OGH 1Ob408/54

OGH1Ob408/5430.6.1954

SZ 27/186

Normen

Erste Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §81
ZPO §416
Erste Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §81
ZPO §416

 

Spruch:

Wirkungslosigkeit des Scheidungsurteils, wenn eine Partei nach der Verkundung des Scheidungsurteiles und nach dem im Anschluß daran von den Parteien erklärten Rechtsmittelverzicht, aber vor der Zustellung der Urteilsausfertigung stirbt.

Entscheidung vom 30. Juni 1954, 1 Ob 408/54.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Auf Grund der Scheidungsklage des Paul Franz H. gegen Gisela H. wurde die Ehe der beiden geschieden; beide Parteien verzichteten nach der Verkundung des Urteils im Anschluß an die Verhandlung vom 13. März 1954 auf Rechtsmittel. Die Urteilsausfertigungen wurden den Parteienvertretern erst am 18. März 1954 zugestellt. Gisela H. stellte im Hinblick darauf, daß Paul Franz H. am 13. März 1954 gestorben ist, den Antrag auszusprechen, daß das am 13. März 1954 verkundete Urteil gemäß § 81 der ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz wirkungslos sei.

Das Erstgericht gab diesem Antrag mit der Begründung statt, würde der Eintritt der rechtsgestaltenden Wirkung des Scheidungsurteiles auf den vor der Urteilszustellung erklärten Rechtsmittelverzicht vorverlegt, so stunde dies mit § 416 ZPO. im Widerspruch. Im § 81 der ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz sei unter Rechtskraft nicht die formelle Rechtskraft, sondern der Eintritt der materiellen Wirksamkeit des Urteiles zu verstehen. Paul Franz H. sei in einem Augenblick gestorben, als das verkundete Urteil noch nicht die Scheidung der Ehe herbeigeführt habe.

Das Rekursgericht wies in Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses den Antrag der Gisela H. im wesentlichen aus der Erwägung ab, daß in den §§ 46 EheG., 79 Abs. 2 und 81 der ersten Durchführungsverordnung hiezu sowie in § 1 der fünften Durchführungsverordnung zum Ehegesetz unter Rechtskraft nur die formelle Rechtskraft zu verstehen sei und diese schon im Zeitpunkte des Rechtsmittelverzichtes eintrete. Die Wirksamkeit des Urteiles im Sinne des § 416 ZPO. könne nicht mit der Rechtskraft gleichgestellt werden. Die Wirkung des Urteiles, nämlich die Auflösung der Ehe, müsse vielmehr für den Fall eines von beiden Teilen erklärten Rechtsmittelverzichtes auf den Zeitpunkt der Erklärung dieses Verzichtes zurückbezogen werden, gleichgültig wann die Zustellung des Urteiles erfolge. Voraussetzung hiefür sei allerdings eine ordnungsgemäße Zustellung.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der beklagten Partei Folge und stellte in Abänderung des zweitinstanzlichen Beschlusses den erstgerichtlichen Beschluß wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wie Novak (Die Amtswegigkeit im österr. Eheverfahren S. 51 ff.) zutreffend ausgeführt hat, stellen die Prozeßführungsbeschränkungen der §§ 81 und 84 der ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz nur prozeßrechtliche Folgerungen aus dem materiellen Rechte dar. Da der Tod eines Ehegatten die Ehe sofort zur Auflösung bringt, ist eben eine Auflösung der Ehe durch gerichtliche Entscheidung nicht mehr möglich. Nach § 416 Abs. 1 ZPO. wird das Urteil den Parteien gegenüber, von den besonderen Fällen des § 416 Abs. 3 ZPO. abgesehen, erst mit der Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung wirksam. Nach den ausdrücklichen Vorschriften der Abs. 1 und 2 des § 416 ZPO. kommt somit der Urteilsverkundung lediglich die Bedeutung zu, daß das Gericht an die verkundete Entscheidung gebunden ist. Die Zustellung ist demnach nicht bloß für den Beginn der Rechtsmittel- und Leistungsfristen, sondern überhaupt für die Wirksamkeit des Urteils gegenüber den Parteien, aber auch gegenüber dritten Personen, sofern eine solche in Frage kommt, maßgebend. Vor der Zustellung ist demnach ein extern wirksames Urteil überhaupt noch nicht vorhanden. Dem Rechtsmittelverzicht kommt lediglich die Bedeutung eines Ausschlusses der Anfechtbarkeit zu. Dafür, daß er darüber hinaus der Entscheidung volle Wirksamkeit zu verleihen vermag, fehlt im Gesetze ein hinreichender Anhaltspunkt. Diese Wirkung könnte, wie sich aus § 416 Abs. 3 ZPO. für die dort aufgezählten Fälle ergibt, nur der Verkundung zukommen und müßte dies aber dann auch für die Verkundung von Entscheidungen zutreffen, die kraft gesetzlicher Vorschrift von vornherein unanfechtbar sind. Daß letzteres der Fall ist, wird abgesehen davon, daß § 416 Abs. 1 ZPO. eine solche Wirkung grundsätzlich ausschließt, auch von jener Seite nicht behauptet, die dem Rechtsmittelverzicht eine derartige Bedeutung zuerkennt (vgl. AV. v. 15. September 1942, Deutsche Justiz S. 606 Nr. 350 A). Novak (JBl. 1946 S. 136) hat daher völlig zutreffend ausgeführt, daß es auch im Falle des Rechtsmittelverzichtes gemäß § 416 Abs. 1 ZPO. an sich auf die Zustellung der Urteilsausfertigung ankommt, und hat seinen Standpunkt, daß gleichwohl die Urteilswirkungen auf die Verkundung rückzubeziehen seien, darauf gestützt, daß dieselben Erwägungen, die der abweichenden Regelung des § 416 Abs. 3 ZPO. für die dort aufgezählten Fälle zugrunde gelegen sind, auch für den Rechtsmittelverzicht zutreffen. Dies mag durchaus richtig sein, kann aber nichts daran ändern, daß der Gesetzgeber eben den Fall des Rechtsmittelverzichtes im § 416 Abs. 3 ZPO. nicht einbezogen hat, ohne daß ein Anhaltspunkt dafür vorliegt, daß es sich hiebei um ein Versehen gehandelt habe. Übrigens wäre auch im Falle des Rechtsmittelverzichtes nach Urteilsverkundung das Verfahren durch den Tod einer nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten vertretenen Partei gemäß § 155 ZPO. unterbrochen und könnte während der Dauer dieser Unterbrechung die Zustellung der Ausfertigungen des vorher verkundeten Urteils nicht vorgenommen werden (vgl. Neumann, Komm. zur ZPO. I, S. 748). Liegt somit, abgesehen von der Bindung des Gerichtes, ein wirksames Urteil vor der Zustellung der Ausfertigungen an die Parteien nach § 416 Abs. 1 ZPO. überhaupt nicht vor, so muß dies umsomehr für Rechtsgestaltungsurteile gelten, deren Wirkung ja gerade darin besteht, daß sie Änderungen der materiell rechtlichen Rechtslage herbeiführen. Deshalb muß es schon sehr zweifelhaft erscheinen, ob tatsächlich in den §§ 46 EheG., 79 Abs. 2 und 81 der ersten Durchführungsverordnung hiezu unter Rechtskraft die formelle Rechtskraft zu verstehen ist. Wäre dies aber selbst der Fall, so muß jedenfalls nach § 416 Abs. 1 ZPO. zur Unanfechtbarkeit die Zustellung der Urteilsausfertigungen hinzukommen, damit der verkundete Ausspruch der Rechtsgestaltung wirklich die Auflösung der Ehe herbeizuführen vermag. Wird die Ehe vorher durch den Tod eines Gatten aufgelöst, so ist für eine Auflösung durch Richterspruch kein Raum mehr und das nachträglich zugestellte Rechtsgestaltungsurteil daher wirkungslos (vgl. hiezu Schwind, Komm. zum EheG., S. 183, 322, Sperl, Lehrbuch, S. 522, 524). Nichts anderes als diese Feststellung strebt aber Gisela H. mit ihrem Antrage an. Da Paul Franz H. zwar nach der Verkundung des Urteils und nach dem im Anschluß daran von den Parteien erklärten Rechtsmittelverzicht, aber vor der Zustellung der Urteilsfertigungen an die Parteienvertreter gestorben ist, ist das Scheidungsurteil gemäß § 81 der ersten Durchführungsverordnung wirkungslos geworden. Die Feststellung der Wirkungslosigkeit eines Eheauflösungsurteiles ist allerdings im § 81 der ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz nicht ausdrücklich vorgesehen. Ein derartiger Ausspruch ist jedoch erforderlich, um die bereits vorgenommene Eintragung der erfolgten Scheidung in den Personenstandsbüchern wieder zu beseitigen. In Wirklichkeit handelt es sich dabei eigentlich um eine Aufhebung der Rechtskraftbestätigung.

Demnach ist der erstrichterliche Beschluß zutreffend. Es mußte daher dem Revisionsrekurs Folge gegeben und in Abänderung der angefochtenen Entscheidung der erstrichterliche Beschluß wiederhergestellt werden.

Zur Frage der Kostenersatzpflicht sei bemerkt, daß das Scheidungsverfahren noch nicht beendet ist, es sich also hier noch um einen Teil dieses Verfahrens handelt, über die Frage der Wirkungslosigkeit des Scheidungsurteiles zwischen den Parteien Streit besteht und daher die Anwendung der §§ 41, 50 ZPO. gerechtfertigt erscheint.

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