Spruch:
Die Unterlassung der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruches kann eine nach § 7 AnfO. anfechtbare Rechtshandlung darstellen.
Entscheidung vom 27. Oktober 1954, 3 Ob 725/54.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Klägerin, die mj. eheliche Tochter des Erstbeklagten, stellt das Begehren, 1. die von Johann V. in der Verlassenschaftssache nach Theresia S., abgegebene Erklärung, auf den Pflichtteilsanspruch zu verzichten, sei gegenüber der klagenden Partei unwirksam, 2. die von der Zweitbeklagten erwirkte Einantwortung des Nachlasses nach Theresia S. sei der Klägerin gegenüber bis zur Höhe des Pflichtteiles, höchstens aber bis zum Betrage der vollstreckbaren Forderung gegen den Erstbeklagten in Höhe von 5730.65 S samt Zinsen und Kosten unwirksam, 3. der Erstbeklagte sei schuldig, die sofortige Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruches nach Theresia S., soweit es zur Befriedigung der Forderung der klagenden Partei von 5730.54 S samt Zinsen und Kosten erforderlich sei, durch die klagende Partei zu dulden, 4. die Zweitbeklagte sei schuldig, den Klagsbetrag von 5730.65 S samt 4% Zinsen vom Klagstag zu bezahlen. Das Klagebegehren ad 4 wurde im Zuge des Verfahrens auf 5672.25 S eingeschränkt und von der Klägerin die Erklärung abgegeben, daß sie mit Rücksicht auf die Möglichkeit künftiger Unterhaltsforderungen die Wirksamkeit des in der Sache erfließenden Urteiles für die künftigen Unterhaltsforderungen beantrage. Sie begrundet ihren Klagsanspruch damit, der Erstbeklagte schulde der Klägerin an rückständigen Unterhaltsbeiträgen für die Zeit vom 15. Jänner 1948 bis 24. Jänner 1952 den Klagsbetrag, zu dessen Hereinbringung wiederholt gegen den Erstbeklagten erfolglos Exekution geführt worden sei. Die Mutter des Erstbeklagten, Theresia S., habe in einem Testament nicht diesen, sondern die Zweitbeklagte, die der Erstbeklagte nach Scheidung seiner Ehe mit der Mutter und Vormunderin der Klägerin im Dezember 1952 geheiratet habe, zur Universalerbin eingesetzt, der Erstbeklagte habe im Nachlaßverfahren nach Theresia S. die Erklärung abgegeben, den Pflichtteil auszuschlagen, der ungefähr 20.000 S betrage. Diese Ausschlagung sei in der Absicht erfolgt, die Klägerin zu benachteiligen, zumal der Erstbeklagte vorher rechtskräftig wegen Übertretung des Unterhaltsschutzgesetzes verurteilt worden sei und die Strafe bereits verbüßt habe. Die Benachteiligungsabsicht sei der Zweitbeklagten bekanntgewesen bzw. habe ihr diese bekannt sein müssen. Da die Forderung der Klägerin vollstreckbar sei, werde das oben angeführte Klagebegehren gestellt.
Das Prozeßgericht wies das Begehren auf Unwirksamerklärung der Erklärung des Erstbeklagten in der Verlassenschaftssache nach Theresia S., auf den Pflichtteilsanspruch zu verzichten, ab, erklärte den Erstbeklagten schuldig, die sofortige Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruches nach Theresia S., soweit es zur Befriedigung der Unterhaltsforderung der Klägerin von 5672.25 S und der künftig fällig werdenden Unterhaltsforderungen samt Zinsen und Kosten erforderlich sei, zu dulden, sprach aus, daß die Einantwortung des Nachlasses nach Theresia S. an die Zweitbeklagte gegenüber der Klägerin bis zur Höhe der vollstreckbaren Forderung von 5672.25 S und der künftig fällig werdenden Unterhaltsbeiträge samt Zinsen und Kosten bis zur Höhe des Pflichtteiles des Erstbeklagten unwirksam sei, und erkannte die Zweitbeklagte schuldig, der Klägerin den Betrag von 5672.25 S samt 4% Zinsen seit dem Klagstage zu bezahlen. Es stellte fest, daß als einziger gesetzliche Erbe der am 1. Feber 1953 verstorbenen Theresia S. nur der Erstbeklagte in Betracht komme, daß aber Theresia S. in ihrem Testament die Zweitbeklagte zur Universalerbin eingesetzt und dem Erstbeklagten auf Lebensdauer das unentgeltliche ausschließliche Wohnungsrecht an zwei Zimmern, einer Küche und einer Veranda des den Nachlaß bildenden Hauses, somit an der ganzen in den Nachlaß fallenden Liegenschaft, eingeräumt habe, daß die Zweitbeklagte die unbedingte Erbserklärung zum Nachlaß der Theresia S. abgegeben, der Erstbeklagte jedoch vor Gericht erklärt habe, Pflichtteilsrechte nicht in Anspruch zu nehmen. Dieser Pflichtteilsanspruch würde mindestens 20.261.05 S betragen. Schon vor dem Tode der Theresia S. habe die Zweitbeklagte davon Kenntnis gehabt, daß der Erstbeklagte Unterhaltsrückstände von zirka 5000 S gegenüber der Klägerin habe auflaufen lassen und daß er wegen Verletzung der Unterhaltspflicht vom Jugendgerichtshof zu einem Monat Arrest verurteilt worden sei. Die klagsgegenständliche Forderung bestehe im vollen Umfange zu Recht. Daß der Erstbeklagte der Klägerin selbst Unterhaltszahlungen geleistet habe, sei nicht bewiesen, ebenso nicht, daß der Erstbeklagte irgendwelche Vorausempfänge von der Erblasserin erhalten habe. Das Wohnungsrecht sei ebensowenig in Anschlag zu bringen, wie der Verzicht der Erblasserin auf ihre Fuhrwerkskonzession zugunsten des Erstbeklagten. Es sei somit erwiesen, daß der Erstbeklagte (gemeint offenbar bei seinem Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch) die Absicht gehabt habe, die Klägerin um ihren Anspruch zu bringen, und daß die Zweitbeklagte diese Benachteiligungsabsicht des Erstbeklagten zumindest habe erfassen und wissen müssen. Es sei daher der Klagsanspruch mit Ausnahme des Punktes 1 des Klagebegehrens begrundet, welch letzteres deshalb habe abgewiesen werden müssen, weil der Erstbeklagte auf seinen Pflichtteilsanspruch nicht verzichtet, sondern nur sein diesbezügliches Recht absichtlich nicht angemeldet habe.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Hinsichtlich des Erstbeklagten verwies das Berufungsgericht darauf, daß sich der Anfechtungsanspruch nur gegen diejenige Person richten könne, die durch die anzufechtende Rechtshandlung begünstigt worden sei. Überdies könne das Begehren der Anfechtungsklage nur auf Leistung lauten, die Feststellung der Unwirksamkeit des angefochtenen Geschäftes sei nur in den Urteilsgrunden auszusprechen. Auch könne nicht die Einantwortung des Nachlasses an die Zweitbeklagte Gegenstand der Anfechtung sein, sondern nur die Rechtshandlung des Erstbeklagten, nämlich die Unterlassung der Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruches. Hinsichtlich der Zweitbeklagten leide das Verfahren an zahlreichen Mängeln. So sei vom Prozeßgericht nicht geprüft worden, ob die Unterhaltsforderung der Klägerin mit Rücksicht auf die behauptete Erwerbslosigkeit des Erstbeklagten nach Grund und Höhe bestehe oder ob sie trotz ihrer Vollstreckbarkeit mangels eines Einkommens des Erstbeklagten überhaupt nicht entstanden sei. Weiters habe das Prozeßgericht zu Unrecht von der Vernehmung der von der Zweitbeklagten beantragten Zeugin Maria F. über die von der Zweitbeklagten behaupteten Vorausempfänge des Erstbeklagten Abstand genommen. Es sei auch die Ansicht des Prozeßgerichtes unrichtig, daß das lebenslängliche unentgeltliche Wohnungsrecht, das dem Erstbeklagten auf Grund des Testamentes eingeräumt wurde, für die Anrechnung nicht in Betracht komme, obwohl es nach § 144 EO. und § 21 RealschätzG. geschätzt und daher bewertet werden könne, sofern es nicht überhaupt, da es sich auf das ganze Haus erstrecke, nach § 521 ABGB. als Fruchtgenußrecht zu beurteilen wäre. Das Berufungsgericht gelangte aber trotz Vorliegens dieser wesentlichen Verfahrens- und Feststellungsmängel nicht zu einer Aufhebung des bezüglichen Punktes des Urteiles, weil es der Meinung war, daß die Unterlassung der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruches keine nach § 7 AnfO. zu beurteilende Rechtshandlung sei, da der Erwerb des Pflichtteilsanspruches nicht durch das Gesetz allein geschehe, sondern einer positive Handlung, nämlich der Anmeldung im Verlassenschaftsverfahren oder der Klage bedürfe. Andernfalls liege nur eine Anwartschaft auf den Pflichtteil vor, sodaß eine anfechtbare Rechtshandlung in der Unterlassung der Anmeldung oder der Klage nicht liege.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin zum Teil Folge, hob die Urteile der Untergerichte, die im übrigen unberührt gelassen bzw. bestätigt wurden, im Ausspruch über das Zahlungsbegehren gegen die Zweitbeklagte und im Kostenausspruch auf und trug dem Erstgerichte die neuerliche Verhandlung und Urteilsfällung im Umfange der Aufhebung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Revision ist zum Teil begrundet. Es kommt ihr allerdings keine Berechtigung zu, soweit sie sich gegen die Abweisung des Begehrens auf Unwirksamerklärung der Einantwortung des Nachlasses nach Theresia S. an die Zweitbeklagte dieser gegenüber bis zur Höhe der vollstreckbaren Forderung von 5672.25 S und der künftig fällig werdenden Unterhaltsbeiträge samt Zinsen und Kosten richtet. Denn die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß der Anfechtungsanspruch nur auf Leistung und nicht auf Unwirksamerklärung der anzufechtenden Rechtshandlung gerichtet werden kann, steht mit der Rechtssprechung (SZ. III/114, SZ. X/6, SZ. XI/262, SZ. XII/69, EvBl. 1954 Nr. 104, JBl. 1954 S. 230, 3 Ob 129/53 u. a. m.) in voller Übereinstimmung. Es ist aber auch dem Berufungsgerichte beizupflichten, daß nach dem Klagsvorbringen nicht die Einantwortung des Nachlasses der Theresia S. an die Zweitbeklagte, sondern die unterlassene Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches des Erstbeklagten als anfechtbare Rechtshandlung bezeichnet wird, gegen die sich die Klage richtet. Im übrigen bringt die Revision nichts vor, was gegen die Richtigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes sprechen würde.
Hingegen ist die Revision begrundet, soweit sie die Meinung des Berufungsgerichtes bekämpft, daß die Unterlassung der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruches keine nach § 7 AnfO. zu beurteilende Rechtshandlung darstelle. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung SZ. XV/233, auf deren eingehende Begründung verwiesen wird, den Standpunkt vertreten, daß auch die Unterlassung der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruches nach § 7 AnfO. behandelt werden kann. Diese Rechtsansicht wurde vom Obersten Gerichtshof auch in späteren Entscheidungen, so 2 Ob 584/53, aufrechterhalten; es besteht kein Grund, von dieser Rechtsansicht abzugehen. Der gegenteiligen Meinung von Weiss in Klang 2. Aufl. 3. Bd. S. 863 kann nicht beigepflichtet werden, weil der Pflichtteilsanspruch ein in abstracto bestehendes Recht darstellt, und auch vor der Geltendmachung abtretbar, verpfändbar und vererblich (§ 293 Abs. 4 EO., SZ. X/159, SZ. XV/233) und nur hinsichtlich seiner exekutiven Pfändbarkeit beschränkt ist. Da dieser Pflichtteilsanspruch ein Vermögensrecht darstellt, welches dem Pflichtteilsberechtigten bereits auf Grund des Gesetzes zusteht, stellt die Unterlassung der Geltendmachung dieses Anspruches in der Absicht, die Befriedigung eines Gläubigers zu vereiteln oder zu benachteiligen, eine nach § 7 AnfO. anfechtbare Rechtshandlung dar. Was aber die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches anlangt, so besteht zwischen diesem und dem Erbrecht insofern kein Unterschied, als beide Rechte nach dem Gesetze zustehen, aber durch Anmeldung bzw. Erbserklärung geltend zu machen sind. Entgegen der in der Revisionsbeantwortung der Zweitbeklagten dargelegten Meinung liegt in der vor dem Gerichtskommissär im Abhandlungsverfahren abgegebenen Erklärung des Noterben. Pflichtteilsrechte nicht in Anspruch nehmen zu wollen, ein ausdrücklicher Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch, den auch das Abhandlungsgericht im Beschluß vom 11. März 1953, A 114/53-4, zur Kenntnis genommen hat. Die Ansicht der Zweitbeklagten, der Erstbeklagte habe durch die Unterlassung der Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruches sein Recht auf den Pflichtteil noch nicht verloren, weil die Frist des § 1487 ABGB. noch nicht verstrichen sei, ist daher verfehlt.
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