Spruch:
Strebt ein Teil die Aufhebung des Vertrages wegen Irreführung an, so kann der andere seine Leistung zurückhalten.
Entscheidung vom 3. Feber 1954, 1 Ob 36/54.
I. Instanz: Bezirksgericht Neusiedl am See; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien hat die Klägerin mit dem Vertrag vom 5. August 1949 mehrere Liegenschaftsanteile der beklagten Partei übergeben, wofür sich letztere verpflichtete, verschiedene Ausgedingsleistungen an die Klägerin zu erbringen. Zu 40 Cg 120/53 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien ist von der Klägerin der Übergabsvertrag seinem ganzen Inhalt nach wegen Irreführung angefochten, überdies wegen Undankes widerrufen, der Rücktritt vom Vertrag wegen Nichterfüllung geltend gemacht und seine Aufhebung begehrt worden.
Die klagende Partei stützt ihren nunmehrigen Klagsanspruch darauf, daß die Beklagte mit ihren Ausgedingsleistungen, die sie jedenfalls bis zur Übergabe der Liegenschaftsanteile zu erbringen habe, in der Höhe des Klagsbetrages im Rückstand sei.
Von der Beklagten ist das Klagebegehren bestritten worden.
Das Erstgericht hat ohne Durchführung eines Beweisverfahrens das Klagebegehren abgewiesen und in rechtlicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
Wegen Vorliegens von Willensmängeln auf Seite der klagenden Partei sei von dieser der Übergabsvertrag nach seinem gesamten Inhalt angefochten und somit das Zustandekommen eines wirksamen Vertrages bestritten worden. Behaupte aber die klagende Partei in dem Prozeßverfahren zu 40 Cg 120/53 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien das Nichtzustandekommen des Übergabsvertrages, so könne sie nicht daneben auf Grund des nämlichen Vertrages Erfüllung der Ausgedingsleistungen begehren, zumal gemäß § 877 ABGB. bei Aufhebung des Vertrages wegen Vorliegens von Willensmängeln die Vertragschließenden alles zurückzustellen hätten, was sie aus einem solchen Vertrage vom anderen Teil erhalten haben.
Das Berufungsgericht hat der Berufung der klagenden Partei nicht Folge gegeben und die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes gebilligt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klägerin behauptete selbst in der Klage, daß infolge Irreführung der Übergabsvertrag vom 5. August 1949 nicht zustandegekommen sei und daß daher die Beklagte zur Übergabe der Liegenschaftsanteile verpflichtet sei. Über die Aufhebung dieses Vertrages aus diesem Titel ist das Verfahren zu 40 Cg 120/54 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien noch anhängig.
Die zu klärende Rechtsfrage geht nun dahin, ob die Klägerin, obwohl sie in dem angestrengten Rechtsstreit das Zustandekommen eines Übergabsvertrages bestreitet, auf Grund dieses Übergabsvertrages Erfüllung begehren kann.
Mit Recht haben die unteren Instanzen dies verneint. Wer Erfüllung auf Grund eines abgeschlossenen Vertrages verlangt, muß selbst den Vertrag zu erfüllen bereit sein. Ist dies nicht anzunehmen, weil der die Erfüllung verlangende Teil bereits klar zu erkennen gegeben hat, daß er sich an den abgeschlossenen Vertrag nicht gebunden erachtet, so kann dem anderen Teil nicht mehr Verzug in der Vertragserfüllung zum Vorwurf gemacht werden. Vielmehr ist der andere Teil bei einer solchen Haltung des Vertragspartners, der die Aufhebung des Vertrages infolge Irreführung im Rechtsweg anstrebt, berechtigt, wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 2 Ob 463/52 zum Ausdruck gebracht hat, gestützt auf § 1052 ABGB. seine Leistung zurückzuhalten, zumal bei tatsächlicher Aufhebung des Kaufvertrages infolge Vorliegens von Willensmängeln jeder Vertragschließende alles zurückzustellen hat, was er aus diesem Vertrage vom anderen Teil erhalten hat.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)