Spruch:
Kosten der Vertretung eines Mitgliedes des Aufsichtsrates einer Aktiengesellschaft sind mit der Ausübung des Amtes verbundene Barauslagen.
Entscheidung vom 16. Juni 1954, 1 Ob 374/54.
I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Der in New York wohnhafte Kläger Joseph W. behauptet, Mitglied des Aufsichtsrates der beklagten Aktiengesellschaft E. bis 4. September 1952 gewesen zu sein. Auch der von ihn vertretene Dr. Leopold W. habe bis zu seinem am 17. Jänner 1953 eingetretenen Tod diese Funktion innegehabt. In der Klage wird gemäß § 15 Abs. 1 der Satzung die Bezahlung der Vertretungskosten der klagenden Partei für neun Aufsichtsratssitzungen (vom 14. September 1950 bis 15. Dezember 1952) und sechs Hauptversammlungen, der Zeitversäumnis des Rechtsanwaltes der klagenden Partei, der Barauslagen, Reisekosten, der Briefe samt Rechtsgutachten, der Luftpostporti, der Telegramme, der Kosten der von der klagenden Partei beim Kreisgericht Wels zu 1 Cg 422/50 geführten Anfechtungsklage, der Kosten der Bemühungen für die Bildung einer Aktionärsmehrheit, der Kosten eines Antrages auf Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung und der Kosten des Einschreitens gegen den Rechtsanwalt Dr. St. wegen 58 Aktien im Gesamtbetrag von 69.557.62 S begehrt.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Die Tätigkeit der Mitglieder des Aufsichtsrates einer Aktiengesellschaft sei grundsätzlich unentgeltlich. Nach § 15 der Satzung der Beklagten stehe den Mitgliedern des Aufsichtsrates zwar der Ersatz ihrer bei der Ausübung des Amtes entstandenen baren Auslagen sowie ein Anteil am Reingewinn zu, was nach § 98 AktG. wirksam habe zugesichert werden können. Unter Barauslagen könnten nach der Ansicht des Erstgerichtes aber nur die Kosten der unmittelbar zugunsten der Gesellschaft aufgewendeten Leistungen verstanden werden. Bleibe ein Aufsichtsratsmitglied nach seiner Wahl in Amerika wohnen, müsse es die ihm erwachsenden Kosten seiner Vertretung bei der Amtsführung des Aufsichtsrates aus der anteilsmäßigen Tätigkeitsvergütung tragen, zumal da der Gesellschaft kein Vorteil daraus erwachse, daß ein Mitglied des Aufsichtsrates sein Amt durch Stellvertreter (§ 93 Abs. 3 AktG.) ausübte. Es könne auch keineswegs als zulässig angesehen werden, daß die klagende Partei über die Kosten eines in W. dem Sitz der Beklagten, ansässigen Rechtsanwaltes hinaus Kosten eines auswärtigen Rechtsvertreters verlange. Was die Teilnahme der klagenden Partei an den Hauptversammlungen betreffe, handle es sich um ein bloßes Recht der Aufsichtsratsmitglieder, das den Ersatz nach § 15 der Satzung nicht zur Folge habe. Die Anfechtungsklage 1 Cg 422/50 sei von der klagenden Partei nicht in der Eigenschaft als Mitglied des Aufsichtsrates eingebracht worden. Das Bestreben, Aktionärsmehrheiten zu bilden, sei zwar zulässig, gehöre aber nicht zu den Obliegenheiten eines Aufsichtsratsmitgliedes, sondern zu den Befugnissen der Aktionäre. Der fehlgeschlagene Antrag, eine Hauptversammlung einzuberufen, könne nicht zum Anlaß genommen werden, die dadurch entstandenen Kosten von der Gesellschaft, die vom Antrag keinen Nutzen gehabt habe, ersetzt zu verlangen. Auch die angeblichen Schritte der klagenden Partei gegen den Rechtsanwalt Dr. St. hätten mit der Tätigkeit der klagenden Partei als Aufsichtsratsmitglieder nichts zu tun.
Infolge Berufung der klagenden Partei bestätigte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil insofern, als es das Begehren auf Ersatz eines Teilbetrages von 27.226.30 S (Bemühungen, eine Aktionärsmehrheit zu bilden, Kosten des Antrages auf Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung, Kosten des Einschreitens gegen den Rechtsanwalt Dr. St.) abgewiesen hatte. Im übrigen gab das Berufungsgericht der Berufung Folge, hob das erstgerichtliche Urteil in diesem Umfang unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes insofern, als es das Teilbegehren von 27.226.30S abgewiesen hatte. Das Berufungsgericht vertrat weiterhin aber im Gegensatz zum Erstgericht die Meinung, daß nach der Erfahrung die Gewährung von Vergütungen an Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft die Regel und Unentgeltlichkeit die Ausnahme bilde, wie ja das Amt solcher Mitglieder nicht der Ehre, sondern der Einkünfte wegen begehrt sei. Nach § 15 der Satzung könne ein außerhalb des Sitzes der Aktiengesellschaft wohnendes Mitglied des Aufsichtsrates die ihm durch die Zureise zu den Sitzungen des Aufsichtsrates und den dortigen Aufenthalt entstehenden Kosten ersetzt verlangen. Eine Beschränkung, daß solche Zureisekosten nicht zu zahlen seien, wenn das Aufsichtsratsmitglied in Amerika wohne ergebe sich aus der Satzung nicht. Wenn sich dieses an Stelle der persönlichen Zureise eines Vertreters als Sprachrohr bediene, handle es sich gleichfalls um eine zugunsten der Gesellschaft entfaltete Tätigkeit, die von der Beklagten vergütet werden müsse. Die Vertretung der klagenden Partei durch einen Rechtsanwalt sei bei der Bedeutung der beklagten Aktiengesellschaft zweckmäßig gewesen und es könne der klagenden Partei nicht zugemutet werden, an Stelle ihres ständigen Vertreters einen in W. ansässigen Rechtsanwalt zu bevollmächtigen. Ohne Durchführung eines Beweisverfahrens könne noch nicht geprüft werden, ob die begehrten Kosten der klagenden Partei "bei der Ausübung des Amtes" entstanden seien, wie es § 15 der Satzung fordere. Dies werde ebenso nachzuholen sein, wie die Klärung der Rechtsfrage, ob der Kläger sowohl im eigenen Namen als auch im Namen seines verstorbenen Bruders Dr. Leopold W. zur Klage legitimiert sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten gegen den Aufhebungsbeschluß des Rekursgerichtes nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Es kann unerörtert bleiben, welche Beweggrunde maßgebend sind, die das Amt eines Aufsichtsratsmitgliedes einer Aktiengesellschaft als erstrebenwert erscheinen lassen, sei dies nur die Wahrung der Interessen einer Aktionärsgruppe oder die in der Satzung zugesagte Bezahlung eines Entgelts. Maßgebend kann nur sein, inwieweit die Tätigkeit eines gewählten Aufsichtsratsmitgliedes zur Forderung, die bei Ausübung des Amtes entstandenen baren Auslagen ersetzt zu bekommen, berechtigt. Die Satzung der Beklagten (§ 15) läßt nicht erkennen, was unter baren Auslagen verstanden werden soll.
Die Meinung der Rekurswerberin, das Aufsichtsratsmitglied habe die Pflicht, am Sitz der Aktiengesellschaft zu wohnen, so daß es keinesfalls die Kosten einer Zureise begehren könne, kann nicht gebilligt werden. Eine solche Verpflichtung ergibt sich weder aus dem Aktiengesetz noch aus der Satzung der Beklagten. Es wäre auch widersinnig, Personen, die wie die klagende Partei zur Zeit der Wahl in den Vereinigten Staaten von Nordamerika ansässig war, zu zwingen, ihren Wohnsitz nach dem Sitz der Aktiengesellschaft zu verlegen. Die Beklagte mußte vielmehr damit rechnen, daß die klagende Partei ihre Rechte vom Auslande aus geltend machen würde.
Wenn die klagende Partei ihr Amt als Aufsichtsratsmitglied überhaupt wahrnehmen wollte, konnte sie dies, wenn sie nicht selbst nach Österreich kommen wollte oder konnte, nur durch einen Stellvertreter tun. Zwar läßt § 93 Abs. 3 AktG. eine vollwirksame Vertretung nicht zu. Immerhin kann sich der Vertreter mündlich äußern (vgl. Baumbach - Hueck, Kurzkommentar zum Aktiengesetz 7, S. 224) und schriftliche Erklärungen des Vertreters abgeben und als dessen "Sprachrohr" (Schlegelberger, Kommentar zum Aktiengesetz 3, S. 374) das Amt ausüben und damit die Interessen der Gesellschaft wahrnehmen. Es könnte dem Aufsichtsratsmitglied nicht zugemutet werden, auf diese Vertretung ganz zu verzichten und sich auf den schriftlichen Verkehr mit der Beklagten, der der Aufsichtsfunktion des Aufsichtsrates nicht gerecht werden könnte, zu beschränken. Der Oberste Gerichtshof billigt die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht, daß die Kosten, die mit einer solchen Vertretung verbunden sind, unter die zu ersetzenden Barauslagen fallen; allerdings dürften sie nicht höher sein als die Zureisekosten des Aufsichtsratsmitgliedes selbst. Freilich wird zu beachten ein, daß der Stellvertreter des Aufsichtsratsvorsitzenden nach § 12 Abs. 7 der Satzung (§ 93 Abs. 3 AktG.) nicht vertreten werden durfte und der Ersatz nur denjenigen Teil der Auslagen umfassen darf, der zur Ausübung des Amtes unbedingt erforderlich war. Sicherlich wird der klagenden Partei nicht verwehrt werden können, sich einer Person zu bedienen, die sich, wie es eben Rechtsanwälte sind, berufsmäßig für solche Vertretungen eignen. Es wird aber nicht gebilligt werden können, einen außerhalb des Sitzes der Gesellschaft tätigen Rechtsanwalt mit der persönlichen Vertretung zu beauftragen. Es wird vielmehr zumutbar sein, daß ein in W. tätiger Rechtsanwalt substituiert wird. Nur die dadurch verminderten Kosten werden zugesprochen werden können. Dies gilt auch für die möglicherweise zu honorierende Anwesenheit bei Hauptversammlungen und für weitere Leistungen.
Wie das Berufungsgericht bereits ausgeführt hat, wird das Erstgericht klarzustellen haben, ob und inwieweit die von der klagenden Partei begehrten Ersätze Barauslagen betreffen, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied stehen. Sofern sie sich auf andere Interessen der klagenden Partei (etwa als Aktionär) beziehen, könnten sie nicht verlangt werden. Es wird auch festzustellen sein, inwieweit die von der klagenden Partei begehrten Beträge von ihr überhaupt schon bezahlt worden sind, da es sich nach § 15 Abs. 1 Satzung um "entstandene" bare Auslagen handeln muß. Ebenso wird die rechtliche Stellung des Klägers als Vertreters des Dr. Leopold W. aufzuklären sein.
Das Verfahren des Erstgerichtes ist - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - mangelhaft geblieben, so daß das erstgerichtliche Urteil mit Recht aufgehoben worden ist.
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