OGH 1Ob772/54

OGH1Ob772/543.11.1954

SZ 27/277

Normen

ABGB §1002
ABGB §1016
ABGB §1017
ABGB §1029
ABGB §1380
ABGB §1002
ABGB §1016
ABGB §1017
ABGB §1029
ABGB §1380

 

Spruch:

Wer im Vertrauen auf den äußeren Tatbestand annehmen darf, sein Verhandlungspartner sei zum Abschluß von Geschäften und Vergleichen berechtigt, ist auch berechtigt, mit diesem eine Judikatschuld zu vergleichen.

Entscheidung vom 3. November 1954, 1 Ob 772/54.

I. Instanz: Bezirksgericht Horn; II. Instanz: Kreisgericht Krems.

Text

Der derzeitige Oppositionskläger P. wurde am 10. Februar 1951 zur Zahlung von 5500 S samt Zinsen und Prozeßkosten im Betrage von 1267.48 S verurteilt. Das Berufungsgericht bestätigte (Kosten des Berufungsverfahrens: 235.70 S). Am 14. August 1951 führte die beklagte Partei gegen den Oppositionskläger Fahrnisexekution (Exekutionskosten: 151.82 S).

Die Untergerichte stellten fest, daß am 10. September 1951 der Oppositionskläger im Gasthaus K. in Horn mit Pater A., dem Hofmeister der beklagten Partei, über das dem Urteil zugrunde liegende Pferdegeschäft einen Vergleich schloß, worüber der Oppositionskläger im Auftrage des Hofmeisters eine Bestätigung folgenden Wortlautes in zweifacher Ausfertigung schrieb: "Mit heutigem Tag hat P. die ausständige Schuld bezahlt, so daß wir nachher keine Forderung mehr haben. Für zwei Schlachtpferde 4500 S."

Pater A. las die Bestätigungen durch und beide unterfertigten mit "P. - Pater A." Die Untergerichte stellten ferner fest, Pater A. sei zum Geldempfang für die beklagte Partei aus Geschäften, die in seinen Wirkungskreis als Hofmeister fallen - somit auch aus "Pferdegeschäften" -, berechtigt. Bei Abschluß derartiger Geschäfte habe er gegenüber dem Geschäftspartner freie Hand. Nach Abschluß des erwähnten Vergleiches händigte der Kläger dem Pater den Betrag von 4500 S aus. Dieser erklärte sodann dem Kläger, sie seien jetzt quitt und sie könnten wieder handeln (neue Geschäfte schließen), auch sollte der Kläger einen Liter Wein bezahlen, was dieser auch tat.

Das Erstgericht hat der auf § 1412 ABGB. gestützten Oppositionsklage des Verpflichteten P. stattgegeben: Die beklagte Partei habe durch die Duldung der ihr bekannten Tätigkeit des Hofmeisters Handlungen gesetzt, die in einem Dritten, das ist dem Kläger, die Überzeugung von dem Vorhandensein einer Vertretungsmacht hervorriefen und in ihm den begrundeten Glauben erweckten, daß diese Vertretungsmacht nicht nur die Befugnisse zum Abschluß aller mit dem Pferdehandel verbundenen Rechtsgeschäfte, sondern auch zum Abschluß des Vergleiches mit der beklagten Partei aus einem solchen Rechtsgeschäft in sich schließe.

Das Berufungsgericht hat der Berufung der beklagten Partei Folge gegeben und die Oppositionsklage abgewiesen. Es hat die erstrichterlichen Feststellungen ausdrücklich übernommen und ist von der Ansicht ausgegangen, daß die ständige Duldung des Hofmeisters beim Pferdehandel eine solche Lage geschaffen habe, daß jeder annehmen konnte, er leite seine Vertretungsmacht von denen ab, die nach dem Gesetze (§ 6 des Ges. v. 13. Juni 1858, RGBl. Nr. 95) allein hiezu befugt seien, nämlich vom Abt oder vom Prior der beklagten Partei, die für das Stift zu handeln haben. Das Berufungsgericht ist aber auch der weiteren Meinung gewesen, daß das Erstgericht "zu Unrecht diesen Grundsatz noch für jene Zeit gelten lasse, als bereits die Forderung der beklagten Partei gegen den Kläger samt Zinsen und Prozeßkosten durch rechtskräftiges Urteil festgestellt war". Es sei nämlich durch die Einleitung des Exekutionstitelprozesses die Forderung aus dem Wirkungsbereiche des Pater A. herausgenommen worden. Von diesem Zeitpunkte hätten über diese Forderung nur mehr der Abt oder der Prior oder der mit Prozeßvollmacht der beklagten Partei ausgestattete Rechtsanwalt verfügen können, ohne daß Pater A. dabei mitzuwirken hatte, richtiger mitwirken durfte. Es handelte sich seither nicht mehr um die Kaufschillingsforderung von 5500 S allein, sondern auch um die Zinsen und die Kosten. Da, wie auf Grund der Parteienaussage des Abtes festgestellt sei, weder eine ausdrückliche noch eine stillschweigende Ermächtigung des Pater A. zu dem erwähnten Generalausgleich vorgelegen war, habe dem Hofmeister die Berechtigung zum Abschluß des Vergleiches vom 10. September 1951 gefehlt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Oppositionsklägers, der unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht, Folge und stellte das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Oberste Gerichtshof vermag die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß im konkreten Falle bei der Beurteilung der Frage des Vertrauens auf den äußeren Tatbestand zwischen dem Abschluß des Geschäftes und der Judikatschuld grundlegend unterschieden werden müsse, nicht zu teilen. Es steht übereinstimmend und unbekämpft fest, daß Pater A. berechtigt war, Geschäfte über Pferde selbständig abzuschließen, und daß er mit dem Kläger schon mehrmals solche Geschäfte, aber auch mit anderen Personen - gleichfalls über Pferde, Geschirr, landwirtschaftliche Geräte usw. - kraft der ihm vom Abte eingeräumten Vollmacht getätigt hatte. Es steht ferner fest, daß er berechtigt war, auch Preisnachlässe zu gewähren. Feststeht aber auch, daß der Kläger aus Anlaß des Vergleiches vom 10. September 1951 dem Pater A. gegenüber Bedenken in der Richtung geäußert habe, daß er außer dem bisher geschuldeten Kaufpreis auch dem Rechtsanwalt Kosten zu bezahlen habe, worauf, wie das Erstgericht als erwiesen annahm, Pater A. ausdrücklich erklärte, das gehe den Kläger nichts an, das sei Sache des Stiftes. Das Berufungsgericht hat diese Feststellungen zur Gänze übernommen.

Der Oberste Gerichtshof ist in diesem Falle aber nicht der Ansicht, daß der Kläger gerade deshalb, weil er beim Vergleichsabschluß dem Hofmeister des Stiftes gegenüber die Frage nach den Prozeßkosten angeschnitten habe, noch verpflichtet gewesen wäre, die Antwort des Pater A. zum Anlaß zu nehmen, sie auf ihre Richtigkeit, d. h. auf die Berechtigung A.s zum Abschluß des Vergleiches, zu überprüfen. Es kann aber nicht ernstlich gesagt werden, daß der Kläger, ein Pferdehändler, zwischen dem Pferdegeschäft als solchem und der später über dieses Geschäft entstandenen Judikatschuld unterscheiden mußte; man kann vielmehr aus dem festgestellten Verhalten des weitaus gebildeteren Hofmeisters bei diesem Vergleiche ungezwungen schließen, daß der Kläger in der hier in Betracht kommenden Frage schon deshalb keine Bedenken gegen den Abschluß des Vergleiches haben mußte, weil Pater A. sagte, jetzt seien sie quitt, und auch wünschte, daß zur Bekräftigung seiner weiteren Worte "jetzt seien sie wieder gut miteinander" der Kläger einen Liter Wein bezahlen soll dies alles nicht zuletzt deshalb, weil auch die Bestätigung, die die Billigung und die Unterschrift des Paters A. gefunden hat ausdrücklich dahin lautet: "so daß wir nachher (das heißt nach Bezahlung der 4500 S) keine Forderung mehr haben."

Das Schrifttum in Klangs Kommentar, 1. Aufl. zu § 1016 S. 830, besagt, daß Vertrauen auf den äußeren Tatbestand müsse seine Grundlagen in einer ausdrücklich konkludenten Willensäußerung des Vollmachtgebers haben, die diesen äußeren Tatbestand schaffe und die Überzeugung des Dritten von dem Vorhandensein dieser Vertretungsmacht begrunde. Es müsse also der Vollmachtgeber mitgewirkt haben, dieses Vertrauen auf den äußeren Tatbestand zu schaffen. Der Oberste Gerichtshof ist im konkreten Fall der Ansicht, daß dieses Vertrauen auf den äußeren Tatbestand dadurch gebildet wurde, daß das sonst für derartige Geschäfte zuständige Organ des Stiftes seinen Hofmeister mit der Durchführung aller Pferde- (oder anderen) Geschäfte beauftragte, aber nichts in der Richtung unternahm, für Dritte erkennbar klarzustellen, daß der Hofmeister wohl derartige Geschäfte abschließen und auch Gelder aus diesen Geschäften in Empfang nehmen dürfe, daß er aber einen einmal ausgehandelten oder gar im Urteilswege festgestellten Betrag allein nicht mehr abändern dürfe. Die beklagte Partei ließ - nach außen - derartige Pferdegeschäfte nur durch den Hofmeister des Stiftes abwickeln. Es liegt gerade im vorliegenden Falle der Gedanke nahe, im Sinne der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, GH. 1917 S. 167, zu sagen, "daß der Dritte (Kläger), wenn keine besonderen Verdachtsgrunde vorliegen, dem Vertreter hinsichtlich seiner tatsächlichen Angaben über den Umfang seiner Vollmacht trauen durfte". Mag man auch diesen Satz, obwohl die österreichische Rechtsprechung bei der Lösung des Problems des Vertrauens auf den äußeren Tatbestand vielfach sehr weit geht (ZBl. 1933 S. 948), nicht grundsätzlich in jedem Falle unterstellen können, so muß das Verhalten des Geschäftsherrn bei jedem konkreten Sachverhalt unter genauer Würdigung aller begleitenden Umstände geprüft werden.

Diese Untersuchung führt aber dazu, daß es zu weit führen würde, den Kläger hinsichtlich des Unterschiedes, den er nach der Meinung des Berufungsgerichtes zwischen dem Pferdegeschäft und der Judikatschuld über ein solches Geschäft machen sollte, darauf zu verweisen, daß im Prozesse ein Rechtsanwalt vertreten habe und nicht der Hofmeister Pater A. Dies geht schon deshalb nicht, weil bisher dem Kläger bei den Geschäften mit der beklagten Partei von dieser niemand anderer als der Pater Hofmeister gegenübergestellt wurde. Der Kläger mußte beim Vergleich auch in der Frage der Kosten deshalb keine Bedenken tragen, weil im Rechtsstreite vom Prozeßvertreter der beklagten Partei das Pfandrecht nach § 19a RAO. nicht geltend gemacht wurde. Auch im vorliegenden Prozeß war auf das gesetzliche Pfandrecht des Rechtsanwaltes aus dem Exekutionstitelprozesse nicht von Amts wegen Bedacht zu nehmen (RZ. 1937 S. 518). Schließlich muß dem Kläger auch der Grundsatz zugute gehalten werden, daß die Kosten (von den Zinsen gilt dies ohne Frage) nicht Kosten des Rechtsanwaltes, sondern Kosten der Partei, das ist im vorliegenden Fall des Stiftes, sind. Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, mußten dem Kläger keine neuerlichen Bedenken entstehen, wenn der Hofmeister des Stiftes ihm bei der Anschneidung der Kostenfrage die Antwort gab, das gehe ihn (Kläger) nichts an, das sei Sache des Stiftes. Es kann daher nicht gesagt werden, daß der Kläger in jeder Hinsicht auf eigene Gefahr gehandelt habe, wenn er einen Generalvergleich mit dem Hofmeister der beklagten Partei abgeschlossen hat, vielmehr hat unter diesen Umständen es der Vertreter (Vollmachtsträger) dem Vertretenen (Vollmachtsgeber) gegenüber allein zu verantworten, wenn er beim Vergleich über eine Judikatschuld seine Vollmacht überschritten hat. Aus diesen Erwägungen war daher der Revision stattzugeben und in Abänderung des berufungsgerichtlichen Urteiles das der ersten Instanz wiederherzustellen.

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