OGH 3Ob403/53

OGH3Ob403/534.11.1953

SZ 26/263

Normen

UrhG §1
UrhG §1

 

Spruch:

Zum Begriff der eigentümlichen geistigen Schöpfung im Sinne des § 1 UrhG.

Entscheidung vom 4. November 1953, 3 Ob 403/53.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt - Wien; II. Instanz:

Handelsgericht Wien.

Text

Der Kläger stellt das Begehren, den Beklagten schuldig zu erkennen, den weiteren Gebrauch des Entwurfes des Klägers für Tube und Faltschachtel für die "H.-Kindercreme" in ursprünglicher oder abgeänderter Form, letzteres insbesondere durch Hinzufügen eines Kinderbildes, zu unterlassen, und dem Kläger einen Betrag von 1000 S zu bezahlen, mit nachstehender Begründung:

Er habe bis zum Jahre 1949 für den Beklagten die gesamte graphische Werbung und Ausgestaltung der Erzeugnisse durchgeführt und die Marke des Beklagten graphisch dadurch ausgestaltet, daß er zu dem Namen H. einen Schattenstrich zu der gegen früher etwas geänderten Form setzte. Außerdem habe er die farbige Ausgestaltung und graphische Kennzeichnung der Verpackungsentwürfe, insbesondere auch für eine Papphülle der H.-Kindercreme, entworfen. Der Kläger habe diese Packung eigenmächtig abändern lassen, indem er ein rundes Kinderbild dem Packungsentwurf des Klägers hinzufügte. Diese abgeänderte Verwendung des Entwurfes stelle einen Eingriff in das Urheberrecht des Klägers dar; der Beklagte sei daher zur Unterlassung dieser Abänderung verpflichtet und überdies auch zur Leistung einer Nutzungsvergütung für die von ihm vorgenommene Abänderung des Entwurfes des Klägers. Da der Kläger nur seine Arbeit für den Entwurf in Rechnung gestellt habe, dürfe der Beklagte nach den allgemeinen Grundsätzen im Gebrauchsgraphikergewerbe nur die erste Auflage des Entwurfes des Klägers verwenden.

Das Prozeßgericht erkannte den Beklagten schuldig, den weiteren Gebrauch des Entwurfes des Klägers entsprechend dem Klagebegehren zu unterlassen und dem Kläger eine Vergütung von 300 S zu bezahlen. Es stellte fest, daß der Gesellschafter des Beklagten Ing. H. dem Gebrauchsgraphiker G. den Auftrag gegeben habe, das äußere Bild der Verpackung und Tube für die Kindercreme zur Vermeidung einer Verwechslung durch die Verbraucher so zu gestalten, daß es vom ursprünglichen Entwurf nicht stark abweiche und daß die Farben blaugelbbeibehalten werden und daß G., der auch den Auftrag hatte, auf der linken Seite einen Kinderkopf anzubringen, die Buchstaben und damit das ganze Wort Kindercreme schmäler gestaltete, weshalb er die im Entwurf des Klägers enthaltenen Mittellinien der Schrift wegließ, hingegen das waagrechte Schriftbild auf blauem Grund für die Warenbezeichnung "Kindercreme" beibehielt, während der Steindrucker K. die in den Schriftzeichen enthaltenen Unregelmäßigkeiten durch regelmäßige Buchstaben verbesserte, welche Unregelmäßigkeiten auf die Handzeichnung des Klägers zurückzuführen waren. Auf Grund des Gutachtens des vernommenen Sachverständigen aus dem Zweige der Gebrauchsgraphiker nahm das Prozeßgericht an, daß es sich bei dem vom Kläger ausgeführten Entwurf für die Faltschachtel um eine eigentümliche geistige Schöpfung handle. Sowohl nach den Bestimmungen des Urheberrechtes als auch nach den Usancen im Gebrauchsgraphikergewerbe dürften Entwürfe nur durch den Urheber oder mit dessen Wissen und Zustimmung abgeändert und umgezeichnet werden; sie dürfen nach Auffassung des Prozeßgerichtes nur in der gelieferten Fassung, zu dem vereinbarten Zweck, in dem vereinbarten Format und in der normalen Auflagenhöhe verwendet werden, wobei als normale Auflage bei Warenpackungen nach den Richtlinien des Bundes Österreichischer Gebrauchsgraphiker 30.000 Exemplare zu gelten haben. Da die Verwendung des abgeänderten Entwurfes für die Faltschachtel eine unbefugte Benützung darstelle, sei der Kläger nicht nur verpflichtet, die weitere Verwendung zu unterlassen, sondern auch dem Kläger gemäß § 86 Abs. 1 UrhG. eine angemessene Vergütung von 300 S zu leisten.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab.

Es vertrat die Ansicht, daß der klägerische Entwurf nicht das Erfordernis einer eigentümlichen geistigen Schöpfung erfülle, da weder die Beifügung eines Schattenstriches zu dem Namenszug H., noch die Farbenzusammenstellung gelb-blau, die Anordnung der Schrift im Flächenraum, die Mittellinie in den Buchstaben, die geschleiften Endungen der Buchstaben oder die Abschrägung der Schrägbalken allein und zusammengenommen originelle Besonderheiten des Entwurfes darstellen, die ihn als eigentümliche geistige Schöpfung kennzeichnen könnten. Der Entwurf falle daher nicht unter die Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die im Gebrauchsgraphikergewerbe herrschenden Usancen seien nicht geeignet, die Ansprüche des Klägers zu rechtfertigen, da es sich mangels Kaufmannseigenschaft des Klägers nicht um Handelsbräuche zwischen Kaufleuten im Sinne des § 346 HGB. handle. Da sie nicht Vertragsinhalt geworden seien, könnten sie die beklagte Partei auch nicht binden. Die vom Bund der Österreichischen Gebrauchsgraphiker herausgegebenen Bestimmungen und Honorarsätze seien auch nicht als im redlichen Verkehr geltende Gewohnheiten oder Gebräuche im Sinne des § 863 ABGB. anzusprechen; es läge daher nur ein Werkvertrag im Sinne des ABGB. vor, weshalb der Beklagte in der Verwendung des Entwurfes durch Vervielfältigung, Verbreitung und Abänderung nicht beschränkt sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Einen Mangel des berufungsgerichtlichen Verfahrens erblickt die Revision darin, daß das Berufungsgericht vom Gutachten des vom Erstgericht vernommenen Sachverständigen abgewichen sei, ohne den Sachverständigen selbst zu vernehmen oder einen weiteren Sachverständigen beizuziehen.

Wie das Berufungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, ist die Frage, ob der vom Kläger stammende Entwurf der Verpackung für die vom Beklagten vertriebene Kindercreme als Werk im Sinne des § 1 UrhG. zu beurteilen ist, nicht von einem Sachverständigen, sondern ausschließlich vom Gericht als Rechtsfrage zu entscheiden, da es sich hiebei um eine rechtliche Beurteilung handelt und hiezu nicht, wie die Revision vermeint, ein persönliches Kunstverständnis erforderlich ist. Die Argumentation der Revision, es frage sich, wozu die Einrichtung der Sachverständigen geschaffen wurde, wenn nicht dazu, um Fragen in Spezialgebieten zu beurteilen, es sei deshalb auch eine eigene Fachgruppe der Sachverständigen aus dem Fache der Gebrauchsgraphiker geschaffen worden, um sich die Unterstützung erfahrener Personen zu sichern, schlägt nicht durch, da die Beiziehung eines Sachverständigen nur zur Vornahme der tatsächlichen Feststellungen notwendig ist, die Lösung einer Rechtsfrage aber ausschließlich vom Gericht selbst vorgenommen werden muß. Ein Sachverständiger ist in der Regel nur dann heranzuziehen, wenn es sich um Fragen tatsächlicher Art handelt, wie z. B. ob Entwürfe Mängel aufweisen, ob sie gebrauchsfähig sind u. dgl. Zur Entscheidung der Rechtsfrage, ob der Entwurf eines Gebrauchsgraphikers als Werk im Sinne des § 1 UrhG. aufzufassen ist oder nicht, ist ausschließlich das Gericht berufen. Wenn sich die Revision zur Unterstützung ihres Standpunktes auf die Auffassung von Mitteis,Grundriß des Österreichischen Urheberrechtes, Staatsdruckerei-Verlag, Wien, 1936, S. 31, beruft, der zum Ausdruck bringt, es könne nicht Aufgabe der Gerichte sein, ästhetische Werturteile abzugeben, so verkennt die Revision völlig die Bedeutung dieses Zitates, das sie willkürlich aus dem Zusammenhang reißt. Der Verfasser will mit den von der Revision zitierten Worten, wie sich aus dem Zusammenhang mit den übrigen Sätzen der angeführten Stelle des Werkes ergibt, nur zum Ausdruck bringen, daß der wissenschaftliche oder künstlerische Wert eines Werkes im Sinne des § 1 UrhG. für die urheberrechtliche Schutzwürdigkeit ohne Bedeutung ist und daß auch solche Werke dem Schutz des Urheberrechtes unterliegen, die minderwertig oder geschmacklos sind, sofern sie nur eine eigentümliche geistige Schöpfung darstellen, und daß es nicht Aufgabe der Gerichte sei, ein Werturteil über derartige Werke zu fällen. Damit bringt aber der Verfasser lediglich zum Ausdruck, daß eine eigentümliche geistige Schöpfung auch dann den Schutz des Urheberrechtes genießt, wenn sie vom künstlerischen oder wissenschaftlichen Standpunkt aus minderwertig oder geschmacklos ist. Weder Mitteis noch andere Autoren vertreten aber den Standpunkt, die Frage, ob ein Werk eine eigentümliche geistige Schöpfung darstelle, könne nur von einem Sachverständigen entschieden werden. Darin, daß das Berufungsgericht ohne Rücksicht auf ein vom Erstgericht benütztes Sachverständigengutachten den vom Kläger verfaßten Entwurf nicht als eigentümliche geistige Schöpfung beurteilt hat, ist daher ein Verfahrensmangel nicht gelegen.

Aus dem Revisionsgrunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichtes, daß der Entwurf des Klägers nicht als ein Werk, das eine eigentümliche geistige Schöpfung darstelle, im Sinne des § 1 UrhG. beurteilt werden könne.

Die Eigentümlichkeit einer geistigen Schöpfung, das eigentlich Schöpferische liegt auf allen für den Urheberrechtsschutz in Betracht kommenden Gebieten in der eigenartigen, aus dem innersten Wesen des geistig Schaffenden fließenden geistigen Formung von Gedanken; nicht schutzfähig ist daher die künstlerische Form als solche (SZ. XXIV/215). Das gemeinsame Merkmal, das die nach dem Urheberrechtsgesetz geschützten Werke der Literatur und Kunst verbindet, liegt darin, daß sie eigentümliche geistige Schöpfungen sein müssen. Damit bringt das Gesetz zum Ausdruck, daß es unter einem Werk nur das Ergebnis einer schöpferischen Geistestätigkeit versteht, das seine Eigenheit, die es von anderen Werken unterscheidet, aus der Persönlichkeit seines Schöpfers empfangen hat. Mit den Worten "eigentümliche geistige Schöpfung" wird betont, daß die Persönlichkeit des Urhebers, die Einmaligkeit seines Wesens, in der Schöpfung so zum Ausdruck kommen muß, daß auch dieser dadurch der Stempel der Einmaligkeit und der Zugehörigkeit zu ihrem Schöpfer aufgeprägt wird; Ergebnisse geistiger Arbeit, die den in § 1 aufgestellten Erfordernissen nicht genügen, genießen keinen urheberrechtlichen Schutz. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist daher stets streng zu prüfen, wenn es sich um die Frage handelt, ob ein schutzfähiges Werk vorliegt (Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage, betreffend den Entwurf des Urheberrechtsgesetzes, 64 der Beilagen, zu §§ 1 bis 4, Lissbauer, Das österreichische Urheberrechtsgesetz, Manz-Verlag, 1936, S. 171 f.). Da sich das Urheberrecht nur auf die bestimmte Formung eines Stoffes bezieht, gibt es kein Urheberrecht an der Form an sich, z. B. an der Verwendung von bestimmten Farben oder an der Verteilung von Licht und Schatten u. dgl. Eine schöpferische Tätigkeit, wie sie für das Urheberrecht an Werken der bildenden Kunst vorausgesetzt wird, muß mit einem gewissen Grad von Originalität notwendig verbunden sein. Diese wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Künstler sich an fremde Werke Anlehnt, er muß aber seinem Werk individuelle Züge aufprägen. Die Individualität ist für den Rechtsschutz maßgebend; Werke im Sinne des Urheberrechtes sind nur solche Gebilde, die sich als Ergebnisse geistigen Schaffens von der Masse alltäglicher Gebilde abheben. Die Individualität des Werkes beruht nicht auf der Formgebung allein, sondern auf dem künstlerischen Schaffen im ganzen. Das Gemeingut ist vom Schutz ausgeschlossen. Die Individualität beruht auf der geistige Leistung, durch die sich Werke von schutzlosen Gebilden abgrenzen. Gegenstand des Urheberrechtes ist das einzelne Werk in seiner Individualität; nicht geschützt ist die Methode des Schaffens. Von schutzlosen Gebilden unterscheidet sich das Werk der Kunst durch die Individualität, die ihm als künstlerisches Schaffen innewohnt. Entscheidend ist die geistige Arbeit, auf der das Werk beruht. Von einem Geistes- oder Kunstwerk kann nur die Rede sein, wenn die Persönlichkeit darin zum Ausdruck kommt; nicht weil etwas beschrieben, gepinselt, gezeichnet, geformt ist, wird es ein Werk; dies können vielmehr auch Stücke des Handwerkes oder des Alltags sein. Im Gegensatz zur eigentümlichen Schöpfung steht, was nur Leistung und Erzeugnis ist. Allerweltsarbeit schafft kein Werk, sondern nur ein Erzeugnis.

Diese Voraussetzungen sind aber beim vorliegenden Entwurf des Klägers nicht gegeben. Die bloße Beifügung eines Haarstriches zu der bereits vorliegenden Unterschrift des Beklagten kann ebensowenig als individuelle geistige Schöpfung angesehen werden, wie die Verwendung der Blockschrift, die Allgemeingut ist. Daß die Blockschrift mit einem senkrechten Strich innerhalb der einzelnen Buchstaben versehen ist und die unteren Enden der Buchstaben etwas abgeschrägt sind, daß blaue und gelbe Farbe bei der Packung verwendet wurde und daß die Schrift in weißen Buchstaben auf blauem Grund geschrieben wurde, macht das Erzeugnis des Klägers nicht zu einer eigentümlichen geistigen Schöpfung. Auch die Anordnung der Schrift zeigt keinerlei Besonderheiten und es kann auch hier von einer eigentümlichen Formengebung keine Rede sein, zumal die Blockschrift die ganze Fläche jeder Seite der Verpackung ausfüllt und darüber lediglich die bereits von der beklagten Partei seit langem verwendete, beim Patentamt als Marke eingetragene Unterschrift der beklagten Partei gesetzt ist. Der Entwurf weist daher keinerlei selbständige, auf einer eigenen Schöpfung beruhende künstlerische Form auf und kann nahezu von jedermann, der des Schreibens und Zeichnens kundig ist, hergestellt werden, ohne daß es hiezu einer besonderen individuellen geistigen Schöpfungskraft bedarf. Der Umstand allein, daß der Kläger Gebrauchsgraphiker ist, vermag dem Entwurf noch nicht die Eigenschaft eines Werkes im Sinne des § 1 UrhG. zu geben. Denn es sind nicht alle Erzeugnisse, die von Gebrauchsgraphikern hergestellt werden, Werke, die den Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes unterliegen, sondern nur solche, die eigentümliche geistige Schöpfungen im Sinne des § 1 des Urheberrechtsgesetzes darstellen. Das Berufungsgericht hat daher ohne Rechtsirrtum angenommen, daß es sich beim gegenständlichen Entwurf nicht um ein Werk im Sinne der bezogenen Gesetzesstelle handelt. Im übrigen würde auch dann, wenn der Entwurf den Schutzbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes unterläge, das Klagebegehren, den weiteren Gebrauch des Entwurfes in ursprünglicher Form zu unterlassen, im Urheberrechtsgesetz keine Stütze finden.

Was aber die als Usancen bezeichneten Bestimmungen und Mindesthonorare des Bundes der Österreichischen Gebrauchsgraphiker anlangt, so ist der Ansicht des Berufungsgerichtes beizupflichten, daß diesen, da sie nicht zum Vertragsinhalt gemacht wurden, keinerlei Bedeutung zukommt, da diese Bestimmungen mangels Kaufmannseigenschaft des Klägers nicht gemäß § 346 HGB. zu berücksichtigen sind und auf sie auch § 863 ABGB. nicht anzuwenden ist, weil es sich nicht um allgemeine Gewohnheiten und Gebräuche im Verkehr handelt. Das Berufungsgericht hat daher ohne Rechtsirrtum angenommen, daß es sich bei der Lieferung des gegenständlichen Entwurfes an den Beklagten nur um einen Werkvertrag im Sinne des § 1165 ABGB. handelt und der Beklagte daher in der Verwendung,Vervielfältigung und Abänderung des Entwurfes nicht beschränkt ist.

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