beschluß, mit dem ein Kurator gemäß § 276 ABGB. bestellt wird, sowohl an der Gerichtstafel anzuschlagen als auch dem Kurator einzuhändigen. "Ist die Bekanntmachung des Ediktes durch Anschlag an der Gerichtstafel nicht vorgenommen worden, so ist die Bestellung des Kurators noch nicht in Rechtskraft erwachsen, da gemäß § 118 ZPO. die Zustellung erst mit der Vornahme des Anschlages und der ihr nachfolgenden Einhändigung des zuzustellenden Schriftstückes an den Kurator als vollzogen gilt." Die Bestimmung des § 118 ZPO. gilt somit auch im Falle der hier in Frage kommenden Zustellung nach § 6 AußstrG. In der Entscheidung SZ. XXIV/15 wurde der Kurator nach § 116 ZPO. dem Kurator nach § 276 ABGB. - wenn die Voraussetzungen gegeben sind - gleichgestellt. Es muß daher sowohl in dem einen wie auch in dem anderen Falle die öffentliche Bekanntmachung durch Anschlag des Ediktes an der Gerichtstafel gefordert werden. Der Oberste Gerichtshof billigt somit die in der Entscheidung EvBl. 1948 Nr. 7 geäußerte Ansicht, daß die §§ 115 ff. ZPO. für das außerstreitige Verfahren und auch für das Rückstellungsverfahren nicht anwendbar sind, nicht; er verweist vielmehr auf die Entscheidung SZ. XXIV/15, wonach die Bestellung eines Abwesenheitskurators nach § 276 ABGB. oder eines Prozeßkurators nach § 116 ZPO. eine Stütze im § 14 Abs. 4 des Dritten Rückstellungsgesetzes gefunden habe.
Bei der Gleichstellung des prozessualen mit dem privatrechtlichen Kurator darf aber nicht übersehen werden, daß zwischen der Zustellung des gerichtlichen Beschlusses, mit dem der Abwesenheitskurator nach § 276 ABGB. bestellt wird, und der Zustellung der Entlassungs- oder Kündigungsschreiben genau unterschieden werden muß. Der Bestellungsbeschluß wird zwar dem Kurator zugestellt. Da er aber in diesem Zeitpunkt noch nicht wirksam für den Kuranden Zustellungen entgegennehmen kann, weil er erst nach dem Anschlag des Ediktes an der Gerichtstafel tätig werden darf, ersetzt die Zustellung des Bestellungsbeschlusses an ihn nicht die Zustellung an den Kuranden. Diese geschieht vielmehr in der Form der öffentlichen Bekanntmachung, die nach § 115 Abs. 2 ZPO. mit dem Anschlag an der Gerichtstafel vollendet ist. Die Vorschrift des § 117 Abs. 2 ZPO., daß das Bestellungsedikt an der Gerichtstafel anzuschlagen sei, ist nichts anderes als die Anwendung der Bestimmung des § 115 Abs. 2 ZPO.
Mit dem Anschlag an der Gerichtstafel gilt der Bestellungsbeschluß als an den Kuranden zugestellt und daher wirksam. Er kann so nie jeder andere gerichtliche Beschluß noch vor seiner Rechtskraft in Vollzug gesetzt werden. Dies geschieht auf die Weise, daß nach § 118 Abs. 1 ZPO. die zuzustellende Urkunde nunmehr dem Kurator ausgehändigt wird. Damit ist auch die zweite Zustellung - nämlich die der Entlassungs- und Kündigungsschreiben - an den Kuranden vollzogen.
Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht unterlassen, das Edikt über die Bestellung des Abwesenheitskurators X. an der Gerichtstafel anzuschlagen. Damit war die Zustellung des Bestellungsbeschlusses an den Kuranden unterblieben und die vom Tage des Anschlages an zu rechnende Rechtsmittelfrist nicht ins Laufen gekommen. Das Rekursgericht hat daher mit Recht den Rekurs des dann wieder aufgetretenen Kuranden L. als rechtzeitig und zulässig angesehen, obwohl er erst am 24. Mai 1954 zur Post gegeben worden ist.
Das Rekursgericht hat aber die Bestellung des Kurators sachlich erledigt. Dies war nicht richtig. Das Unterbleiben des Anschlages an der Gerichtstafel, das zwar die Rechtsgültigkeit der Empfangnahme des Kündigungs- oder Entlassungsschreibens durch den Abwesenheitskurator für den Kuranden in Frage stellen konnte, ist im Bestellungsverfahren - prozessual gesehen - nichts anderes als ein Fehler in der Zustellung eines erlassenen Beschlusses. Dieser Fehler vermochte die Gesetzmäßigkeit des Bestellungsbeschlusses vom 1. Dezember 1945 keineswegs zu erschüttern, zumal Zustellungsmängel zwar zur Wiederholung der Zustellung, nicht aber zur Nichtigkeit oder zur sonstigen Aufhebung des zuzustellenden Beschlusses führen können. Das Erstgericht hat nach dem Einlangen der Rekursentscheidung den Anschlag des Ediktes an der Gerichtstafel verfügt. Dies war deshalb nicht zweckmäßig, weil zu dieser Zeit der Kurand schon wieder bekannten Aufenthaltes war und daher der Anschlag als Zustellungsweg nicht mehr in Frage kam. Der fehlende Nachweis der Zustellung des Bestellungsbeschlusses an den Kurator ist durch die ZustellV. vom 9. Oktober 1940, DRGBl. I S. 1340, gedeckt. Darüber, ob schon dem Kuranden im Zeitpunkte, in dem er den Antrag vom 4. März 1954 stellte, der Bestellungsbeschluß vom 1. Dezember 1945 tatsächlich zugekommen war und deshalb die Zustellung an ihn als bereits erfolgt anzusehen ist (§ 108a ZPO.), fehlen Behauptungen. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß der Bestellungsbeschluß dem Kuranden gegenüber noch nicht rechtskräftig war, als er dagegen am 24. Mai 1954 den Rekurs erhob.
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