OGH 2Ob483/54

OGH2Ob483/546.10.1954

SZ 27/248

Normen

ABGB §918
ABGB §1052
ABGB §918
ABGB §1052

 

Spruch:

Bei Sukzessivlieferungsverträgen ist der Verkäufer bis zur Bewirkung der Gegenleistung für die erste Lieferung berechtigt, die zweite Lieferung zurückzuhalten.

Entscheidung vom 6. Oktober 1954, 2 Ob 483/54.

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Mit dem Schlußbrief vom 20. April 1950 verkaufte die klagende Partei der beklagten Partei zwei Partien Textilwaren. Nach dem Schlußbrief waren 50 Prozent des Kaufpreises bei Übernahme der Ware und der Rest 30 Tage nach Ausstellung der Faktura zu bezahlen. Beide Partien Waren sollten durch die Firma "I." auf Kosten der beklagten Partei übersendet werden. Die erste Partie der Ware wurde von der klagenden Partei am 20. April 1950 ausgeliefert. Die beklagte Partei zahlte bis 25. Mai 1950 nur einen Betrag von 37.041.37 S, der Restbetrag von 18.041.37 S ist noch unberichtigt. Die Waren der zweiten Partie standen der klagenden Partei bereits anfangs Mai 1950 zur Verfügung, wurden aber von ihr anderweitig verkauft. Im Zuge des mit der beklagten Partei geführten Briefwechsels machte die klagende Partei späterhin geltend, daß der Restkaufpreis auf die erste Lieferung trotz Fälligkeit noch nicht bezahlt sei und daß sie die zweite Lieferung bis zum Einlaufen des Restkaufpreises für die erste Lieferung nicht durchführen werde. Die beklagte Partei war bereits seit Sommer 1949 in unsicheren Vermögensverhältnissen, die die Einleitung eines Konkursverfahrens als möglich erscheinen ließen. Am 28. Mai 1952 wurde über das Vermögen der beklagten Partei der Konkurs eröffnet, der am 31. März 1953 mit Zustimmung sämtlicher Gläubiger gemäß § 167 KO. wieder aufgehoben wurde.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die klagende Partei von der beklagten Partei die Bezahlung des Restkaufpreises der ersten Lieferung im Betrage von 18.041.37 S s. A. Die beklagte Partei wendet aufrechnungsweise eine Schadenersatzforderung im Betrage von 18.307 S ein, die ihr aus der unterbliebenen Lieferung der zweiten Partie der Waren entstanden sei.

Das Erstgericht erkannte, daß die Gegenforderung der beklagten Partei im Betrage von 18.307 S nicht zu Recht bestehe, und verurteilte die beklagte Partei zur Bezahlung des Klagsbetrages. Die klagende Partei sei zur Verweigerung der Lieferung der zweiten Partie bis zur Bewirkung oder Sicherstellung der Gegenleistung berechtigt gewesen. Da sie nicht in Verzug geraten sei, sei der Schadenersatzanspruch der beklagten Partei nicht begrundet.

Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil mit Rechtskraftvorbehalt auf. Der klagenden Partei sei nur das Recht zugestanden, die Zahlung oder Sicherstellung des Kaufpreises für die zweite Warenpartie zu begehren, nicht aber die Zahlung oder Sicherstellung einer anderen, bereits gelieferten Partie. Sie habe ihre Weigerung, die zweite Partie zu liefern, schon zu einem Zeitpunkt erklärt, zu dem die Restforderung noch nicht fällig gewesen sei. Das gegenständliche Geschäft sei ein Fixgeschäft, weil vereinbart worden sei, daß die zweite Partie nach Einlangen sofort geliefert werde, und für beide Teile klar gewesen sei, daß die Lieferung der zweiten Partie für die beklagte Partei nur dann von Interesse sein könne, wenn sie zeitgerecht erfolgt. An der Lieferung der im Frühjahr 1950 modern gewesenen Muster habe die beklagte Partei derzeit kein Interesse mehr. Die beklagte Partei sei berechtigt, gemäß § 376 HGB. von der klagenden Partei Schadenersatz wegen Nichterfüllung zu fordern. Das Erstgericht habe daher die Höhe des von der beklagten Partei geltend gemachten Schadens zu erheben und festzustellen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin Folge und trug dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Beklagten auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rechtsprechung hat in der Entscheidung vom 20. Oktober 1932, Rechtsprechung XV/3, den Grundsatz ausgesprochen, daß die Einrede des nicht erfüllten Vertrages auch dann durchgreift, wenn die Gegenleistung aus einem früheren Vertrag ausbleibt und der neue Vertrag von deren Fälligkeit geschlossen war. Dieser Standpunkt wird von Bettelheim in Klangs Kommentar zum § 1052 ABGB. als zu weitgehend bezeichnet. Jedenfalls kann aber bei Sukzessivlieferungsverträgen die Einrede schon dann erhoben werden, wenn die fällige Gegenleistung für eine früher bewirkte Einzelleistung ausgeblieben ist (Bettelheim a. a. O., Ehrenzweig, Recht der Schuldverhältnisse, 1928, § 321/I). Auch bei verkoppelten Verträgen rechtfertigt der von beiden Parteien hergestellte Zusammenhang die Zurückhaltung der Leistung aus dem einen Vertrag bei Nichterfüllung des anderen (Ehrenzweig a. a. O.). Der Zusammenhang zwischen beiden Kaufverträgen wird nicht nur durch den einheitlichen Schlußbrief, sondern auch durch die Gleichheit der Zahlungsbedingungen und der Vereinbarung über die Durchführung des Versandes hergestellt. Bei einem derartigen Zusammenhang zwischen den beiden Lieferungen ist der Verkäufer berechtigt, die Lieferung der zweiten Partie zurückzuhalten, wenn die fällige Gegenleistung für eine früher verwirkte Einzelleitung ausgeblieben ist. Die beklagte Partei hat der klagenden Partei mit dem Schreiben vom 9. Juni 1950 für die Lieferung der zweiten Partie eine Nachfrist bis 16. Juni 1950 gesetzt und damit zum Ausdruck gebracht, daß ihr Interesse an der Lieferung jedenfalls bis zum Ende der Nachfrist noch bestanden hat. Bereits vorher, nämlich am 1. Juni 1950, hat die klagende Partei die zweite Lieferung vom Eingang des Kaufpreises für die erste Partie abhängig gemacht. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes hatte die klagende Partei bei Abschluß des Kaufvertrages vom 20. April 1950 die schlechten Vermögensverhältnisse der beklagten Partei weder gekannt noch kennen müssen. Das Erstgericht hat in diesem Punkte auch festgestellt, daß die beklagte Partei vor Weihnachten 1949 größere Warenmengen als Muster zur Ansicht an Kunden übersandte, ihrer Kreditgeberin, der Bank für Oberösterreich und Salzburg die Warenaussendung jedoch als Geschäftsabschlüsse vorlegte, um auf Grund der angeblichen Geschäftsabschlüsse Kredite zu erhalten. Bei dieser Sachlage kann eine schuldbare Unkenntnis der schlechten Vermögensverhältnisse der beklagten Partei nicht angenommen werden. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen war die klagende Partei bis zur Bewirkung der Gegenleistung für die erste Lieferung berechtigt, die zweite Lieferung zurückzuhalten. Der angefochtene Beschluß war daher aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei aufzutragen.

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