OGH 4Ob20/54

OGH4Ob20/546.4.1954

SZ 27/86

Normen

Arbeitsgerichtsgesetz §25
ZPO §503 Z2
Arbeitsgerichtsgesetz §25
ZPO §503 Z2

 

Spruch:

Das Berufungsgericht kann in arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten ohne Beweiswiederholung von der Beweiswürdigung des Erstgerichtes abgehen, wenn keine der Parteien gegen die Verlesung der Beweisergebnisse Einspruch erhebt.

Entscheidung vom 6. April 1954, 4 Ob 20/54.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der Kläger begehrt von der beklagten Partei einen Betrag von 1105.40 S mit der Begründung, er sei vom 3. August 1948 bis 6. Juni 1951 bei der beklagten Partei als Installationsgehilfe und Geschäftsführer tätig gewesen und habe in dieser Eigenschaft für die beklagte Partei notwendige und nützliche Aufwendungen aus eigener Tasche bestritten.

Das Erstgericht hat die beklagte Partei zur Zahlung eines Betrages von 925.40 S verurteilt.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab.

Der Oberste Gerichtshof gab der nur wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens erhobenen Revision nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Eine Mangelhaftigkeit will die Revision darin erblicken daß das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung zu einer Umwürdigung, der vom Erstgericht aufgenommenen Beweise gekommen sei. Nun hat aber das Berufungsgericht gar nicht die Zeugenbeweise anders gewürdigt, sondern hat nur aus den vom Erstgericht übernommenen tatsächlichen Feststellungen nicht den Schluß gezogen, daß der Kläger eigenes Geld für die beklagte Partei aufgewendet habe. Das Erstgericht hat auch, worauf schon das Berufungsgericht hingewiesen hat, sein Urteil in erster Linie auf die Aussage des Klägers als Partei gegrundet. Die Parteienvernehmung hat aber das Berufungsgericht wiederholt und konnte daher ohne weiteres zu einer anderen Würdigung dieses Beweises kommen als das Erstgericht. Im übrigen sei bemerkt, daß der arbeitsgerichtliche Senat des Obersten Gerichtshofes in ständiger Rechtsprechung (vgl. 4 Ob 152/52, 4 Ob 196, 215/53, 4 Ob 172/53 und 4 Ob 203/53) die Ansicht vertritt, daß das Berufungsgericht in arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten ohne Beweiswiederholung von der Beweiswürdigung des Erstgerichtes abgehen kann, wenn keine der Parteien gegen die Verlesung der Beweisergebnisse Einspruch erhebt. Die vereinzelt gebliebene Entscheidung 1 Ob 449/53 betrifft kein Verfahren, auf das die Bestimmungen des Arbeitsgerichtsgesetzes Anwendung zu finden hatten.

In dem nach der ZPO. durchgeführten Berufungsverfahren entscheidet das Berufungsgericht auf Grund der durch die geltend gemachten Berufungsgrunde nicht berührten Ergebnisse der Verhandlung und Beweisführung, es sei denn, daß diese Beweisergebnisse durch die Berufungsverhandlung eine Berichtigung erfahren haben (§ 498 ZPO). Eine Wiederholung der Beweisaufnahme findet daher in der Regel nur dann statt, wenn dies behufs Entscheidung über die Berufungsanträge notwendig erscheint (§ 488). Im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren, das kein bloßes Überprüfungsverfahren ist, sind dagegen alle Beweise gemäß dem im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren geltenden Grundsatz der Neuverhandlung noch einmal aufzunehmen, wobei freilich das Gesetz (§ 25 Abs. 1 Z. 3 ArbGerG.) die Erleichterung gewährt, daß die Beweisprotokolle über die in erster Instanz aufgenommenen Beweise verlesen werden, sofern das Berufungsgericht eine Beweiswiederholung vor dem Berufungsgericht nicht für erforderlich erachtet und keine der Parteien Einspruch erhebt. Ein bloßer Einspruch einer Partei genügt daher bereits, um das Berufungsgericht zur unmittelbaren Wiederholung der Beweise zu zwingen, während im zivilprozessualen Berufungsverfahren nach der ständigen Praxis die Beweiswiederholung im Ermessen des Berufungsgerichtes liegt; nur darf das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung nicht von den Beweisergebnissen erster Instanz abweichen (§ 498 ZPO.), ein Grundsatz, der im arbeitsrechtlichen Verfahren nicht gilt, weil hier neu verhandelt wird und daher eine Übernahme der Beweisergebnisse erster Instanz gar nicht in Frage kommt.

Das arbeitsgerichtliche Berufungsgericht beurteilt vielmehr alle Tatsachen neu und selbständig, freilich in einem Verfahren, in dem der Grundsatz der Unmittelbarkeit durchlöchert ist, weil das Berufungsgericht, sofern eine Beweiswiederholung nicht erfolgt, die verlesenen Protokolle selbständig würdigt, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die vernommenen Personen vom ersuchten Richter oder vom Richter erster Instanz vernommen worden sind. Erstinstanzliche Vernehmungen stehen Vernehmungen durch den ersuchten Richter gleich. Den Ausführungen des Erstrichters über die Wertung der Aussagen kommt infolgedessen im arbeitsrechtlichen Berufungsverfahren kein größerer Beweiswert zu, als etwaigen Beobachtungen des ersuchten Richters, die dieser in einem Amtsvermerk niedergelegt hat. Das Berufungsgericht wird wohl, wenn es den Vorwurf der Mangelhaftigkeit des Verfahrens in der Revision vermeiden will, zu diesen Wertungen Stellung nehmen müssen, ist aber nicht daran gebunden. Das ist auch unbedenklich, weil die Parteien jederzeit die Möglichkeit haben, die neuerliche unmittelbare Vernehmung der in erster Instanz vernommenen Personen zu verlangen, wenn das Berufungsgericht den Beweisbeschluß auf Durchführung der Beweise durch Verlesung eines in erster Instanz bereits einmal durchgeführten Beweises faßt. Die Verlesung von Protokollen ohne Beweisbeschluß wäre verfehlt und es kann ein solches Vorgehen nach § 196 ZPO. gerügt werden. Hat die Partei aber die Rüge unterlassen, so kann sie sich im Revisionsverfahren nicht mehr darüber beschweren, daß die verlesenen Protokoll vom Berufungsgericht anders gewürdigt wurden, als die unmittelbar abgelegte Aussage vor dem Erstrichter.

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