OGH 2Ob543/53

OGH2Ob543/5315.7.1953

SZ 26/194

Normen

Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §914
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1447
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §914
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1447

 

Spruch:

Grundsätzliche Erörterungen zum § 1447 ABGB.

Entscheidung vom 15. Juli 1953, 2 Ob 543/53.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Die klagende Firma hat sich im Jahre 1926 gegenüber der beklagten Firma verpflichtet, durch mindestens 20 Jahre die von ihr im Inland betriebeneErzeugung von Sicherheitszundschnüren sowie den Handel mit ihnen stillzulegen und auch eine Beteiligung an einem mit diesen Gegenständen befaßten Unternehmen zu unterlassen, wogegen sich die beklagte Firma zur Zahlung einer perzentuellen Provision bis zu einem Gesamtbetrage von 700.000 Goldschilling verpflichtet hat. Sollte die Beklagte vor der Abstattung dieses Betrages die Erzeugung von Sicherheitszundschnüren einstellen oder ihren Betrieb liquidieren, dann wären die bereits geleisteten Zahlungen auf 600.000 Goldschilling zu ergänzen, die Klägerin jedoch auch berechtigt, gegen Verzicht auf die Restzahlung selbst die Erzeugung und den Handel mit diesen Gegenständen wieder aufzunehmen. Falls aber die Beklagte durch äußere Umstände, insbesondere auch durch behördliche Maßnahmen, welche die Weiterführung oder Rentabilität der Erzeugung in Frage stellen, veranlaßt werden sollte, den Betrieb einzustellen oder zu liquidieren, hätte sie der klagenden Partei einen Betrag von 2000 Goldpfund zu bezahlen und diese wäre außerdem berechtigt, sofort die Erzeugung und den Handel mit Sicherheitsschnüren wieder aufzunehmen (Punkt 3 des Vertrages). Schließlich haben sich beide Teile verpflichtet, den Vertrag in loyaler Weise zu handhaben und auszulegen und nichts zu unternehmen oder zu fordern, was seinen Zweck vereiteln oder die gegenseitigen Leistungen oder das zugesicherte Entgelt beeinträchtigen könnte (Punkt 4 des Vertrages).

Das Erstgericht gab dem auf Zahlung eines Betrages von 334.800 S samt Anhang (Gegenwert von 2000 englischen Goldpfund) gerichteten Klagebegehren mit der Begründung statt, die Beklagte habe es zwar unterlassen, das zerstörte Fabriksobjekt wieder aufzubauen, sie habe aber damit nur einen Bestandteil ihres Unternehmens, nicht aber das Unternehmen selbst verloren. Deshalb könne nicht gesagt werden, daß die Beklagte die Erzeugung von Sicherheitszundschnüren eingestellt oder den Betrieb liquidiert habe. Sie habe auch an einer anderen Betriebsstätte die Produktion wieder aufgenommen. Es sei ihr allerdings nicht möglich gewesen, die Erzeugung im früheren Umfang wieder aufzunehmen, vielmehr sei sie durch Maßnahmen der Besatzungsmacht veranlaßt worden, die Erzeugung einzuschränken. Damit komme die Vertragsbestimmung zur Geltung, wonach die Beklagte unter anderem bei Betriebseinschränkung im Zusammenhange mit äußeren Umständen der Klägerin einen Betrag von 2000 Goldpfund zu bezahlen habe, wenn deshalb die Zahlung der gesamten Provision von 700.000 Goldschilling in absehbarer Zeit nicht zu gewärtigen sei.

Das Berufungsgericht hob unter Rechtskraftvorbehalt das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Sache an dieses zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück und ging hiebei von folgenden rechtlichen Erwägungen aus:

Zufolge Unvorhersehbarkeit der Kriegs- und Nachkriegsereignisse dürfe auch die Zerstörung der Produktionsstätte der Beklagten durch Bombardierung sowie die Beeinträchtigung der Wiederaufnahme der Produktion nach Kriegsende nicht unter die "äußeren Umstände" als Veranlassung für die Einstellung der Erzeugung durch die Beklagte nach Vertragspunkt 3 eingereiht werden. Da eine der Unmöglichkeit gleichkommende Unerschwinglichkeit der geschuldeten Leistung vorliege, dürfe bei Auslegung des Vertrages nach der Übung des redlichen Verkehrs das Vertragsverhältnis rückwirkend auf das Kriegsende als aufgelöst betrachtet werden, zumal in der folgenden Zeit zur Aufnahme der Produktion im vollen Umfang seitens der Beklagten wesentliche Erfolge nicht erzielt werden konnten. Aus der Vorschrift des § 1447 ABGB. könne die Klägerin somit den erhobenen Anspruch nicht ableiten. Die Bestimmung enthalte jedoch nachgiebiges Recht und müsse einer andersartigen Regelung durch die Parteien weichen. Die im Vertragspunkt 3 bestehende und von den Parteien anerkannte Vertragslücke sei hiebei unter Bedachtnahme auf den Inhalt des Vertragspunktes 4 und durch Vertragsergänzung nach der Bestimmung des § 914 ABGB. auszufüllen. Der Vertragspunkt 4 stelle eine Ergänzung des Vertragspunktes 3 dar und bringe zum Ausdruck, daß Änderungen an den Rechten und Pflichten der Parteien, die im Vertragspunkt 3 keine Regelung gefunden haben, in loyaler Handhabung und Auslegung des Vertrages beurteilt und Leistungen und Gegenleistungen nach Möglichkeit nicht beeinträchtigt werden sollen. Damit können auch Fälle, die im Vertragspunkt 3 von den Parteien nicht berücksichtigt wurden und nicht berücksichtigt werden konnten, in gleicher oder ähnlicher Weise beurteilt werden, wenn es die loyale Handhabung und Auslegung des Vertrages erheischt und zur Vermeidung einer Beeinträchtigung von Leistungen und Gegenleistungen geboten erscheint. Nach der Absicht der Parteien sollen damit alle Streitfragen im Sinne des Vertrages und nach Möglichkeit nicht auf Grund subsidiärer Gesetzesvorschriften gelöst werden. Damit werde die im § 1447 ABGB. vorgesehene Art der Auseinandersetzung zwischen den Parteien nach Eintritt der Unmöglichkeit der Leistung und Auflösung des Vertragsverhältnisses ausgeschlossen. Daraus ergebe sich, zusammengefaßt, daß zwar das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien als aufgelöst zu betrachten sei, daß damit aber die Beklagte noch nicht von jeder Verpflichtung gegenüber der Klägerin befreit sein müsse, wenn die Bestreitung des von der Klägerin erhobenen Anspruches mit einer loyalen Handhabung und Auslegung des Vertrages oder mit einer Auslegung des Vertrages nach der Übung im redlichen Verkehr ganz oder teilweise nicht im Einklang zu bringen wäre. Der von der Klägerin erhobene Anspruch finde somit im Vertragspunkt 4 in Zusammenhalt mit dem Vertragspunkt 3 seine Grundlage. Da nun der Klägerin nicht schon auf Grund des Vertragspunktes 3 die gegen die Beklagte erhobene Forderung im Betrage von 2000 Goldpfund eingeräumt werden könne, sondern nur auf Grund des Vertragspunktes 4 im Zusammenhalt mit dem Vertragspunkt 3 eine bei loyaler Handhabung und Auslegung des Vertrages den Umständen nach angemessene Forderung zugebilligt werden kann, sei der im Vertragspunkt 3 vorgesehene Betrag von 2000 Goldpfund für die Bestimmung der Höhe der Forderung nur insofern von Bedeutung, als die Forderung im Hinblick auf das Klagebegehren den Betrag nicht übersteigen dürfe. Welche Umstände bei Festsetzung der Höhe der Forderung der Klägerin zu berücksichtigen sein werden. Lasse sich jedoch nach der gegenwärtigen Aktenlage nicht restlos überblicken. Die Parteien werden daher in dieser Hinsicht zu tatsächlichen Angaben und zur Stellung von Beweisanträgen zu veranlassen sein (§ 182 ZPO.), so daß mit der Aufhebung des erstrichterlichen Urteils vorzugehen war.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei nicht Folge, hob jedoch auf Grund des Rekurses der beklagten Partei den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und verwies die Sache an dieses zur neuerlichen Entscheidung zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rechtsmeinung des Rekurses der klagenden Partei, daß die im Vertragspunkt 3 vorgesehenen Möglichkeiten der Einstellung der Produktion ohne äußere Notwendigkeit und der Einstellung, die durch äußere Umstände veranlaßt werden sollte, alle in der Zukunft möglichen Eventualitäten umfasse und die Beklagte zufolge Eintrittes der letzteren Eventualität, die für diesen Fall vereinbarte Summe schulde, kann nicht geteilt werden. Wie das Berufungsgericht durchaus zutreffend ausführt, dürfen die Kriegs- und Nachkriegsereignisse seit dem Jahre 1939, darunter auch die Zerstörung der Produktionsstätte der Beklagten und die weitgehende Beeinträchtigung der Wiederaufnahme der Produktion nach Kriegsende zufolge Unvorhersehbarkeit bei Vertragsabschluß im Jahre 1926 nicht unter die äußeren Umstände gezählt werden, die als Veranlassung für die Einstellung oder wesentliche Reduktion des Betriebes bei Abfassung des Vertragspunktes 3 seitens der Parteien erwogen wurde. Wie der Rekurs an anderer Stelle richtig ausführt, sind unter den dort vorgesehenen Eventualitäten offensichtlich nur solche Fälle zu verstehen, in welchen die Produktion seitens der Beklagten vor Vertragserfüllung ganz freiwillig eingestellt wird oder die Produktionseinstellung durch äußere Umstände veranlaßt werden sollte, die nicht einem absoluten Zwang gleichkommen, wobei also der beklagten Partei noch ein Rest selbständiger Willensentscheidung verbleibt. Dies wird durch die erklärende Beifügung: "... insbesondere auch durch behördliche Maßnahmen, welche die Weiterführung oder Rentabilität der Erzeugung auch für ein gut geleitetes und gut fundiertes Unternehmen in Frage stellen" besonders deutlich. Daraus ergibt sich aber, daß die Parteien eine Regelung für den Fall des Eintrittes von äußeren Ereignissen, an welchen das Gesetz die gesetzlichen Wirkungen der logischen Unmöglichkeit oder Unerschwinglichkeit der geschuldeten Leistung knüpft (§ 1447 ABGB.) überhaupt nicht in Betracht gezogen haben. Da die übermäßige Schwierigkeit der Erfüllung unter besonderen Voraussetzungen eine rechtlich als Unmöglichkeit zu wertende Unerschwinglichkeit begrundet, wenn z. B. der zur Bewirkung der Leistung notwendige Aufwand in keinem Verhältnis zu dem Werte der Leistung selbst steht, sodaß sich diese schon objektiv als eine unvernünftige, wirtschaftlich sinnlose darstellen würde, ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes durchaus zu billigen, daß die beklagte Partei nicht verpflichtet ist, einen Aufwand zur Beseitigung eines Zustandes zu machen, dessen Eintritt sie nicht zu vertreten hat und der während seiner Dauer eine Teilunmöglichkeit der Erfüllung bewirkt. Macht also die Beklagte von der Möglichkeit der Erfüllung durch Wiedererrichtung einer Betriebsstätte und Wiederaufnahme des Betriebes in einer anderen Besatzungszone keinen Gebrauch, so kann sie hinsichtlich aller in die Verhinderungszeit fallender Teilleistungen nicht zur Erfüllung verhalten werden, da sogar eine nur vorübergehende Unmöglichkeit dann eben als dauernde Teilunmöglichkeit wirkt. Im Hinblick darauf, daß Dauerschuldverhältnisse aus wichtigen Gründen vor Ablauf der vereinbarten Zeit gelöst werden können und auch die nachträgliche Erschwerung der geschuldeten Leistung losgelöst von der Rechtsfolge des § 1447 ABGB. einen solchen wichtigen Grund darstellt, ist der in der Klagebeantwortung vertretene und vom Berufungsgericht gebilligte Standpunkt der beklagten Partei, wonach das Vertragsverhältnis rückwirkend auf das Kriegsende (Zerstörung der Betriebsanlage am 26. März 1945) als aufgelöst zu betrachten ist, schon aus der obigen Erwägung rechtlich zutreffend; dies zumal in Anbetracht der Beeinträchtigung der Produktionsverhältnisse nach Kriegsende der Beginn einer Wiederaufnahme der Produktion im vollen Umfange überhaupt nicht abzusehen wäre. Da die Klägerin selbst zugibt, daß die beklagte Partei ihrer Verpflichtung auf Zahlung der Umsatzprovision in der Zeit bis Ende 1943 im allgemeinen nachgekommen ist, für die Verlustjahre 1944, 1945 jedoch vereinbarungsgemäß eine Umsatzprovision von der Beklagten nicht zu vergüten war, ist dem Berufungsgericht auch darin zu folgen, daß im Hinblick auf die rechtlichen Wirkungen der Unerschwinglichkeit der geschuldeten Leistung der Rechtsbestand eines Anspruches der klagenden Partei aus dem Vertrag vom 8. November 1926 lediglich durch Vertragsergänzung im Sinne des § 914 ABGB. gewonnen werden könnte, zumal dieser in seinem Punkt 3 in bestimmten Fällen einer vorzeitigen Vertragsbeendigung Entgeltzahlungen an die Klägerin vorsieht.

Das Revisionsgericht vermag jedoch die Ansicht des Berufungsgerichtes nicht zu teilen, daß im Sinne einer nach der redlichen Verkehrsübung vorzunehmenden Vertragsergänzung der von der Klägerin erhobene Anspruch im Vertragspunkt 4 in Zusammenhalt mit Vertragspunkt 3 seine Grundlage findet. Die im Vertragspunkt 4 gegenseitig gewährleistete loyale Handhabung und Auslegung des Vertrages bei allen noch nicht übersehbaren Eventualitäten und die Verpflichtung, nichts zu unternehmen oder zu fordern, was seinen Zweck vereiteln oder die gegenseitigen Leistungen, so auch das zugesicherte Entgelt beeinträchtigen könnte, geht keineswegs über die schon auf Grund des Gesetzes nach der Übung des redlichen Verkehrs vorzunehmende Vertragsergänzung (§ 914 ABGB.) hinaus, die immer dann stattzufinden hat, wenn nicht feststeht, was die Parteien in vertraglich nicht vorgesehenen Fällen gewollt hätten. Es handelt sich hiebei darum, festzustellen, was zwischen den Parteien in solchen Fällen nach den Richtlinien von Treu und Glauben im Verkehr und nach dem im Vertrag für die ins Auge gefaßten Fälle ausgedrückten Willen rechtens sein soll. Hiebei ist die Frage, ob der Parteiwille sich auf solche nicht vorhergesehene Fälle analog anwenden läßt, selbst wieder nach Treu und Glauben zu prüfen. Aber auch bei Heranziehung des für die ins Auge gefaßten Fälle ausgedrückten Parteiwillens steht dieser dem Eintritt der gesetzlichen Folge der Unmöglichkeit oder Unerschwinglichkeit der geschuldeten Leistung keineswegs erkennbar entgegen, da äußere Umstände,die einem absoluten Zwang gleichkommen, wie bereits dargelegt, von den Parteien überhaupt nicht erwogen wurden. Die rechtlichen Wirkungen des § 1447 ABGB., die sich grundsätzlich darin äußern, daß der Schuldner durch die Erfüllungsunmöglichkeit befreit wird und auf die Gegenleistung kein Recht hat, stellt aber eine vom Gesetzgeber gewollte durchaus gerechte Lösung der gegenseitigen Auseinandersetzung dar, die auch bei Vornahme der Vertragsergänzung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben im Verkehr zumindest durch den analog anzuwendenden Willen der Parteien ausgeschlossen sein müßte. Die im Vertrag vorgesehene Möglichkeit, daß die Produktionseinstellung oder Einschränkung durch äußere Umstände veranlaßt werden sollte, die nicht einem absoluten Zwang gleichkommen, wobei also der Beklagten noch ein Rest selbständiger Willensentscheidung verbleibt, für welchen Fall gleichfalls eine wenn auch geringere Entgeltszahlung an die Klägerin vorgesehen ist, reicht aber zur Annahme eines die gesetzliche Folge des § 1447 ABGB. aufhebenden Parteiwillens nicht aus.

Das Berufungsgericht wird daher von der obigen rechtlichen Beurteilung ausgehend, über die Berufung der beklagten Partei neuerlich zu entscheiden haben.

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