OGH 1Ob148/54

OGH1Ob148/5426.5.1954

SZ 27/149

Normen

ZPO §530 Abs1 Z7
ZPO §534
ZPO §538
ZPO §543
ZPO §530 Abs1 Z7
ZPO §534
ZPO §538
ZPO §543

 

Spruch:

Im iudicium rescindens muß durch die Aufnahme von Beweisen die Richtigkeit des Klagsvorbringens über das Vorliegen des geltend gemachten Wiederaufnahmsgrundes nach § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO., die Rechtzeitigkeit der Klage und der Mangel eines Verschulden des Klägers an der Kenntnis erst nach Schluß der Verhandlung erster Instanz im Hauptprozeß geprüft werden.

Entscheidung vom 26. Mai 1954, 1 Ob 148/54.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Erstgericht hat das Klagebegehren auf Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens in der Rechtssache Gustav P. gegen Franziska H. wegen Ungültigkeit eines Testamentes zu 15 Cg 5/52 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien abgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt:

Im Vorprozeß 15 Cg 5/52 habe der nunmehrige Beklagte die nunmehrige Klägerin auf Feststellung geklagt, daß ihm auf Grund des Gesetzes das Erbrecht zum Nachlaß des am 13. Oktober 1951 verstorbenen Rudolf P. zustehe. Dieser Klage sei vom Erstgericht rechtskräftig stattgegeben worden, da der Erblasser entgegen der Behauptung der damaligen Beklagten am 29. April 1951 kein mündliches Testament zu ihren Gunsten errichtet habe und ihm zumindest ein ernstlicher Wille hiezu gefehlt habe. In der vorliegenden, auf § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. gestützten Wiederaufnahmsklage behauptet die Klägerin, sie habe innerhalb der Frist des § 534 ZPO. erfahren, daß der Erblasser den Eheleuten Rudolf und Maria P. sowie Helmut Sch. die Tatsache der Errichtung eines mündlichen Testamentes zu ihren Gunsten mitgeteilt habe. Die Klage sei vom Erstgericht zunächst abgewiesen worden, weil die behaupteten Tatsachen nicht neu seien und die neuen Beweismittel nicht geeignet seien, eine andere rechtliche Beurteilung herbeizuführen. Das Oberlandesgericht Wien habe aber diese Entscheidung aufgehoben, dem Erstgerichte die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen und dabei die Rechtsansicht ausgesprochen, daß zur Bewilligung der Wiederaufnahme auch die Richtigkeit der klägerischen Behauptungen über das Vorliegen der als Wiederaufnahmsgrund geltend gemachten Umstände bewiesen werden müsse. Die Zeugen Rudolf und Maria P., Helmut und Jolanda Schn. sowie H. hätten zwar die klägerischen Behauptungen bestätigt, diese Aussagen seien aber ebenso wie die Angaben der Klägerin als Partei unglaubwürdig.

Das Berufungsgericht hat das Urteil des Erstgerichtes unter Billigung der Beweiswürdigung und rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bestätigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Wohl ist nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes aus letzterer Zeit im iudicium rescindens nur zu prüfen, ob die klagende Partei wirklich in Kenntnis der neuen Tatsachen gelangt ist und ob ihr die neuaufgefundenen Beweismittel wirklich zur Verfügung stehen sowie ob diese für sich allein betrachtet die abstrakte Eignung besitzen, eine für die klagende Partei günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen, wogegen die Beurteilung, ob ihnen eine solche Eignung tatsächlich zukommt, in den Rahmen des iudicium rescissorium fällt, da nur im Hauptverfahren der Beweiswert der neuen Zeugenbeweise, d. h. die Glaubwürdigkeit der Zeugen, und auch die Frage geprüft werden kann, ob die neuen Beweise die früheren Beweisergebnisse im Hauptverfahren und die darauf gestützten Feststellungen erschüttert haben (vgl. Entscheidungen 2 Ob 311/49, 1 Ob 705/51, 2 Ob 236/52, 2 Ob 351/52). Die Revisionswerberin verkennt jedoch den Sinn dieses Rechtsstandpunktes, wenn sie daraus ableiten will, daß das iudicium rescindens lediglich darauf zu beschränken hat, die neu aufgefundenen Beweise nur formell aufzunehmen und zu konstatieren, ob die neuen Zeugen konform mit den Klagsbehauptungen ausgesagt haben. Denn wäre diese Ansicht richtig, so würde das Wiederaufnahmsverfahren zu einer bloßen Formalität. Die Prüfung der konkreten Eignung einer Tatsache und eines Beweismittels, eine der klagenden Partei günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen, muß allerdings in das iudicium rescissorium verwiesen werden, da es hiezu eines näheren Eingehens auf die Hauptsache, einer Überprüfung der Richtigkeit der früheren Beweisergebnisse im Zusammenhalte mit den neuen Tatsachen und Beweismitteln bedarf. Dagegen muß die Untersuchung, ob die Behauptungen in der Wiederaufnahmsklage über das Vorliegen des geltend gemachten Wiederaufnahmsgrundes nach § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. richtig sind, im iudicium rescindens vorgenommen werden, da doch nur einer gerechtfertigten Klage stattgegeben werden kann (vgl. Entscheidung 2 Ob 935/36 = RiZ. 1937, S. 108). Hiezu gehört aber notwendig auch die Prüfung, ob die klagende Partei von den neuen Tatsachen oder Beweismitteln innerhalb der Frist des § 534 ZPO. Kenntnis erlangt hatte, und ob die Kenntnisnahme erst nach Schluß der Verhandlung erster Instanz im Hauptprozeß nicht auf ein Verschulden der klagenden Partei zurückzuführen ist. Über all dies müssen im Wiederaufnahmsverfahren Beweise aufgenommen und diese gewürdigt werden, da andernfalls eine Feststellung des Einhaltens der Frist und des Mangels eines klägerischen Verschuldens, aber auch der Richtigkeit der Behauptungen der klagenden Partei über die neu aufgefundenen Tatsachen oder Beweismittel gar nicht möglich wäre. Diese Würdigung der Beweise kann nicht abschließend sein, weil sie zumeist nur im Zusammenhang mit den früheren Beweisergebnissen im Hauptprozeß möglich ist. Wohl aber muß eine Würdigung der neuen Beweise für sich allein betrachtet und soweit es sich um das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiederaufnahme handelt, schon in iudicium rescindens vorgenommen werden. Demnach war im vorliegenden Falle im Wiederaufnahmsverfahren zu untersuchen, ob die Klägerin von den Zeugen P., Sch. und H. die behaupteten Mitteilungen erhalten hat, ob dies innerhalb der Frist des § 534 ZPO. geschehen ist, und ob die Klägerin an der verspäteten Kenntnis kein Verschulden trifft. Darüber hinaus waren die Zeugen aber auch darüber zu befragen, ob sie die behaupteten Mitteilungen vom Erblasser erhalten haben, da nur dann, wenn sie dies bejahen, festzustellen ist, daß der Klägerin diese neuen Zeugenbeweise wirklich zur Verfügung stehen. Die Ausführungen des Erstgerichtes lassen klar erkennen, daß es die Aussagen der vernommenen Personen über ihre angeblichen Mitteilungen an die Klägerin und deren Zeitpunkt auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft und diese verneint hat. Es ist übrigens bedeutungslos, wenn das Erstgericht den Rahmen des iudicium rescindens in der Richtung einer Würdigung dieser Aussagen im vollen Umfange und endgültig überschritten hätte, da es nur darauf ankommt, ob es eine entsprechende Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Bewilligung der Wiederaufnahme vorgenommen hat. Dies aber trifft im vorliegenden Falle zu. Das Berufungsgericht hat die erstrichterliche Beweiswürdigung und auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes gebilligt.

Der geltend gemachte Revisionsgrund ist demnach nicht gegeben und mußte daher der Revision ein Erfolg versagt bleiben.

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